Startseite Archiv Tagesthema vom 13. Juni 2015

Zerbrechliche Würde

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Die Initiative „Renaissance Gartenfriedhof“ will die geschichtliche und architektonische Bedeutung des Gartenfriedhofs wieder in das öffentliche Bewusstsein rücken. Der frühere Osnabrücker Landessuperintendent und Prior des Klosters Loccum, Dieter Zinßer, ist Vorsitzender des Vereins. „Das hier ist ein Open-Air-Museum“, sagt er über den 1741 angelegten und 1864 geschlossenen Friedhof.

Knapp 400 Grabstätten sind heute noch vorhanden. Hier liegen etwa die Astronomin Caroline Herschel, der Maler Johann Heinrich Ramberg oder auch Charlotte Kestner, die das Vorbild für „Lotte“ in Goethes „Die Leiden des jungen Werther“ abgab. Als einziger in Niedersachsen wurde der Friedhof in das deutschlandweite Projekt für berühmte Grabstätten „Wo sie ruhen“ aufgenommen. Im Juni kommt sogar der britische Sender BBC, um hier zwei Tage lang zu filmen. Jedoch gibt es eine deutliche Diskrepanz zwischen dem Wert der parkähnlichen Anlage als Kulturerbe und der realen Situation auf dem Friedhof, kritisiert Zinßer.

Mehrere Trinkergruppen haben sich seit Jahren schon die Bänke hier als tagtäglichen Aufenthaltsort auserkoren. „Diese Leute dominieren beim Blick auf den Friedhof.“ Ängstliche, ältere Menschen trauten sich an den Gruppen nicht vorbei und gingen lieber um den Friedhof herum, sagt der Theologe. Die Trinker säßen hier mit ihren Hunden, verrichteten ihre Notdurft auf dem Friedhof, und in der warmen Jahreszeit sonnten sich manche von ihnen auch schon mal oberkörperfrei auf Gräbern. Der Friedhof hat einen Eigenwert, betont Zinßer. „Das ist doch keine Fläche wie vor dem Bahnhof.“

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Der Gartenfriedhof in Hannover mit seinen klassizistischen Gräbern, wie hier dem des früheren hannoverschen Ministers Carl Rudolph August von Kielmansegge (1731-1810), gilt als eine der prächtigsten Grabstätten Norddeutschlands. Bild: Stefan Korinth/ Evangelische Zeitung

Da auf dem Friedhof keine Begräbnisse mehr stattfinden, gilt die aufgelassene Anlage rechtlich als Grünfläche, erläutert Karin Degenhardt vom Fachbereich Umwelt und Stadtgrün der Landeshauptstadt. „Das ist ein öffentlicher Bereich.“ So wäre etwa ein Alkoholverbot rechtlich problematisch. Die Stadt ließ bereits 2011 eine Toilette aufstellen, um das Urinieren auf Gräber und an die Gartenkirche zu beenden.

Mitarbeiter des diakonischen Karl-Lemmermann-Hauses waren in einem Projekt zur „Minderung von Störungen im öffentlichen Raum“ im Jahr 2011 regelmäßig mit den Trinkern und Methadon-Beziehern auf dem Gartenfriedhof im Gespräch. „Die Leute wollen ihren sozialen Treffpunkt dort nicht verlieren“, erläutert Projektkoordinatorin Sabine Schneekloth. Sie seien friedlich, aber sie könnten es an diesem Platz inzwischen niemandem mehr recht machen. „Diese Leute werden eben nicht geliebt.“

Der Platz werde von den Betroffenen vor allem vormittags frequentiert, erläutert Schneekloth. Die Trinker benutzen auch die eigens aufgestellte Toilette. „Soziale Kontrolle bringt bei ihnen schon eine ganze Menge.“ Zudem wurden Bänke versetzt, damit die Gruppen nicht mehr vor den Häusern der angrenzenden Arnswaldstraße sitzen. Da die Situation am Gartenfriedhof weniger gravierend sei als an anderen Orten Hannovers, hat die Stadt den Einsatz der Sozialpädagogen Mitte 2011 eingestellt.

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Der Vorsitzende der Initiative „Renaissance Gartenfriedhof“ setzt sich für eine stärkere Würdigung des Friedhofs ein. Bild: Sfefan Korinth/ Evangelische Zeitung

 

Derzeit spricht der Fachbereich Umwelt und Stadtgrün mit der Initiative von Dieter Zinßer über die Installation von Eingangstoren. Diese sollen die Würde des Ortes verdeutlichen, aber nicht geschlossen werden, erklärt die städtische Gartendenkmalpflegerin Karin Degenhardt. So ein abgeschlossener Raum könnte dann nämlich noch kuscheliger für die Trinker wirken und Passanten fernhalten.

