Forschungsprojekt gestartet
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„Erforschung des Schicksals evangelischer Christen jüdischer Herkunft in der Zeit des Nationalsozialismus“
Mit ihrem Beschluss zu „Kirche und Judentum“ vom November 1995 hat die Synode der hannoverschen Landeskirche den Anstoß gegeben, ihre eigene Geschichte in der Zeit des National-sozialismus „sorgfältig und kritisch zu erforschen“ und in einem intensiven Gespräch das Verhältnis von Kirche und Judentum neu zu bestimmen. In Erinnerung ihrer Schuld hat die Synode dabei auch auf das Schicksal der Christen jüdischer Herkunft in der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft hingewiesen.
Nun ist unter dem Dach des landeskirchlichen Archivs in Hannover ein dreijähriges Forschungs- projekt eingerichtet worden, das sich ausschließlich dem besonderen Schicksal der Christen innerhalb der Landeskirche zuwendet, die, im Nationalsozialismus als Juden klassifiziert, der antisemitischen Verfolgung preisgegeben waren.
Im September 2003 hat die Historikerin
Dr. Uta Schäfer-Richter, die mit der Durchführung dieses Forschungsprojektes betraut worden ist, ihre Arbeit aufgenommen.
Die Christen jüdischer Herkunft befanden sich angesichts der nationalsozialistischen Judenverfolgung in einer besonderen Lage. Denn diese Christen, die oftmals in einer so genannten Mischehe lebten, hatten die religiöse Tradition ihrer Vorfahren verlassen, hatten sich der christlichen Umwelt in Deutschland vollständig assimiliert und waren in ihr zu Hause. Die antisemitische Politik riss Christen und deren Familien aus ihren Lebenszusammenhängen heraus und ließ sie das Schicksal der jüdischen Bevölkerung teilen: Wenn überhaupt, so waren sie nur geschützt durch ihren „arischen“ christlichen Ehepartner. Umso schmerzlicher war dies, als die meisten dieser Menschen einerseits den schützenden Raum entbehren mussten, den die Synagogengemeinden ihren Mitgliedern bis 1941/42 boten, andererseits aber in den eigenen Kirchengemeinden oftmals weder Schutz noch Beistand zu erwarten hatten.
Im Bereich der hannoverschen Landeskirche waren auch die Hilfen, die das von der Bekennenden Kirche getragene „Büro Grüber“ gewährte, kaum bekannt und – vermutlich – nur wenig genutzt. Mit Blick auf die Pastoren jüdischer Herkunft, die schon in den ersten Jahren des Nationalsozialismus aus ihren Ämtern gedrängt wurden und im Blick auf die Christen jüdischer Herkunft, denen 1942 die Teilnahme am kirchlichen Gemeindeleben untersagt wurde, hielt der Synodenausschuss „Kirche und Judentum“ in seinem Arbeitsbericht fest: „Im Ergebnis wurden wie im staatlichen Bereich so auch in der hannoverschen Landeskirche die Menschen jüdischer Herkunft ausgegrenzt.“
Doch über das genaue Schicksal dieser Mitglieder der hannoverschen Landeskirche ist wenig bekannt. Wir wissen nicht, wie groß diese Gruppe von Christen eigentlich war, in welchem Maße sie leiden musste und wie unterschiedlich Pastoren und Kirchengemeinden auf sie reagierten.
Ziel des nun eingerichteten Forschungsprojektes ist es, das Schicksal dieser Christen und die damalige Wahrnehmung ihres Leidens in der notwendigen Breite zu erforschen und darzustellen. Damit soll der Landeskirche wie den einzelnen Kirchengemeinden die Möglichkeit eröffnet werden, dieser Christen – wenn auch spät – zu gedenken, um schließlich schuldhafte Verstrickungen und eigenes Versagen zu erkennen und angemessen zu bekennen.
Darüber hinaus bedeutete die Lage der Christen jüdischer Herkunft und die Bedrohung ihres Lebens im Nationalsozialismus für die Kirchen eine besondere Herausforderung, indem sie unmittelbar Fragen des eigenen Bekenntnisses berührte. Denn die rassistische Klassifizierung der Christen jüdischer Herkunft durch die Nationalsozialisten widersprach dem christlichen Verständnis der Taufe als dem allein bestimmenden Moment der Kirchenmitgliedschaft. So ist der Umgang der Kirchenge-meinden, Christen und Pastoren, wie auch der Kirchenleitung mit den christlichen Brüdern und Schwestern jüdischer Herkunft ein Prüfstein, ob und inwieweit der nationalsozialistische Antisemitismus in den kirchlichen Raum hineinreichte.