„Zur Hoffnung besteht mehr als genug Anlass“
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Hannover. Krieg, Krisen, Pandemie-Folgen: Weihnachten und der Jahreswechsel vollziehen sich in diesem Jahr in ungewissen Zeiten. Der hannoversche Landebischof Ralf Meister blickt dennoch mit Zuversicht in die Zukunft: Viele kleine und größere Glücksmomente, die fast alle Menschen tagtäglich erlebten, zeigten, dass die Wirklichkeit viel mehr biete als nur Schreckensnachrichten, sagt der Leitende Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Zudem sei selbst in apokalyptisch scheinenden Zeiten eine Wende zum Guten möglich.
Inmitten von Krieg und Krisen vollzieht sich der Übergang von einem äußerst schwierigen Jahr in ein neues, voraussichtlich ebenso schwieriges. Ist die Welt ein hoffnungsloser Ort geworden?
Ralf Meister: Wenn ich die Zeitung aufschlage, könnte mir der Zustand der Welt tatsächlich reichlich hoffnungslos vorkommen. Kaum eine Zeile, die nicht von Krieg und Krisen handelt oder darauf anspielt. Gerade angesichts der vielen Hiobsbotschaften finde ich es reizvoller, von der Hoffnung zu sprechen. Und zur Hoffnung besteht – trotz allem – mehr als genug Anlass. Die Welt ist in vielen kleinen Momenten unseres Alltags oft besser als wir sie sehen. Unsere Sicht mag daran liegen, dass der metaphysische Hoffnungsschirm über uns rissiger geworden ist und die schlechten Nachrichten heftiger auf uns niederregnen.
Aber gerade, weil diese Zeit so viele schlechte Nachrichten schreibt, muss doch gefragt werden: Woher soll die Hoffnung kommen?
Meister: Tagtäglich erleben Menschen kleinere und größere Glücksmomente, denen sie in der Hektik des Alltags womöglich kaum Bedeutung beimessen – die aber doch die Gegenwart von etwas Größerem erahnen lassen. Du wachst morgens neben dem Menschen auf, den du liebst. Du führst ein gutes Gespräch, lachst mit deinen Kindern, freust dich über den unverhofften Anruf eines alten Freundes nach Jahren der Funkstille. Solche Erfahrungen scheinen in den Hintergrund zu treten gegenüber den grausamen Bildern aus der Ukraine und beunruhigenden Nachrichten von durchfrorenen Wintern und zunehmenden sozialen Verwerfungen in unserer Gesellschaft. Aber auch diese Erfahrungen zählen. Sie lassen mich an die Weihnachtsgeschichte denken: Im unscheinbaren Stall von Bethlehem, inmitten von Stroh und Dreck, ausgerechnet dort wächst Hoffnung – und das Versprechen, dass Gottes Reich kommt.
Sagen Sie das mal den vielen Geringverdienern, die ganz banale Sorgen haben und zum Beispiel gerade nicht wissen, ob sie die nächste Heizkostenabrechnung tragen können ...
Meister: Klar, angesichts solcher konkreten Sorgen kann das christliche Versprechen auf eine kommende positive Welt auch als zynisch empfunden werden. Deshalb muss zuerst alles getan werden, um das Prekäre, Demütigende, Schmerzhafte aus der Lebenssituation von Menschen in Not zu nehmen. Die gerade aus der Ukraine geflüchtete Mutter etwa, deren Mann im Krieg erschossen wurde, wird berechtigterweise sagen, ich sei verrückt, wenn ich ihr mit dem Reich Gottes komme. Sie wird einwenden, dass sie jetzt erst einmal ein Dach über dem Kopf braucht, Nahrung, Kleidung, einen Schulplatz für ihre Tochter, psychologische Betreuung. Erst wenn all diese Grundbedürfnisse gestillt sind, kann die zweite Geschichte folgen und darin die Frage der Hoffnung: Die Sehnsucht nach einer Erzählung, die ihren fürchterlichen Erfahrungen Sinn und eine lichtere Perspektive entgegensetzt. Hoffnung, die ihr sagt, dass Schmerz und Verzweiflung nicht das letzte Wort haben.
