Lieber auf der Straße
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Mit einer großen Kelle schöpft die 19-jährige Maria Perlik sämige Gulaschsuppe in weiße Plastikschalen. Aus dem Transportraum des Einsatzfahrzeugs reicht sie die dampfenden Schüsseln nach und nach den Menschen, die sich vor dem „Kältebus“ in Hannovers Innenstadt versammelt haben. Gulaschsuppe sei bei Obdachlosen beliebter als die dünnen Tomatensuppen, sagt sie: „Sie machen satter.“
Im Winter fährt die ehrenamtliche Helferin mit ihren Kollegen von der Johanniter-Unfall-Hilfe an zwei Abenden pro Woche zu den Treffpunkten und Übernachtungsplätzen wohnungsloser Menschen. Dort verteilen sie kostenlos Suppe, Tee und Schlafsäcke. Rund 500 Obdachlose leben nach Schätzungen der evangelischen Obdachlosenhilfe in Hannover auch im Winter ohne ein Dach über dem Kopf.
„Jeder, der auf der Straße lebt, muss eigentlich eine Unterkunft zugewiesen bekommen, wenn er sie verlangt,“ sagt der Leiter der Obdachlosenhilfe, Gottfried Schöne. „Das ist gesetzlich geregelt.“ Manchen Menschen haben jedoch schlechte Erfahrungen mit Massenunterbringungen gemacht und übernachten deshalb lieber auf der Straße, erläutert Schöne. Einige haben Angst, dass ihre wenigen Habseligkeiten nachts gestohlen werden. Andere meiden Gemeinschaftsunterkünfte, weil sie ihre Jugend im Heim verbracht oder eine Zeit in der Psychiatrie oder im Gefängnis gelebt haben.
Zielstrebig steuern die blonde Maria und ein Kollege bei ihrem Rundgang auf einen Mann zu, der im Schneidersitz in einer windgeschützten Ecke vor einem Kaufhaus auf dem Boden kauert. Sein Gesicht ist unter einem zerzausten Bart und vielen Jacken kaum erkennbar. Vor ihm steht ein Plastikbecher, mit dem er Passanten um Spenden bittet. „Der sitzt da immer, aber traut sich nicht weg, denn sonst ist sein Platz zum Betteln verloren,“ erzählt Maria. „Deshalb bringen wir ihm Tee und Suppe vorbei.“
Maria weiß genau, wo sie ihr Klientel findet. Seit drei Jahren gehört sie zur Stammbelegschaft des Kältebusses. In ihrer dicken, orange-blauen Arbeitsjacke mit den Leuchtstreifen, der wasserdichten Hose und den klobigen Arbeitsschuhen wirkt sie ein bisschen verloren. Mit 16 Jahren wurde sie in der Schule von den Johannitern zur Schulsanitäterin ausgebildet. Die Arbeit machte ihr so viel Spaß, dass sie sich seitdem weiterhin dort engagiert. „Es ist interessant, so viele neue Leute kennenzulernen, mit denen man sonst nicht in Kontakt gekommen wäre.“
Zwanzig Portionen Suppe verteilen die Johanniter im Durchschnitt bei ihren Fahrten. „Im Stadtzentrum am Kröpcke ist immer am meisten los,“ sagt Maria. Bis zum vergangenen Jahr hatten sie auch am Busbahnhof viele Gäste, doch seit dieser umgebaut wurde, dürfen sie dort nicht mehr halten. Zuerst war es für die Auszubildende gewöhnungsbedürftig, auf die fremden Menschen zuzugehen. „Vor allem, wenn sie mit einer Bier-Pulle dasitzen. Aber mit der Zeit lernt man sie kennen. Es sind meistens dieselben, die zu uns kommen und sich eine Suppe abholen.“
Der Kältebus ist nach Ansicht von Gottfried Schöne eine begleitende Versorgung für diejenigen Obdachlosen, die nicht mehr in die Tagestreffpunkte gehen möchten. „Das ist eine Notlösung und darf nicht der Normalfall werden.“ In den Tagestreffs können Wohnungslose das ganze Jahr tagsüber duschen, telefonieren, Wäsche waschen, ihr Gepäck einschließen und sich etwas kochen. Außerdem erhalten sie Unterstützung bei Behördengängen und der Wohnungssuche. Maria sieht die Wohnungslosen durch ihre abendliche Einsätze inzwischen mit ganz anderen Augen als früher: „Man sieht, wie schnell es gehen kann, plötzlich von einem Tag auf den anderen auf der Straße zu landen.“
Katharina Hamel (epd)Ein Obdachloser bekommt warme Eintopf von der Essensausgabe. Bild: epd-Bild