Startseite Archiv Tagesthema vom 24. März 2015

Ein Kreuzweg?

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In einer Kirche ist auf einem Bild eine dunkle, bedrückende Szene zu sehen: Ein Mann liegt am Boden. Sein Körper liegt unter einem Holzbalken wie unter Trümmern. Man sieht nur die Arme des Mannes und seinen Kopf, er leidet. Aber er ist nicht allein: Ein Mann geht auf ihn zu. Doch statt zu helfen, trägt er eine Kamera auf der Schulter. Er leuchtet mit seinem grellen Kameralicht in die Dunkelheit hinein – und filmt das Leid vor seinen Füßen. Beobachtet wird er von Schaulustigen am Rand. Unbeteiligt, die Hände in den Hosentaschen.

Zu sehen ist dieses ungewöhnliche Bild in einer Kirche, der Stiftskirche in Bücken bei Nienburg. Es gehört zu einem modernen Kreuzweg. Station für Station wird hier das Leid der Passionsgeschichte vor Augen geführt: Jesus wird gefangen genommen, verurteilt, trägt sein Kreuz, stirbt.

Der Künstler Pablo Hirndorf hat einen sehr aktuellen Bezug hineingemalt: An einer Kreuzwegstation stürzt Jesus unter der Last des Kreuzes – und ein Kameramann filmt das Leid, hält einfach drauf – ohne Mitgefühl zu zeigen. Wie auch die anderen unbeteiligten Beobachter am Rand des Bildes.

In diesen Tagen zeigen die Kameras dieser Welt das Leid unserer Zeit. Im grellen Licht der Öffentlichkeit zeichnet sich ein Drama vor unseren Augen ab. Ein Flugzeug ist gestartet - und nicht angekommen. Menschen warten vergeblich auf Angehörige, sie kehren nicht zurück, unter ihnen Schüler und Babys. „Flugzeugunglück in Südfrankreich: keine Überlebenden“: Diese erste Nachricht führt ins Grauen. Nach und nach erreichen uns Bilder aus den Bergen. Kaum erreichbar für die Helfer ist die Absturzstelle, dort finden sie nur Trümmer und Tod.

Kreuzwegstationen. Es reicht nicht, den Bildern der Kamera mit den Augen zu folgen. Unbeteiligt zuschauen ist nicht möglich. Jeder Kreuzweg will das Herz berühren. Fordert nicht nur ein Zusehen, sondern ein Mitleiden.

Gestern war der Tag des Schreckens und der Fassungslosigkeit.
Heute ist der Tag, Anteil zu nehmen. Wir denken an die Angehörigen: Andere beten für die Opfer, manche legen Blumen nieder, entzünden Kerzen, vielleicht sprechen wir auch einfach nur miteinander über die Katastrophe.

Dies ist ein „Kreuzweg“ unserer Zeit, der uns vor Augen führt, wie zerbrechlich das Leben ist - aber auch, wie Menschen untereinander im Leid verbunden sind.

Jan von Lingen

Der Autor

Jan von Lingen ist Radiopastor bei der Evangelischen Radio- und Fernsehkirche im NDR.

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Jan von Lingen. Bild: err

„Lieber verdammter Gott“

„Lieber verdammter Gott!“ Es war das erste Mal, dass ich diese Worte so zusammen hörte, obwohl ich schon lange in dem lebe und arbeite, was im engsten und im weitesten Sinne Kirche ist. „Lieber verdammter Gott“.

Ein Mensch schreit diese Worte laut heraus, fordernd, anklagend, voller Schmerz, unerträglich. Einen Augenblick vorher habe ich ihm sagen müssen, dass sein Sohn tödlich verunglückt ist. Das einzige Kind, nicht einmal 20 Jahre alt geworden. „Verdammter Gott!“ So liest es sich noch deutlicher. „Du verdammter Gott hast mir alles genommen, was meinem Leben Sinn gegeben hat!“

Leid macht manchmal sprachlos, ihn aber lässt es Worte sagen, die seinen Gefühlen eine angemessene Sprache geben: „Lieber verdammter Gott“ – Und zu mir: „Jetzt bloß keine psychologisches Gelaber, keinen frommen Spruch!“ Versprochen!

Pastor Claus Dreier

Mehr Stationen des Kreuzwegs

Kreuzweg der Jugend in Bücken.