Abschieds-Interview mit Regionalbischof i. R. Eckhard Gorka
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Am Klingelschild am Sitz des Regionalbischofs an der Hildesheimer Michaeliskirche steht noch der Name Gorka – privat ist er mit Ehefrau Marianne bereits vor einigen Wochen in Hildesheim umgezogen.
Das Arbeitszimmer an der Michaeliskirche ist leergeräumt, nur wenig ist noch vom weichen Duft von Pfeifentabak und schwarzem Tee zu riechen: Regionalbischof Eckhard Gorka (65) ist in den Ruhestand getreten. Kistenweise Bücher, Reden, Examensprüfungen haben Gorka und seine Sekretärin Karin Nordmann in den letzten Tagen aussortiert, der Abschied vom Amt war so in greifbare Nähe gerückt. Eckhard Gorka, der weiterhin Abt des Klosters Amelungsborn bei Holzminden bleibt, aber bläst keine Trübsal und hat Pläne für die Zukunft.
Der Aufgabenbereich eines Regionalbischofs ist konkret und offen zugleich. Wie würden Sie Ihre Zeit im Amt umschreiben?
(Eckhard Gorka:) Wir sind so eine große Kirche, dass der Landesbischof die Aufgaben nicht alle alleine wahrnehmen kann. Dafür gibt es dann sechs Regionalbischöfe – oder früher halt Landessuperintendenten. Das Amt wurde 1936 eingerichtet, damit Pastoren – damals ja nur Männer – in der Seelsorge einen Ansprechpartner hatten und eben nicht nur mit dem Bischof, der mit den politischen Größen Kontakt in persönlichen Fragen aufnehmen musste. So konnten Pastoren auch politisch bedrängende Probleme ansprechen.
Und auf der anderen Seite ist es ein großer Vorteil für Regionalbischöfe, dass sie nicht das Landeskirchenamt sind und so leichter Ansprechpartner oder Ansprechpartnerinnen für Pastoren und Pastorinnen und kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Das bietet eine andere Möglichkeit, miteinander ins Gespräch zu kommen, ohne gleich einen ganzen Apparat bedienen zu müssen.
Also wirken Sie eher innerkirchlich oder eher netzwerkend nach außen?
Ein früherer Landessuperintendent sagte mal: „Der Landessuperintendent kommt, wenn es feierlich oder fürchterlich ist.“ Wir begleiten Gemeinden an guten Tagen und in Konflikten, sind als Visitatoren in den Kirchenkreisen unterwegs und nehmen so Aufsichtsfunktionen wahr. Aber natürlich gibt es auch Feste, Ordinationen und Einweihungen. Und dazu gehört eben auch, dass wir Kirche in der Öffentlichkeit vertreten und ansprechbar sind.
Welches waren die prägendsten Momente und Entwicklungen?
Nach dem Gräuel des Holocaust und den Verstrickungen der Kirchen in der Nazizeit, gehörte es zu den Sternstunden in der Synode, die Aussöhnung von Christen und Juden erleben zu dürfen.
Und andererseits die Frage der Kirchenentwicklung in Zeiten absinkender Mitgliedszahlen, also einer lockeren Bindung zur Kirche. Ich habe in meiner ganzen Dienstzeit – die begann 1981 als Vikar, 1984 als Pastor – keine Kirche im Stillstand erlebt. Zu den wirklich herausragenden Dingen gehörte sicherlich das 500-jährige Reformationsjubiläum, das 1000-jährige Jubiläum von Sankt Michael, meiner Predigtstätte in Hildesheim.
Worauf freuen Sie sich?
Ich muss nicht immer in der ersten Reihe sitzen. Ein paar Jahre werde ich ja noch Abt des Klosters Amelungsborn bleiben und da gibt es noch einige Projekte. Ansonsten werde ich versuchen, mein Lese-Defizit zu verringern. Aber ich bin sowas von liberal mit mir, dass ich sage, wenn ich es nicht lese, passiert auch nichts. Ich bin sehr gespannt auf diese Zeit – ich kenne das ja nicht, nicht zu arbeiten.
Eine meiner ersten Aufgaben wird es sein, meiner Nachfolgerin ein guter Vorgänger zu werden – nämlich, mich zurückzuhalten.
Was blieb Ihnen in guter Erinnerung?
Mich haben die Begegnungen in den Gemeinden immer geprägt – Ordinationen, Gottesdienste, Feiern. Gerade jetzt in der Pandemie merken wir doch, wie stark uns diese Möglichkeit, unbefangen einander zu begegnen und miteinander zu feiern und zu singen, genommen ist. Viele gemeinschaftsbildenden Aktivitäten sind stark reduziert und im Internet ins Digitale verlagert. Bei den liturgischen Vollzügen sieht man das beim Abendmahl, aber wir können uns auch nach der Kirche nicht in der Nähe aufhalten oder uns umarmen. Und dennoch halten wir mit vielen Menschen auf neuen Wegen Kontakt.
Aber das sind auch die ausgesprochen positiven Erinnerungen, die ich habe, mit dem Evangelium unterwegs zu sein, auch in Kontexten, in denen man es nicht erwartet hätte. Etwa bei Freisprechungen von Gesellen oder im Gespräch im kleinen Kreis mit Menschen, die an anderen Orten in der Gesellschaft Verantwortung übernommen haben. Als Kirche – unabhängig von meiner Person – wurden wir als Gesprächspartner anerkannt. Es ist mir sicher nicht immer gelungen ist, solche Kontakte zu verstetigen oder zu halten. Für uns alle gilt ja, irgendwann ist der Speicher der Beziehungen, die man pflegen kann, einfach voll.
