„N“ für Nasrani, also Christ
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Sie kamen nachts. Brachen die Türen auf, bedrohten die Familien mit ihren Gewehren und plünderten die Häuser. Sie verjagten alle, an deren Türen sie vorher ein „N“ für Nasrani, also Christ, gemalt hatten. So erzählte es unlängst Erzdiakon Emanuel Youkhana aus dem Irak über die Gräueltaten des „Islamischen Staates“. In einem Interview mit einer großen deutschen Wochenzeitung berichtete er von den Vertreibungen und Ermordungen, die seine Gemeinden in der Ninive-Ebene zurzeit erleiden.
Keine andere Religionsgemeinschaft auf der Welt wird gegenwärtig stärker verfolgt als das Christentum. Auch wenn über genaue Zahlen immer wieder debattiert wird, so ist unstrittig: Die größte Gruppe derjenigen, die aus religiösen Gründen verfolgt oder ermordet werden, sind Christinnen und Christen. Nicht nur in muslimischen Staaten ist dies so. China, Nordkorea oder auch Eritrea verfolgen von Seiten des Staates Menschen, die zu einer christlichen Gemeinde gehören.
„Es kommt aber die Zeit, dass, wer euch tötet, meinen wird, er tue Gott einen Dienst damit.“ Verfolgung, Anfeindung und vielleicht sogar drohender Tod. Dies alles spricht auch aus den Versen, die Jesus in seinen Abschiedsworten an seine Jüngerinnen und Jünger richtet. Weit weg erscheint uns dies hier in unseren Gemeinden. Wie ein Bericht aus ferner Zeit, als die ersten Christinnen und Christen sich von ihren jüdischen Wurzeln trennten. Denn das ist die historische Situation, aus der heraus Johannes sein Evangelium geschrieben hat. Einer Zeit der innerjüdischen Konflikte zwischen denen, die an Jesus als den Messias glaubten, den Judenchristen also, und denen, die weiter auf den Messias warteten und in ihrem jüdischen Glauben blieben. Dies ist zwar Vergangenheit, aber der jüdische Ursprung unseres Glaubens ist und bleibt Teil unserer Geschichte als Kirche. Die aktuellen Diskussionen um den Wert der Texte des Alten Testaments in unseren Gottesdiensten und unserer religiösen Praxis hat die Sensibilität dafür noch einmal geschärft.
Auch wenn es weit weg erscheint, dass Christinnen und Christen weltweit verfolgt und bedroht werden, so begegnen uns doch manchmal direkt in unserer Nachbarschaft Menschen mit solch einer Geschichte. Die syrische Christin, die von ihrer Flucht erzählt. Noch immer weiß sie nicht, wo zwei ihrer vier Kinder sind, seitdem die Familie Hals über Kopf die Heimat verließ und über dunkle Wege nach Deutschland gelangte. Der Somalier, der im Kirchenasyl lebt, weil er über das Mittelmeer nach Europa kam und wieder nach Italien abgeschoben werden soll.
Jesus spricht seine Jüngerinnen und Jünger als Zeuginnen und Zeugen an. „Auch ihr seid meine Zeugen.“ Wer Zeuge ist, gibt Auskunft. Und Glaubenszeugen versuchen auch mit ihrem Leben, ihren Taten, Auskunft zu geben. Im Hier und im Jetzt. So wie es Dietrich Bonhoeffer einmal gesagt hat, ein Zeuge, der für seinen Glauben in den Tod gegangen ist: „Es gibt in der ganzen Weltgeschichte immer nur eine bedeutsame Stunde – die Gegenwart. Wer aus der Gegenwart flieht, flieht die Stunden Gottes, wer aus der Zeit flieht, flieht Gott. Dienet der Zeit! Der Herr der Zeiten ist Gott, der Wendepunkt der Zeiten ist Christus, der rechte Zeitgeist ist der Heilige Geist.“
Bild: Jens Schulze