Friedhöfe als Orte des Lebens entwickeln
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Hannover. „Wenn Kirchengemeinden in ihren Friedhöfen nur abgeschiedene Orte der Ruhe sehen, verpassen sie eine große Chance“, sagt Dr. Matthias Surall, Leiter des Arbeitsfeldes Kunst und Kultur im Haus kirchlicher Dienste (HkD). „Friedhöfe bergen Schätze des Lebens, sie sind theologisch-spirituell aufgeladene Orte, sie bewahren und entwickeln unsere Kultur.“ Nicht zuletzt seien Friedhöfe auch Orte der Kirchenpädagogik und Brücken in die säkulare Gesellschaft, zählt Surall auf. „Fokus Friedhof, kunstvoll, spirituell, lebensnah“ ist der Titel eines Fachtags, bei dem es um all die bisher unterschätzten Aspekte von Friedhöfen, speziell auch im ländlichen Raum, gehen soll. Er findet am Mittwoch, 11. Mai, von 10 bis 16.30 Uhr in der Kirche und im Gemeindehaus der Evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Herrenhausen-Leinhausen (Hegebläch 18, Hannover) statt und wendet sich an haupt- und ehrenamtliche Interessierte.
Für Surall sind Friedhöfe „Lernorte“, Kunst und Kultur spielten dabei eine zentrale Rolle. „Wir sind alle vertraut mit der Symbolik von Grabgestaltungen, werden berührt von trauernden Engeln auf Familiengräbern oder kunstvoll gemeißelten Grabsteinen“, sagt der Kunstexperte. „Hier können wir etwas über die Sehnsüchte, aber auch Ängste der Menschen lernen, beispielsweise den Wunsch nach Überdauern durch Erinnerung oder nach einem allumfassenden Aufgehobensein nach unserem Tod.“ Surall wird mit den Tagungsteilnehmenden auch bei Exkursionen zwei hannoversche Friedhöfe besuchen und dort ihren Blick für die „Schatzkiste Friedhof“ schärfen. „Natürlich müssen Kirchengemeinden ihren Friedhof heutzutage auch immer unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten sehen, doch für die Zukunftsentwicklung ist es von großem Vorteil, wenn sie ihren Friedhof auch als theologischen und kulturellen Kristallisationspunkt begreifen“, sagt er. Hilfreich dabei sei auch das Hauptreferat des Workshops, das Professor Norbert Fischer vom Institut für Empirische Kulturwissenschaft der Universität Hamburg hält. Titel des Vortrags ist „Die Zukunftsfähigkeit des Friedhofs aus Geschichte, Gegenwart und neuen Visionen heraus“.
Für Professorin Dr. Julia Helmke, im Landeskirchenamt der Evangelisch-lutherischen Landeskirchen Hannovers unter anderem für Theologie, Kunst und Kultur zuständige Oberkirchenrätin, ist der Fachtag „eine gute und produktive Chance, die verschiedenen und zum Teil sehr unterschiedlichen Perspektiven zum Thema Friedhof gebündelt und konzentriert in einer gemeinsamen Tagung zu erleben.“
Oberkirchenrätin Erika Marten, in der Landeskirche für Friedhofsangelegenheiten zuständig, sieht den Fachtag als Möglichkeit, „den eigenen Friedhof mit neuen Augen zu sehen und gerade auch die unter Umständen versteckten kulturellen Aspekte wahrzunehmen und der Öffentlichkeit zu vermitteln“.
Neben dem Hauptreferat können die Teilnehmenden zwischen acht Workshops wählen. Schwerpunkte dabei sind die Entwicklung von Friedhöfen als Orte für Kunst und Kultur, der Umgang mit dem Kriegsgedenken auf Friedhöfen und dem Wandel der Trauerkultur und darin liegenden Chancen neuer Trauer- und Bestattungsformen. Lebensnahe Praxisbeispiele und konkrete Ideengewinnung stehen dabei für Surall im Vordergrund. So erfahren die Teilnehmenden beispielsweise, wie Friedhöfe in Osnabrück, Eystrup oder Himmelsthür durch Kooperationen mit zeitgenössischen Künstlern zu Orten kultureller Begegnung und vertiefter Spiritualität entwickelt worden sind. Das reiche von experimentellen Engeldarstellungen bis zu musikalischen Crossover-Projekten, beschreibt Surall.
Heikel sei für viele Kirchengemeinden oft der Umgang mit Kriegsdenkmälern auf ihren Friedhöfen, berichtet er. Ein hannoversches Beispiel zeige einen „ermutigenden Mittelweg zwischen Bewahrung und Umgestaltung solcher Denkmäler“. Für einen Workshop über neue Trauerformen hat der Fachbereichsleiter den Popkantor der hannoverschen Landeskirche, Til von Dombois, gewonnen. Zusammen mit seiner Band wird von Dombois den Teilnehmenden Popularmusik vorstellen, die für Traueranlässe geeignet ist. „Die Bedürfnisse der Menschen bei der Gestaltung ihrer Trauerfeiern haben sich geändert und hier müssen wir als Kirche nah an ihrer Lebenswelt sein und Musik auch zusätzlich zu den bekannten Liedern von Paul Gerhardt oder Nikolaus Graf von Zinzendorf anbieten“, sagt Surall. „Der ‚Fokus Friedhof‘ soll eben nicht nur rückwärtsgewandt sein, Friedhöfe sind Orte mitten in unserem heutigen Leben.“