Czardas, Hammelet und die Kreativität des Alltags
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Merlin hat ganz allein im Abschiedsgottesdienst für die Rektorin unserer Grundschule gespielt: ein jugendlicher Geiger, der für seine ehemalige Lehrerin einen virtuosen Czardas musizierte. Wunderschön gespielt, tolle Musik. Anschließend habe ich ihn gefragt, ob er denn Musik studieren wollte. Nein, eher sollte es ein Hobby bleiben. Ich konnte ihn gut verstehen. Und dennoch: hat so einer mit einer großen musikalischen Begabung nicht die Verpflichtung, daran intensiv weiter zu arbeiten und mit seiner Kunst sein Leben lang viele Menschen zu begeistern und ihnen etwas zu geben, was sie ohne ihn nicht hätten?
Mein Respekt für alle, die ihre Kunst als Beruf leben. Als ich damals vor der Entscheidung stand, Kirchenmusik oder Theologie zu studieren, spielte die Sorge eine Rolle, in nervenaufreibenden Spiel- oder Dirigiersituationen nicht stand halten zu können. Habe ich damals gehandelt wie der dritte Knecht, der ein (nicht gar zu großes) Talent aus Angst verbuddelt? Hätte ein kräftiger Selbstruck gereicht? Hat es an Gottvertrauen gemangelt?
Der Herr im Gleichnis vertraut seinen Knechten den Reichtum an, der ihm gehört. Für seinen guten Namen sollen sie wirtschaften, mit wirken, kreativ sein. Vom Stuttgarter Kirchentag ist mir der Begriff „Alltagskreativität“ hängengeblieben. Ich hörte ihn in einer Diskussion über „Leben mit Leiden“. Ein Psychotherapeut beschrieb, wie viel Lebensgewinn aus dem Suchen und Ausleben ganz unspektakulärer Ideen kommen kann, die einfach etwas anders sind als sonst.
Mir hat in der letzten Zeit ein Anspiel im oben genannten Gottesdienst sehr viel Freude gemacht: meine Kollegin Melanie und ich haben mit zwei Handpuppen („Frieda“ und „Hammelet“, ein Schaf wie man hört) gespielt: es ging mit „Sein oder Nicht sein“ um Abschied und das was bleibt, um Erinnerung und Würdigung, um Schweigen und Tanzen. Die Ideen haben wir seit einiger Zeit meist in kurzen Begegnungen ausgetauscht, einen Ablauf festgelegt, meine Kollegin hat daraus ein Stück geschrieben. Ich habe geändert. Sie hat geändert. Emails hin und her. Daraus ist eine Ansprache geworden, die so ganz anders war.
Alltagskreativität. Was für uns Predigtarbeiter ein Anspiel bedeutet, ist für andere eine schöne Geschenkidee oder ein gelungenes Picknick oder ein schöne Radtour am Samstagnachmittag. Alltagskreativität kennt keine Beschränkung. Darf man Jesu Gleichnis so lebenslustig verstehen? Muss es denn immer dasselbe Talent sein, das wir vermehren? Haben manche Begabungen ihre begrenzte Dauer oder manche Ideen nur einen einmaligen Einsatz? Es fällt mir auf, dass im Gleichnis nur einer einen Handlungsplan hat, nämlich der Talentvergräber. Die Strategie ist aber falsch. Sind die anderen Diener erfolgreich, weil sie einen Augenblick erkennen und nutzen können? Weil sie einfach mal was riskieren oder ausprobieren?
Gott gebe den hochbegabten Künstlern, Denkern und Lenkern Mut und Verantwortung für ihre aufregenden und von vielen wahrgenommenen Aufgaben. Und uns anderen? Ich glaube, dass Gott, der aus Nichts alles Leben schuf, aus unserer kleinen Kreativität eine Liebeserklärung versteht: an andere, an das Leben und damit an ihn selbst.
Bild: Jens Schulze
Thomas Waubke. Bild: privat