„Ohne Gedenken an die Opfer darf diese WM nicht beginnen“
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Hannover. DFB-Vizepräsident Ralph-Uwe Schaffert hat die Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft an Katar als einen Fehler bezeichnet. „Der DFB hat sich in dieser Frage deutlich, wenn auch spät positioniert“, sagte Schaffert am Sonntagabend in der Marktkirche in Hannover, während die Mannschaft des WM-Gastgebers ihr Auftaktspiel 0:2 gegen Ecuador verlor. Landesbischof Ralf Meister hatte zeitgleich zum Eröffnungsspiel zu einer Diskussion über die Menschenrechte in Katar eingeladen. Neben Schaffert, der auch Präsident des Niedersächsischen Fußballverbands ist, sprach Mathias John von Amnesty International.
„Trotz tropischer Hitze ist diese WM kein Sommermärchen“, sagte Meister. Sie werde überschattet von prekären Arbeitsbedingungen und tausendfachen Todesfällen. „Ohne Gedenken an die Opfer darf diese WM nicht beginnen.“ Im NDR-Zwischenruf hatte sich Meister zuvor dafür ausgesprochen, dass bei künftigen Sport-Großereignissen die Einhaltung von Menschenrechten und der Klimaschutz entscheidende Kriterien sein müssten: „Eine Mehrheit derjenigen, die Einfluss haben, muss dafür sorgen, dass Themen wie Menschenrechte, Umwelt- und Klimaschutz, Nachhaltigkeit ausschlaggebend dafür sind, wo ein Sportgroßereignis stattfindet. Erst dann wird sich etwas ändern. Und wir müssen das einfordern.“
John wies darauf hin, dass „die miserable Lage der Arbeitsmigranten schon 2010 bei der Vergabe bekannt“ gewesen sei. Die Menschen aus südasiatischen und afrikanischen Ländern seien „falschen Versprechungen der Vermittlungsagenturen“ gefolgt, sagte der Amnesty-Experte für Wirtschaft und Menschenrechte. Darüber hinaus würden Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Versammlungsfreiheit unterdrückt. „Die FIFA versucht, berechtigte Kritik daran ins Abseits zu stellen und verstößt damit gegen die eigenen Regeln“, unterstrich John.
Schaffert begründete die deutlichen Töne des DFB mit der neuen Verbandsführung. Den im März 2022 gewählten Präsidenten Bernd Neuendorf hätten die jüngsten Äußerungen von FIFA-Boss Gianni Infantino „einigermaßen irritiert und auch verstört“. Infantino hatte laut Neuendorf in einem Schreiben gefordert, „dass die Menschenrechte jetzt keine Rolle mehr spielen und wir uns hier auf den Fußball konzentrieren sollen“. Kritik vor allem aus Europa an WM-Gastgeber Katar hatte Infantino zuletzt als „heuchlerisch“ bezeichnet.
Schaffert ergänzte, dass die Position des DFB - unter anderem verweigert er die Unterstützung für eine Wiederwahl Infantinos - ihren Preis habe und wohl dazu führen werde, dass die Frauen-WM 2027 nicht nach Deutschland, Belgien und in die Niederlande vergeben wird. Die Nachbarländer, die sich gemeinsam mit Deutschland um die Ausrichtung beworben hatten, seien daher „nicht so gut auf uns zu sprechen“. Er stehe jedoch dazu: „Menschenrechte sind nicht teilbar.“
Der DFB-Vize erinnerte daran, dass die deutsche und die französische Regierung aus wirtschaftlichen Gründen seinerzeit sehr interessiert an einer WM-Vergabe nach Katar gewesen seien. Deutsche Firmen hätten beim Aufbau der Infrastruktur mehr als 50 Milliarden Euro verdient – unter Beschäftigung der Arbeitsmigranten. „Von diesen Firmen hört man in dieser Situation nichts“, kritisierte Schaffert. Sie versteckten sich hinter der Politik und dem DFB. „Das ist beschämend.“
Allerdings gebe es auch außerhalb Europas kaum Verständnis für die massive Kritik aus Deutschland, sagte der Fußball-Funktionär aus Hildesheim. Der DFB unterstütze gleichwohl die Forderung von Organisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch nach Einrichtung eines Entschädigungsfonds für die Familien von verstorbenen oder verletzten Arbeitern. Katar lehnt dies ab. Ob sich die Entwicklung im Weltfußball zum Besseren wende, sei fraglich, so Schaffert: „Die nächste zu vergebende WM 2030 wird wohl in China stattfinden. Das ist die Realität.“
Meister regte zu Diskussionen in der Familie, im Freundeskreis oder mit Kolleginnen und Kollegen an: „Welchen Stellenwert haben für uns Menschenrechte? Unter welchen Bedingungen wird unsere Kleidung produziert oder unsere Nahrung? Welche Abstriche machen wir, um endlich wirksamen Klimaschutz zu ermöglichen? Und welche Kompromisse halten wir aus – beispielsweise in der Energiefrage?“
epd Landesdienst Niedersachsen-Bremen