Sie sagten eingangs, dass unsere Zeit stärker von Schreckensnachrichten bestimmt wird als Ihnen lieb ist. Zugleich haben sie jüngst wiederholt das Bild der Apokalypse als theologischen Hintergrund für öffentliche Reden bemüht. Drastischer geht es ja nun nicht ...
Meister: Das könnte man meinen – aber tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Ich habe bewusst die Offenbarung des Johannes, die Apokalypse, als Eingangsbild gewählt, um die gerade herrschende Weltuntergangsstimmung aufzugreifen und im biblischen Sinn zu wenden: Die Apokalypse wird heute verstanden als das Ende einer Welt, dabei ist sie ursprünglich der Beginn einer neuen Welt und einer guten Perspektive. Die biblische Apokalypse endet nicht dramatisch, sondern hoffnungsvoll.
Was manchen Menschen Kraft zum Durchhalten geben mag, könnte von anderen als eine Einladung zu Passivität und Fatalismus verstanden werden, nach dem Motto: Warum jetzt diese vielen gigantischen Probleme anpacken, wenn irgendwann sowieso eine bessere Welt kommt?
Meister: Wenn wir wirklich verstehen, dass wir mit Umweltverschmutzung und Kriegen Barbarei gegen die Schöpfung, gegen das Eigentum Gottes, begehen, folgt daraus, zumindest aus christlicher Perspektive, kein Stillhalten, sondern Handlungsdruck: Wir müssen alles Menschenmögliche tun, um den Klimakollaps abzuwenden und die Gewalt in der Welt zu beenden. Hoffnung ist kein Ruhekissen, sondern Zuspruch und Ertüchtigung zugleich.
Zugleich sollten wir aber auch sehen, dass die Zukunft nicht allein von unserem Denken und Handeln abhängt. Sie ist nicht allein unser Werk. Die Hoffnung, von der ich spreche, ist einerseits die Gewissheit, dass unser eigenes gutes Handeln immer mit dem Rückenwind Gottes stattfindet. Andererseits verknüpft sich diese Hoffnung auch mit der Einsicht in die eigenen Grenzen und Möglichkeiten.
Zur mehr Hoffnung und Tatkraft aufzurufen, um die Welt zum Besseren zu wenden, ist ehrenhaft. Aber müssen kirchliche Protagonisten nicht auch viel vernehmlicher politische Forderungen aufstellen, damit – etwa bei der Begrenzung des Klimawandels – schneller etwas vorangeht?
Meister: Was zunehmend in Vergessenheit gerät, ist, dass jede Pastorin, jeder Pastor und so auch ich als Bischof vor allem aus geistlicher Perspektive sprechen. Selbst, wenn mancher Debattenbeitrag aus dem kirchlichen Raum politische Wirksamkeit entfalten mag: Wir sind keine Politiker, aber nahezu alles, was wir öffentlich äußern, wird zuerst politisch gedeutet oder instrumentalisiert. Die Bibel ist kein politisches Programm. Wer jedoch aus ihren Geschichten, die immer Geschichten sind zwischen Gott und Mensch, Handlungsperspektiven zieht, wird immer ein politisch handelnder Mensch sein.
Auch in anderen Zusammenhängen erlebe ich, dass es Befremden auslöst, wenn Menschen aus ihrem christlichen Glauben heraus argumentieren und ihre Haltung und ihr Handeln etwa mit den Zehn Geboten begründen. Glauben als innere Motivation, die über unmittelbar greifbare Ziele und enge Zeithorizonte hinausgeht, die sich womöglich auf eine erst in der Ferne sichtbare Hoffnung bezieht, scheint in unserer Gesellschaft immer weniger verstanden zu werden. Dabei wird gerade mit der Weihnachtsgeschichte gezeigt, dass mit jedem Neugeborenen die Fähigkeit entsteht, einen vollständig neuen Anfang zu machen, der diese Welt verändern kann.
epd-Gespräch: Daniel Behrendt