"Wir schieben Menschen schnell in Schubladen"
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Stade. In einem Gastspiel bringt das Nationaltheater Mannheim am Mittwoch (16. März) den Monolog „Judas“ mit dem querschnittgelähmten Schauspieler Samuel Koch in Stade bei Hamburg auf die Bühne. In dem Stück der niederländischen Dramatikerin Lot Vekemans zeichnet Koch mit einem Solo-Abend ein differenziertes Bild von dem Menschen, der bis heute oftmals nur als Verräter abgestempelt wird. „Wir schieben Menschen schnell in Schubladen, ohne die Zusammenhänge wirklich zu kennen“, warnt er im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).
epd: Herr Koch, Sie sind bereits seit 2018 mit dem Judas-Monolog auf der Bühne. Wie sind Sie auf den Stoff gekommen?
Samuel Koch: Der Urheber des Gedankens lag beim Nationaltheater in Mannheim. Als neues Ensemblemitglied wurde ich zunächst sehr vorsichtig gefragt, ob ich mir diesen Monolog über Judas vorstellen könne. Der Name ist ja belastet. So ist es beispielsweise gesetzlich verboten, einen Neugeborenen Judas zu nennen. Ich habe mich dann für die Rolle entschieden, habe mich reingefuchst in das Thema. Und bei der Vorbereitung jetzt merke ich mehr denn je, wie aktuell der Stoff ist. Denn Judas war ja nicht alleine schuld, man kann ihn nicht alleine verurteilen. Da gab es noch so viele Menschen voller Hass, Wut, Kummer, Misstrauen, Enttäuschung und Schmerz. Das zeigt, wie wir oft urteilen: Wir schieben Menschen schnell in Schubladen, ohne die Zusammenhänge wirklich zu kennen. Das sind Aspekte, die mich gereizt haben, in diesen Stoff einzudringen. Und ich spiele ihn bis heute gerne.
epd: Wofür steht Judas für Sie, wie sehen Sie das persönlich?
Koch: Die Fragen, die im Zusammenhang mit der Figur des Judas auftauchen, sind auch meine persönlichen Fragen und Zweifel. Ja, er hat einen Freund verraten, da kann man sagen, das ist schwer verzeihlich - ich finde nicht unverzeihlich. Aber er ist eben auch viel mehr als ein Verräter. Judas ist ein Mensch, der Verrat begangen hat, ja. Aber er ist zuerst Mensch, ein Mensch, der einen Fehler gemacht hat. Judas hat eine Vergangenheit, eine Kindheit, einen Kontext. So wie ich, wenn ich noch persönlicher werde, mehr bin als einer, der einen Unfall hatte, mehr als der Rollstuhlfahrer. Da gibt es immer noch eine Geschichte dahinter. Judas ist so viel mehr Mensch als die Stigmatisierung als Verräter.
epd: Steckt der Verrat nicht ohnehin in jedem von uns?
Samuel Koch: Ja, Verrat, Treue, Untreue - Judas hält uns in dem Monolog den Spiegel vor und fragt zurück: Hast du schon für deine Fehler bezahlt, bist du perfekt? Ich möchte mit dem Monolog zum Nachdenken anregen, den Kopf öffnen für neue Gedanken. Vielleicht auch Herzen erweichen, wenn Judas über Vergebung spricht. Ganz aktuell geht es mir auch darum, über Gefühle wie Hass und Wut nachzudenken. Wenn das gelingt - das wäre schon mehr, als man sich wünschen kann.
epd Landesdienst Niedersachsen-Bremen