Der Fachbereich und die Initiative „Renaissance Gartenfriedhof“ versuchen gemeinsam, die Anlage auch anderweitig aufzuwerten. In den zurückliegenden Jahren ließen sie Wege erneuern und Pflanzungen anlegen. Die Wenger-Stiftung gibt zudem Geld für die Restaurierung von Grabsteinen. Patenschaften für einzelne Gräber sind ein weiteres Instrument. Die Paten sollen ein Auge auf die anvertrauten Begräbnisstätten haben, Schäden melden und Geld spenden, das die Stadt in die Grabpflege investiert. Jedes zehnte Grab hier hat mittlerweile einen Paten. „Sie kommen zu uns, ohne dass wir viel dafür tun müssen“, freut sich Zinßer.

Am 12. Juni wurde bereits die nächste Patenschaftsfeier zelebriert. Die hannoversche Landeskirche isz jetzt Patin der Grabstätte Johann Benjamin Koppes. Der 1791 bereits mit 41 Jahren verstorbene Erste Hofprediger hatte die Bildungsarbeit der Kirche koordiniert. Er hat das hannoversche Schullehrerseminar reorganisiert und den Konfirmandenunterricht weiterentwickelt.

Das Stephansstift Hannover hat zudem die Patenschaft für die Grabstätte Heinrich Philipp Sextros übernommen, der ebenfalls als Bildungsreformer gelten kann. Von ihm stammt die Idee der „Industrieschulen“ für Jungs der städtischen Unterschichten. „Das war ein reformpädagogisches Projekt und Vorläufer des Dualen Bildungssystems“, erläutert Zinßer.

Für das Grab seiner Ur-Ur-Ur-Großmutter Johanne Christine Salfeld (1760-1838) wird der US-amerikanische Mediziner Jochen Salfeld die Patenschaft übernehmen und eigens aus Massachusetts anreisen. Die Ehefrau des damaligen Loccumer Abts Johann Christoph Salfeld sprach fließend französisch und befreite ihren Mann 1807 mit einem Pilgermarsch zur Festung Hameln aus französischer Gefangenschaft.

Stefan Korinth, Evangelische Zeitung

Authentizität in der Predigt

„Er (Koppe) war wohl in der Tat `ein herrlicher Prediger`. Das zeichnete ihn bereits in seiner Göttinger Zeit aus, in der er auch als Universitätsprediger und Direktor des neu gegründeten Königlichen Predigerseminariums tätig war. Unter anderem entstand in dieser Zeit seine Abhandlung `Genauere Bestimmung des Erbaulichen im Predigen`.

Koppe forderte vor allem Authentizität in der Predigt: Ein Prediger müsse sich zu eigen machen, worüber er spreche. Nur dann könne er den normativen Anspruch einer religiösen Wahrheit so formulieren, dass er die religiös-moralische Selbsterfahrung des Hörers „anstoße und befördere.“ Das war zu seiner Zeit ein wahrhaft moderner Ansatz – und ist es bis heute geblieben.

Johann Benjamin Koppe verband in hervorragender Weise das universitäre mit dem praktisch-theologischen Arbeiten. Und auch in kirchenleitender Funktion hat er Prägendes geleistet im Bereich der Bildungsarbeit: Er machte sich an die Reorganisation und Erweiterung des Hannoverschen Schullehrerseminars. Und er arbeitete entscheidend mit am Hannoverschen Landeskatechismus. Bis weit ins 19. Jahrhundert war „sein“ Katechismus ein Standardwerk – was er selbst nicht mehr erleben durfte. Im Alter von nur 40 Jahren verstarb er am 12. Februar 1791.

Mit der Übernahme der Patenschaft für die Grabstätte von Johann Benjamin Koppe ehrt die Hannoversche Landeskirche eine Persönlichkeit, die entscheidenden Einfluss hatte in Bereichen, die für uns als Landeskirche damals wie heute prägend sind: In der der universitären Theologie an ihrem Standort in Göttingen, in der Bildungsarbeit und in der lebendigen und mitreißenden Verkündigung der christlichen Botschaft.

Ob Johann Benjamin Koppe wirklich aussah wie der Jünger Johannes, muss wohl für alle Zeiten offen bleiben. Angesichts seines herausragenden Schaffens spielt das aber – so denke ich – eine untergeordnete Rolle.“

Dr. Stephanie Springer, Auszug aus ihrer Ansprache zur Übernahme der Patenschaft für das Grab von Johann Benjamin Koppe (12. Juni 2015)
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Johann Benjamin Koppe