Startseite Archiv Tagesthema vom 19. September 2015

Für meinen Bruder

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Es gibt Szenen in unserem Leben, da haben wir keine Wahl. Wir stehen vor vollendeten Tatsachen.

  • Der Schüler wird einer Klasse zugewiesen, einem Lehrer zugeteilt. Er hat keine Wahl, obwohl ihm der Lehrer nicht liegt.
  • Der Chef weist einem einen Arbeitsplatz zu. Entweder ich fülle ihn aus, oder ich kann gehen.
  • Die Hüfte macht nicht mehr mit. Der einzige Ausweg: die Operation, Krankenhausaufenthalt, Reha-Klinik.
  • Es gibt Szenen in unserem Leben, da müssen wir uns in eine Situation hineinbegeben, ob wir wollen oder nicht.

Genauso geht es Martha. Martha – wir kennen sie als eine Frau die anpackt, die etwas tut, organisiert, schafft und macht, ja geradezu ruhelos ist. Mitten im Leben steht sie. Sie ist ein Aktivposten in Bethanien.

Doch jetzt erleben wir eine Martha, die wie gelähmt ist. Ihr Bruder Lazarus ist gestorben. Tiefe Trauer erfüllt diese Tage, in denen ihr Glaube auf eine harte Probe gestellt wird. Unausgesprochen hängt die Frage nach dem „Warum?“ im Raum. Warum ist Jesus nicht gekommen? Warum hat er auf ihre Nachricht von der Krankheit des Bruders nicht reagiert? Konnte Jesus nicht? Wollte er nicht? Diese Fragen lähmen diese sonst so aktive Martha.

Nach einigen Tagen erfährt sie, dass Jesus kommt. Und das löst bei ihr vier Reaktionen aus:

1. Sie konfrontiert Jesus mit ihrer Enttäuschung. Sie ist wütend: „Herr, wärest du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben.“

2. Sie ist nicht nur wütend. Vielmehr erwartet sie nach wie vor, dass Jesus handelt: „Aber auch jetzt noch weiß ich, dass was du bittest von Gott, das wird dir Gott geben.“
Wut und Erwartung, beides prägt in diesem Moment Marthas Beziehung zu Jesus.

3. Martha hatte als Kind „Konfirmandenunterricht“ genossen. Sie spricht ihr Glaubensbekenntnis gegenüber Jesus korrekt aus: „Ich weiß wohl, dass mein Bruder auferstehen wird in der Auferstehung am Jüngsten Tag.“ Nicht heute, sondern später wird alles in Ordnung kommen. Diesen Glaubenssatz kennt Martha. Zugleich hilft ihr der jetzt wenig. Doch sie erfährt, Jesus vertröstet nicht in die Zukunft.

Vielmehr erlebt Martha als viertes:
4. Jesus schenkt Ihr Glauben, der jetzt trägt, obwohl einige hundert Meter entfernt das frische Grab des Bruders ist. Obwohl Jesus scheinbar zu spät kam. Obwohl gar nichts von göttlicher Macht zu sehen ist. Nur menschliche Vergänglichkeit ist da. Doch sie erlebt die Gegenwart von Jesus; Jesus, der sie hört in ihrer Wut, der ihr restliches Vertrauen wahrnimmt, der auch von ihrem rechten, erlernten Glauben weiß. Jesus, der zu Martha kommt und ihr ganz neu diese Zuversicht schenkt: „Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes.“

Übrigens, dass Lazarus dann tatsächlich von den Toten auferstanden ist, das passiert eher am Rande. Wichtiger ist, dass Jesus Martha mit all ihrer Verzweiflung nicht alleine gelassen hat. Er ist zu ihr gekommen. Und er schenkte ihr einen neuen lebendigen Glauben, der nicht nur für die Zukunft trägt, sondern jetzt in der Gegenwart. Dieser Glaube hält uns auch dann, wenn wir keine Wahl haben: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe.“

Martin Runnebaum

Der Text

Jesus spricht zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben. Glaubst du das? Marta spricht zu ihm: Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist.

(Aus Johannes 11,1-27)
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Bild: Jens Schulze

Der Autor

Martin Runnebaum ist Pastor in Gyhum.

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Martin Runnebaum Bild: privat