Drei Bücher, zwei Diskutanten: Ralf Meister trifft Annalena Baerbock
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Ihre Tochter wollte die Weihnachtsgeschichte nicht mehr hören, erzählt Annalena Baerbock. "Mama, warum machen die ihre Tür nicht auf?", habe die Kleine immer wieder gefragt. Sie wollte wissen, warum niemand Maria und Josef Unterschlupf gewährte. Das war damals nach der "Flüchtlingskrise", erinnert sich die Grünen-Chefin. "Kinder haben ein starkes Gerechtigkeitsgefühl", sagt Baerbock. Bewahrten sich Erwachsene die kindliche Empathie, profitiere die Gesellschaft, betont sie und erntet Applaus. Im Literaturhaus "St. Jakobi" in Hildesheim hat sie am Freitagabend mit Landesbischof Ralf Meister über ihre Lieblingsbücher gesprochen.
Rund 200 Gäste sind gekommen, um Baerbock zu hören: die Frau, unter deren Co-Führung die Grünen erstmals in ihrer Geschichte auf das Kanzleramt zusteuern. Im November wurde Baerbock mit einem Rekordergebnis von 97,1 Prozent als Parteivorsitzende neben Robert Habeck wiedergewählt. Am diesem Sonntag ist die gebürtige Hannoveranerin 39 Jahre alt geworden. Die Bücher, die sie mitgebracht hat, sind - bis auf Astrid Lindgrens Kinderbuch "Ferien auf Saltkrokan" - keine leichte Kost. Doch das Publikum in der Kulturkirche folgt Baerbock bis zum Schluss aufmerksam.
Das Sachbuch "Die Welt ohne uns" des US-amerikanischen Wissenschaftsjournalisten Alan Weisman zeigt die Erde, nachdem der Mensch verschwunden ist. Die positive Botschaft: Der Planet mit all seiner Schönheit werde weiterbestehen, sagt Baerbock. Die negative: Auch die Umweltverschmutzung, die durch Fortschritt und Technik entstanden ist, überdauere eine lange Zeit. Meister nennt dies eine "Ewigkeitslast". Mit Blick auf dieses Spannungsfeld zwischen Mensch und Natur plaudert Baerbock dabei aus dem Politikerinnen-Nähkästchen: Kürzlich hätten die Grünen geradezu "endlos" darüber diskutiert, für wen sie in erster Linie Politik machten: für die Menschen oder die Umwelt. In der Folge beginne der Entwurf des Grundsatzprogramms, das die Partei zu ihrem 40. Bestehen im kommenden Jahr derweil neu entwickelt, nun mit dem Satz: "Im Mittelpunkt unserer Politik steht der Mensch in seiner Würde und in Freiheit."
Der Roman, den Baerbock dann vorstellt, lässt durchscheinen, wofür sie selbst brennt. Es ist "Tausend strahlende Sonnen" von Khaled Hosseini, eine Geschichte zweier Frauen im Afghanistan der vergangenen Jahrzehnte. "Dieses Buch hat mich nie losgelassen", sagt Baerbock. Als die Schauspielerin Michaela Allendorf eine Passage daraus vorliest, eine der harmloseren, wie Baerbock anmerkt, hört die Grünen-Chefin anders zu als bei den Büchern zuvor: Ihr Blick ist persönlicher geworden. Frauenrechte erlebten weltweit Rückschritte, sagt sie. In Ländern wie Russland oder der Türkei, aber auch den USA, nähmen die autoritären Tendenzen zu. "Das beginnt immer mit den Frauenrechten", warnt die Völkerrechtlerin. Was für die Frauen gelte, betreffe auch Minderheiten. "Frauenrechte sind ein Gradmesser für den Zustand der Demokratie". Die Entwicklungen der vergangenen Jahre sollten deshalb ernst genommen werden.
Auch Meister berichtet, dass das Buch ihn im Blick auf die Unterdrückung der Frauen zornig gemacht habe. Der evangelische Theologe fragt, wie ihre Situation in kriegsgeplagten Gebieten zum Besseren gewendet werden könne. Baerbock antwortet, es helfe, darüber zu sprechen und solidarisch zu sein: "Gerade Frauen müssen füreinander einstehen."
Evangelischer Pressedienst (epd)