Startseite Archiv Nachricht vom 09. Mai 2023

„Frauen auf ihre Mutterrolle zu reduzieren, ist hochproblematisch“

Theologin Maren Bienert über die christlichen Bezüge des Muttertags

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Hildesheim. Am Muttertag scheiden sich die Geister. Für die einen symbolisiert er reaktionäres Festhalten an antiquierten Frauenbildern, für die anderen ist er ein Ausdruck der Wertschätzung für die meist unentgeltliche Care-Arbeit von Müttern. Die evangelische Theologin Maren Bienert (40), die derzeit ein fächerübergreifendes Forschungsprojekt zu sexual- und familienethischen Fragen plant, wünscht sich vor allem Aufmerksamkeit für alle Menschen, die Sorgearbeit leisten. Zudem warnt die Professorin für Systematische Theologie an der Universität Hildesheim im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) davor, die Mutterschaft mit Erwartungen zu überfrachten.

Marienstatue - Bild: Leseratte/pixabay

epd: Frau Bienert, obgleich der Muttertag auf die US-amerikanische Frauenrechtlerin Ann Maria Reeves zurückgehen soll, wirkt das Frauen- und Mutterbild, das sich mit ihm verbindet, aus Sicht vieler heutiger Feministinnen reichlich antiquiert. Gehört der Muttertag in die Mottenkiste?
Maren Bienert: Ich würde mir andere Formen und eine viel stetigere gesellschaftliche Anerkennung für Mütter wünschen. Problematisch finde ich die traditionelle Version des Muttertags vor allem, weil sie letztlich eher unsichtbar macht, was Mütter leisten, auch in welcher Vielfalt sie dies tun - und das oftmals alleine.
Wenn der Muttertag hingegen stärker dazu anregen würde, in der Breite wahrzunehmen und anzuerkennen, worin die Leistungen von Müttern bestehen, wäre die Kritik hinfällig. Diese Wahrnehmung und Anerkennung könnte sich etwa konkretisieren im Einsatz für bessere Regelungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf und mehr Anerkennung für Care-Arbeit, für besser finanzierte Geburtshilfe und eine effektivere Unterstützung für alleinerziehende Mütter. Einen wichtigen Punkt möchte ich von der Kritik ausnehmen: Wenn Kinder ihren Müttern anlässlich des Muttertags eine Freude machen möchten, ist dagegen natürlich überhaupt nichts einzuwenden.

epd: Maria, die keusche, duldsame Gottesmutter, ist, zumindest in der katholischen Kirche bis heute ein Urbild des Weiblichen. Inwieweit hat das einen bestimmten „Mutterkult“ geprägt?
Bienert: Vom biblischen Befund ausgehend muss man nicht bei dieser Vorstellung einer passiven Maria landen. Weiblichkeit und Mütterlichkeit finden zum Beispiel in dem „Loblied der Maria“ eine andere Verknüpfung: Da wird eine junge Frau vorgestellt, die ihren Gott an der Seite der Unterdrückten, Armen und Schwachen weiß und die von sozialen Umstürzen singt. Diese Beobachtungen werden und wurden auch prominent in feministischen Theologien vorgetragen, die in breiten Teilen ökumenisch geprägt sind. Und zu heutigen Aspekten: Wenn Frauen auf ihre Mutterrolle reduziert werden oder im Muttersein von außen her die Bestimmung von Frauen gesehen wird, ist das hochproblematisch.

