Startseite Archiv Tagesthema vom 20. April 2015

„Wie ein kleines Belsen“

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Mit Zeitzeugen aus Belgien, Polen, Irland und Italien will die Gedenkstätte auf dem Gelände des ehemaligen NS-Kriegsgefangenenlagers im niedersächsischen Sandbostel an den 70. Jahrestag der Befreiung erinnern. „In Sandbostel haben britische Soldaten am 29. April 1945 etwa 14.000 Kriegsgefangene und 7.000 KZ-Häftlinge befreit“, sagte Gedenkstätten-Leiter Andreas Ehresmann. Angesichts der Zustände hätten sie das Lager mit den Worten „like a minor belsen - wie ein kleines Belsen“ beschrieben.

Hunderte unbestatteter Leichen hätten auf dem Areal gelegen. Die Überlebenden seien erschöpft über das Gelände geirrt oder hätten apathisch in den Baracken gekauert, sagte Ehresmann. „Trotz verzweifelter Bemühungen des internationalen Widerstandskomitees der Kriegsgefangenen, den KZ-Häftlingen zu helfen, starben Tausende an Krankheiten, Erschöpfung und unmittelbarer Gewalt durch die Wachmannschaften.“

Auch nach der Befreiung starben noch mehr als 500 KZ-Häftlinge an Erschöpfung und Infektionskrankheiten. Bis zur Befreiung durchliefen nach bisherigen Recherchen 313.000 Kriegsgefangene, Zivil- und Militärinternierte aus mehr als 55 Nationen das Lager im heutigen Landkreis Rotenburg. Nachgewiesen ist, dass 5.162 Kriegsgefangene starben. Überdies kamen etwa 3.000 KZ-Häftlinge ums Leben - sie waren völlig abgemagert und entkräftet aus dem KZ Neuengamme bei Hamburg und seinen Außenlagern nach Sandbostel gebracht worden. Wahrscheinlich ist die Zahl aller Toten wesentlich höher, doch seriöse Hinweise fehlen noch.

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Ein historisches Foto zeigt das Offizierskasino des damaligen NS-Kriegsgefangenen- und KZ-Auffanglagers Sandbostel im niedersächsischen Heinrichsdorf. Bild: epd-bild

 

Schon seit dem 1. April wird in der Gedenkstätte mit einer Fotoausstellung auf das Schicksal einiger Überlebender aufmerksam gemacht. Sie zeigt acht Porträts der Berliner Fotografin Sarah Mayr, die bis zum 9. Mai im Foyer zu sehen sind. Zum Jahrestag der Befreiung am 29. April sollen unter anderem Kränze auf dem Lagerfriedhof niedergelegt werden. In einer Gedenkrede kommt ein ehemaliger Kriegsgefangener zu Wort. Zum Abschluss ist ein Gedenkgottesdienst in der Lagerkirche geplant.

Nach der Befreiung errichteten die Briten in Sandbostel ein Internierungslager für Angehörige der Waffen-SS. 1948 übernahm das niedersächsische Justizministerium den Standort als Strafgefängnis, später wurde er als Notaufnahmelager für männliche jugendliche DDR-Flüchtlinge und als Bundeswehrdepot genutzt. 1973 übernahm die Gemeinde Sandbostel das Gelände und wies es als Gewerbegebiet "Immenhain" aus. Später erwarb die Stiftung Lager Sandbostel einen Teil des ehemaligen Lagergeländes und richtete dort eine Gedenkstätte mit historischen Baracken und einer Dauerausstellung ein.

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Ein paar Steinwürfe von Heinrichsdorf entfernt, irgendwo in den sumpfigen Wiesen, trompeten die Kraniche. Es sind die Junggesellen, die da rufen. Faule Gesellen, die sich den Flug zu den Brutplätzen in Skandinavien gespart haben. Nun sind sie Sommergäste am Huvenhoopsmoor im nördlichen Landkreis Rotenburg. Sie sorgen für die akustische Kulisse einer Idylle, die fast vergessen lässt, was hier vor 70 Jahren passiert ist.

Damals gab es Heinrichsdorf noch gar nicht, dafür aber an dieser Stelle eine Siedlung für die Wachmannschaften des benachbarten NS-Kriegsgefangenenlagers Sandbostel - eines der größten der Wehrmacht. Spuren davon finden sich noch immer in der rechtwinkligen Anlage des Dorfes und im ehemaligen Offizierskasino der Wachleute, das bis heute erhalten ist. „Zur Moorquelle“ heißt es auf einem Schild über dem Eingang der einstigen Baracke, die nun als Wohnhaus und gelegentlich noch als Gaststätte genutzt wird.

