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„Der Mensch ist das einzige Tier, das arbeiten muss“

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...wird Immanuel Kant 1803 aus einer Vorlesung über Pädagogik zitiert.
„Die Frage, ob der Himmel nicht gütiger für uns würde gesorgt haben, wenn er uns alles schon bereitet hätte vorfinden lassen, so daß wir gar nicht arbeiten dürften? ist gewiß mit nein zu beantworten: Denn der Mensch verlangt Geschäfte, auch solche, die einen gewissen Zwang mit sich führen. Ebenso falsch ist die Vorstellung, daß wenn Adam und Eva nur im Paradiese geblieben wären, sie da nichts würden getan, als zusammengesessen, arkadische Lieder gesungen und die Schönheit der Natur betrachtet haben. Die Langeweile würde sie gewiß ebensogut als andere Menschen in einer ähnlichen Lage gemartert haben.“ *
Im gleichen Jahrhundert wird Karl Marx dann über Arbeit und Arbeitsverhältnisse deutlich anders schreiben.
Beide könnten sich nur eingeschränkt auf Jesus berufen. Denn der denkt im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg von einem anderen Standpunkt aus: Gott gibt dir, was du brauchst. Das kann durchaus mit Arbeit verbunden sein. Aber du kannst davon leben.

Aus diesem Grund taugt das Gleichnis auch für keinen Tarifvertrag! Ich muss es bei der überraschenden und scheinbar befremdenden Pointe belassen und ganz andere Fragen stellen:
- Diejenigen, die länger gearbeitet haben, beschweren sich am Schluss (!!) über Ungerechtigkeit. Zu Beginn hatten sie aber eingewilligt; der Vertrag war also in ihren Augen in Ordnung. Bleibt die Frage: Ertragen wir es, wenn es anderen gut geht? Bin ich neidisch, wenn jemand großzügig ist?
- Der Hickhack um einen Mindestlohn ist ja keineswegs ausgestanden – und dann sind da noch Millionen andere, die auf eine staatliche Grundversorgung angewiesen sind. Und ausgerechnet die öffentliche Hand ist gehalten, bei Ausschreibungen nach dem billigsten Angebot zu suchen. Stellt sich doch die Frage: Wenn wir das Volk sind – schaufeln wir bei Wahlen unsere eigene Armut?
- Als Jesus von einem wohlhabenden Mann nach dem Weg zu Gott gefragt wird, rät er ihm, sein Vermögen mit den Armen zu teilen. Wir konnten vor ein paar Tagen lesen – 2000 Jahre nach Jesus! -, dass 99 % des Gesamtvermögens auf dieser Erde in den Händen vom einem Prozent der Menschen liegt. Wie sähen das Leben auf dieser Erde und die politische Lage wohl aus, wäre es gleichmäßiger und gerechter verteilt?
- Klar, beim Einkaufen achte ich auf den Preis. Mehr und mehr frage ich mich allerdings, ob ich nicht auch weit mehr darauf achten sollte, ob und wie alle in der langen Handelskette von dem leben können, was sie bekommen.
- „Arbeit“ meint bei uns fast immer „Erwerbsarbeit“ wie in Jesu Gleichnis. Kant spricht noch einen anderen Gesichtspunkt an, der mit Sinn und Erfüllung zu tun hat. Der ist auch wichtig – aber ein Thema für andermal.

Arbeiten und leben – oder leben und arbeiten? Oder vielleicht beides? Und wie, bitte?
Da behaupte eine(r), Jesus sei überholt!
 

* Zitate aus: Immanuel Kant: Über Pädagogik. Herausgegeben und mit einer Vorrede versehen von D. Friedrich Theodor Rink. Königsberg bey Friedrich Nicolovius, 1803. Zugänglich im Internet unter http://www2.ibw.uni-heidelberg.de/~gerstner/V-Kant_Ueber_Paedagogik.pdf; ebd. S. 22

Höchst bedenkenswert scheint mir auch in diesem Zusammenhang das Zitat einer Überlebenden aus dem KZ Auschwitz, Eva Kor, wenn sie etwas sagen dürfte bei der Gedenkfeier vor Staats- und Regierungschefs: „Ich würde sagen, Führer der Welt, haltet euer nächstes Treffen nicht in irgendeinem Schickimicki-Hotel ab, sondern hier an der Selektionsrampe. Denn ihr müsst verstehen: Wenn ihr nicht die Probleme der Weltwirtschaft gerecht löst und die Probleme zwischen den Menschen, dann könntet ihr an einem Ort wie diesem enden.“ (Wolfsburger Nachrichten Nr. 23, 70. Jg, vom 28. Januar 2015, S. 6 im Artikel „Rückkehr in die Hölle“). 

Der Text

Denn das Himmelreich gleicht einem Hausherrn, der früh am Morgen ausging, um Arbeiter für seinen Weinberg einzustellen.  Und als er mit den Arbeitern einig wurde über einen Silbergroschen als Tagelohn, sandte er sie in seinen Weinberg.

Und er ging aus um die dritte Stunde und sah andere müßig auf dem Markt stehen und sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg; ich will euch geben, was recht ist. Und sie gingen hin. Abermals ging er aus um die sechste und um die neunte Stunde und tat dasselbe. Um die elfte Stunde aber ging er aus und fand andere und sprach zu ihnen: Was steht ihr den ganzen Tag müßig da? Sie sprachen zu ihm: Es hat uns niemand eingestellt. Er sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg.

Als es nun Abend wurde, sprach der Herr des Weinbergs zu seinem Verwalter: Ruf die Arbeiter und gib ihnen den Lohn und fang an bei den letzten bis zu den ersten. Da kamen, die um die elfte Stunde eingestellt waren, und jeder empfing seinen Silbergroschen. Als aber die Ersten kamen, meinten sie, sie würden mehr empfangen; und auch sie empfingen ein jeder seinen Silbergroschen. Und als sie den empfingen, murrten sie gegen den Hausherrn und sprachen: Diese Letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, doch du hast sie uns gleichgestellt, die wir des Tages Last und Hitze getragen haben.

Er antwortete aber und sagte zu einem von ihnen: Mein Freund, ich tu dir nicht Unrecht. Bist du nicht mit mir einig geworden über einen Silbergroschen? Nimm, was dein ist, und geh! Ich will aber diesem Letzten dasselbe geben wie dir. Oder habe ich nicht Macht zu tun, was ich will, mit dem, was mein ist? Siehst du scheel drein, weil ich so gütig bin?

So werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein. 

Matthäus 20,1-16a
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Bild: Jens Schulze

Der Autor

Pastor Winfried Gringmuth ist Onlineredakteur im EMSZ, Evangelisches MedienServiceZentrum