epd: Der Protestantismus hat einen anderen Frauentypus hervorgebracht: Die Pfarrfrau, die - etwas überzeichnet formuliert - gute Seele der Gemeinde, Hüterin einer Kinderschar und wichtigste Unterstützerin ihres Mannes ist. Ein derartiges Rollenbild existiert in Bezug auf Pfarrmänner nicht. Können Sie mit dem klassischen Bild der Pfarrfrau etwas anfangen?
Bienert: Ich halte mich zurück, Lebensentwürfe zu beurteilen. Mir wäre allerdings immer wichtig, sichergestellt zu wissen, dass Frauen sich ihre Lebensführung und -konstellationen aussuchen und ihnen auch Alternativen offenstehen. Gerade, was das Thema Kinder bekommen angeht, wissen wir jedoch auch, dass wir nicht unbegrenzt freie Wahl haben. Zum Beispiel bleibt das Zustandekommen einer Schwangerschaft letztlich etwas Unverfügbares. Wir wissen, dass es viele Menschen gibt, die ungewollt kinderlos sind und die Fehlgeburten erlebt haben. Zugleich gibt es Frauen, die sich schlicht keine Kinder wünschen oder mit ihrem Muttersein hadern.
Vor allem um dieser Menschen willen sind Erwartungen an Frauen, dass sie Mütter werden sollten oder Haltungen, die nur genetisches und biologisches Muttersein anerkennen, zu problematisieren: Denn sie verletzen Menschen. Die reformatorische Hochschätzung des Kinderbekommens und Familienlebens schillert mindestens ambivalent, sobald Frauen auf diese Ideen reduziert werden oder unerbittliche Erwartungshaltungen mit ihnen einhergehen. Negativ auffällig ist da freilich auch die Ungleichstellung von Männern und Frauen.

epd: Martin Luther hat sich - wie vermutlich die meisten Männer vor 500 Jahren - nicht allzu wertschätzend über Frauen geäußert. Überliefert sind Aussprüche wie „Die größte Ehre, die das Weib hat, ist allzumal, dass die Männer durch sie geboren werden“ oder dass Frauen zur Häuslichkeit bestimmt sind, weil sie einen „breiten Podex und weite Hüften haben, dass sie sollen stille sitzen“. War Luther ein Chauvi - und wirkt das bis heute in der evangelischen Kirche nach? 
Bienert: Ich denke, es ist zum einen wichtig, sich klarzumachen, dass auch das evangelische Christentum viel patriarchales Denken in sich trägt. Das lässt sich nicht nur an Luther festmachen. Ich würde auch nicht erwarten, dass ein Denker des 16. Jahrhunderts modernen Ansichten entspricht. Entscheidend ist ohnehin vielmehr unser Umgang mit diesen Quellen und was wir aus ihnen lernen wollen. Aus welchen theologischen Gründen können wir patriarchialen Komponenten der christlichen Tradition widersprechen? Das kann übrigens auch heißen, Luther gewissermaßen gegen Luther zu lesen. Paradoxerweise ließe sich nämlich gerade der in Luthers Werk entfaltete Sinn für Emanzipation aller Christenmenschen gegen Luther selbst lesen, zum Beispiel ausgehend von seinem Freiheitsbegriff.

epd: In Zeiten, in denen die binäre Geschlechterordnung zunehmend infrage gestellt wird, könnte darüber diskutiert werden, ob wir statt eines Muttertages nicht einen geschlechterübergreifenden „Elterntag“ für Männer, Frauen, queere und nonbinäre Menschen in familiärer Verantwortung brauchen. Eine sinnvolle Idee?
Bienert: Unbedingt. Das ist in meinen Augen definitiv eine Verbesserung im Vergleich zum Muttertag und Vatertag, wie sie hierzulande kultiviert und gelebt werden. Damit würden gleich mehrere Familienkonstellationen aufgewertet und Menschen sichtbar gemacht, die für Kinder Eltern sind und familiale Verantwortung übernehmen. Nicht zuletzt Väter, die in ihrer Übernahme von Care-Arbeit und Fürsorge für ihre Kinder gern ernster genommen werden wollen, als es der herkömmliche Vatertag mit Bollerwagen und Bier suggeriert. Einzelne Feiertage können symbolpolitisch ein guter Anfang sein. Wichtiger ist aber, was an den restlichen 364 Tagen des Jahres passiert.

epd Niedersachsen-Bremen
Theologin Maren Bienert - Bild: Universität Hildesheim