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Baracken des ehemaligen NS-Kriegsgefangenen- und KZ-Auffanglagers im niedersächsischen Sandbostel. Bild: Dieter Sell / epd-Bild

 

Gedenkveranstaltung zum 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen. Zentrale Gedenkveranstaltung mit Gedenkfeier am Obelisken, Gedenken am Hochkreuz und Gedenken am Jüdischen Mahnmal.

Eine Veranstaltung des Landes Niedersachsen, des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden von Niedersachsen und der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten.
Gedenkstätte Bergen-Belsen, am Sonntag, den 26. April, um 11 Uhr

Mit Landesbischof Ralf Meister

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Bild: Jens Schulze

„Peacetrain“

Etwas für die Völkerverständigung tun und gleichzeitig Urlaub am Meer machen: Mit diesem Ziel starten im Sommer Jugendliche mit Kleinbussen unter dem Stichwort „Peacetrain“ auf eine Route entlang der deutschen und polnischen Ostseeküste. „Wir wollen Zeichen des Friedens und der Freundschaft setzen“, sagte Initiator Michael Freitag-Parey. Der Diakon arbeitet als friedenspädagogische Fachkraft in der Gedenkstätte auf dem Gelände des ehemaligen NS-Kriegsgefangenenlagers im niedersächsischen Sandbostel.

Freitag-Parey leitet auch die Fahrt für deutsche und polnische Jugendliche, die vom 18. bis 29. August von Sandbostel aus über Rügen, Usedom, Wollin, Danzig, Warschau und Berlin zurück zum Startpunkt führt. Kooperationspartner ist der Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge. „Wir glauben, dass Völkerverständigung, gegenseitige Toleranz und Respekt vor einer fremden Kultur und deren Glauben der Grundstein für ein gutes Miteinander sin“", sagte der Diakon.

Der Projektname „Peacetrain“ geht auf den ehemaligen polnischen Kriegsgefangenen Wiktor Listopadzki zurück, der während des Zweiten Weltkrieges im Widerstand gegen die deutschen Besatzer in Warschau kämpfte. Im Oktober 1944 wurde er verhaftet. Im Zug verschleppten ihn die Nationalsozialisten nach Sandbostel. Nun ist geplant, dass die Teilnehmer der Fahrt am 26. August in Warschau auf den dann 93-Jährigen treffen. Er und Freitag-Parey sind sich einig: „Wer sich erinnert, investiert in eine gemeinsame Gegenwart und Zukunft.“

700-Kilometer-Nonstop-Staffellauf für die Versöhnung

Mehr als 70 Jahre nach einem Kriegsverbrechen der deutschen Wehrmacht wollen Männer und Frauen aus dem niederländischen Ort Putten nonstop 700 Kilometer mit einem Staffellauf nach Ladelund an der dänischen Grenze laufen. „Es soll ein Versöhnungs- und Vergebungslauf sein“, sagte Initiator Michel Kooij in Engerhafe bei Emden. Die insgesamt 24 Läufer im Alter zwischen 14 und 74 Jahren samt Unterstützungstross mit rund 75 Helfern wollen am 28. April starten und am 2. Mai in Ladelund ankommen.

In den niederländischen Medien habe der Plan für großes Aufsehen gesorgt. Ein Fernsehteam werde den Lauf begleiten, sagte Kooij. Geplant sei, dass immer zwei Läufer rund drei Kilometer laufen und dann abgelöst werden. Insgesamt seien drei Teams unterwegs, die sich nach jeweils acht Stunden abwechseln. In der Nähe der früheren Konzentrationslager werde der Tross ein Biwak aufschlagen, in denen sich die Läufer erholen können.

„Wir würden uns sehr freuen, wenn sich uns deutsche Läufer etappenweise anschließen würden“, sagte der Initiator. Ziel des Laufes sei, die Erinnerung an die Verbrechen der Nazis wachzuhalten aber auch, die Versöhnung an die nachfolgende Generation weiterzugeben. „Denn wenn wir die Opfer vergessen, sterben sie den endgültigen Tod.“

epd