Gerhard Wegner: Jüdisches Leben muss öffentlich wahrnehmbar sein
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Hannover. Der evangelische Theologe Gerhard Wegner nimmt am 1. Februar sein Amt als neuer Landesbeauftragter gegen Antisemitismus und für den Schutz jüdischen Lebens in Niedersachsen auf. Ihm sei wichtig, dass jüdisches Leben öffentlich sichtbar ist, sagte der 69-Jährige im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) – auch mit Blick auf den Holocaust-Gedenktag am 27. Januar. Wegner leitete bis 2019 das Sozialwissenschaftliche Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Seine neue Aufgabe ist ein Ehrenamt.
Herr Wegner, Sie übernehmen das Ehrenamt des niedersächsischen Antisemitismus-Beauftragten. Was liegt für Sie da vorne an?
Gerhard Wegner: Ich knüpfe an das an, was mein Vorgänger Franz Rainer Enste aufgebaut hat – als professioneller Netzwerk-Knüpfer im Kampf gegen Antisemitismus und für den Schutz jüdischen Lebens. Er hat den Grundstein für die Arbeit des Landesbeauftragten gelegt, und in diese Richtung wird es weitergehen.
Es hat einen Zuwachs von zuletzt 29 Prozent an antisemitischen Straftaten in Deutschland gegeben. Da muss mehr als bisher passieren, auch wenn schon vieles sehr gut läuft. Und dazu gehört vor allem, dass jüdisches Leben in der Breite der Gesellschaft gut sichtbar ist. Mir ist zudem wichtig zu schauen: Was wirkt gegen Antisemitismus und was wirkt eher nicht? Ich komme ja aus den Sozialwissenschaften und würde das gerne näher ergründet wissen. Zentral ist die Frage: Wo gibt es Situationen und Gelegenheiten, die Antisemitismus befördern? Und wie kann man in diesen Situationen präventiv eingreifen?
Wie kann das heutige jüdische Leben sichtbarer werden?
Wegner: Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hat kürzlich angekündigt, er wolle die jüdische Feiertagskultur stärken, besonders mit Blick auf den Sabbat. Da gibt es offenbar Konflikte, zum Beispiel bei Prüfungen an den Universitäten, die sonnabends stattfinden und an denen jüdische Studierende und Studienbewerber deshalb nicht teilnehmen können. Das ist ein wichtiger Punkt, den ich gerne unterstützen möchte.
Mit Blick auf den Holocaust-Gedenktag am 27. Januar gibt es immer wieder Forderungen, dass alle Schülerinnen verpflichtend eine Gedenkstätte für ein früheres Konzentrationslager besuchen sollten. Was halten Sie davon?
Wegner: Ich bin schon der Meinung, dass alle Schülerinnen und Schüler eine KZ-Gedenkstätte besichtigt haben sollten. Aber anordnen sollten wir das nicht. Das sagen ja auch die Mitarbeitenden der Gedenkstätten selber. Wer gezwungen wird, lernt nichts dabei oder gar das Falsche. Allerdings bin ich dafür, die jungen Menschen zu motivieren.
Ein guter Geschichtsunterricht ist da nur ein Weg von vielen, ebenso wie digitale Angebote. Nötig sind auch Erfahrungen mit jüdischen Menschen, und das können heute nicht mehr oder nur begrenzt die Überlebenden der Shoah als Zeitzeugen sein. Interessant ist der Vorschlag des Jüdischen Weltkongresses, in Deutschland ein zentrales Holocaust-Museum einzurichten – gerade im Blick auf jüngere Menschen. Ähnlich wie Yad Vashem in Israel. Andererseits haben wir in Deutschland ja die Gedenkstätten an den Orten ehemaliger Konzentrationslager. Und deren Besuch hat Wirkung. Vielleicht braucht es eher eine Art digitales Yad Vashem.
epd-Gespräch: Karen Miether