Wie wird die Kirche in Zukunft aussehen?
Die Zukunft der Kirche sieht trotz allem gut aus. Ich glaube, sie wird ökumenischer sein: Wir anerkennen die Unterschiede, aber wir sind gemeinsam unterwegs, weil es nur einen Herrn der Kirche gibt. Sie wird stärker nach Gemeinsamkeiten suchen als nach Differenzen und Abgrenzungen.
Und sie wird eine neue Freude daran entwickeln, in dieser Gesellschaft gemeinsam das Evangelium auszubreiten und für Christus einzustehen.
Die sogenannte Freiburger Studie prognostiziert bis zum Jahr 2060 eine Halbierung der Kirchenmitgliedszahlen….
Ich nehme diese Studie schon ernst, aber nur unter der Voraussetzung, dass man davon ausgeht, dass die Entwicklung, wie sie sich jetzt ereignet, fortgeschrieben werden kann. Und dem traue ich nicht. Angenommen, man hätte Anfang der 50er- oder 60er-Jahre so eine Mitgliedschaftsstudie gemacht – ob die dann auch zu solchen Ergebnissen gekommen wäre, die sich heute demographisch abbilden? Auch aus theologischen Gründen: Da müssen wir mit dem Handeln Gottes eben auch noch rechnen. Und Christus wird sich seine Kirche immer sammeln und welche Gestalt sie haben wird, das können wir heute noch gar nicht sagen. Ob die Ergebnisse der Freiburger Studie eintreten, ist ja auch nur eine Zukunftsspekulation.
Als Sie 1974 mit Ihrem Studium anfingen, waren grob die Hälfte der Bundesbürger entweder katholisch oder evangelisch. Was hat die Kirche vielleicht versäumt und was kann die Kirche für die Zukunft daraus lernen?
Auch heute noch haben fast die Hälfte der Bundesbürger in den alten Bundesländern ein Konfessionsmerkmal – also evangelisch oder katholisch. Die tektonischen Verschiebungen zeigen sich erst mit einem großen zeitlichen Vorlauf. Vielleicht hätten wir mehr in Jugendarbeit investieren sollen und in Begleitung von Taufeltern. Weil man natürlich jetzt sehen kann, dass die Bereitschaft auch evangelischer Kirchenmitglieder dramatisch gesunken ist, ihre Kinder taufen zu lassen. Ich glaube, dass die evangelische Jugend immer noch eine Brunnenstube des Glaubens und ein Quell für kirchliche Bindung ist.
Und wir haben uns vermutlich auch sehr viel mit uns selbst beschäftigt als Kirche: zu viel Binnenoptimierung und zu wenig Außenorientierung. Das kann man uns immer vorwerfen.
Kritiker sagen aber mitunter, die evangelische Kirche entwickele sich in die Richtung einer frommen NGO. Bleibt da noch genug Raum für Gott und Glauben?
Eine fromme NGO ist ja eigentlich auch nichts Schlechtes. Der Link zwischen ethischem Handeln der Kirche und dem Glauben des Einzelnen ist sehr dünn geworden. Leute, die sich für ein Rettungsschiff einsetzen sind fromm und Fromme nicht per se gegen ein Rettungsschiff.
Die Situation ist komplexer. Wir haben nicht nur sinkende Kirchenmitgliedszahlen, wir haben zugleich steigende Engagementszahlen. Das ist ein Phänomen, dass wir numerisch weniger werden, vom Engagement aber immer stärker. Diejenigen, die in der Kirche sind, empfinden das als sehr bewusste Entscheidung. Daher bekommt Kirchenmitgliedschaft sogar selbst etwas wie Bekenntnischarakter.
Sie waren früher in der Landessynode in der Gruppe „Lebendige Volkskirche“. Ist die Zeit der Volkskirche vorbei?
Der Begriff der Volkskirche ist kein soziologischer, sondern ein theologischer. Volkskirche meint, wir akzeptieren als lutherische Kirche, dass jedes Gemeindemitglied selbstständig über Nähe und Distanz zur Kirche entscheidet. Und insofern gibt es keine Eingangshürde, die eine bestimmte Frömmigkeit oder Traditionsverhaftung voraussetzte. Sondern wir sagen, wir akzeptieren deinen Glauben wie er ist und sind daher offen für alles Volk. Aber das darf man nicht als soziologische Größe betrachten. Denn Volkskirche sind wir nicht, weil wir die Hälfte oder ein Drittel der Bevölkerung ausmachen. Das ist dann wieder eine andere Diskussion um den Körperschaftsstatus, der uns ja in dieser Gesellschaft anerkannt wird. Den Körperschaftsstatus und den Begriff der Volkskirche würde ich deutlich voneinander trennen.
In der Außenwahrnehmung wird häufig nicht mehr zwischen katholischer und evangelischer Kirche unterschieden. Wird man da nicht immer automatisch mit in Haftung genommen für den jeweils anderen?
Der Begriff der Haftungsgemeinschaft ist vom Vorsitzenden der Katholischen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, selbst gebraucht worden, eben weil die Menschen nicht mehr differenzieren. Ich bin froh, dass unsere Landeskirche in Fragen sexualisierter Gewalt hochaufmerksam ist. Kirche hat immer einen hohen Anspruch, den wir auch selbst an uns haben sollten. Zugleich – und das ohne jede Relativierung jedweder Übergriffigkeit – wirken in den Kirchen so viele Haupt- und Ehrenamtliche segensreich, in den Gemeinden, in der Diakonie, in der Caritas, in der Kolpingfamilie. Die leisten eine unverzichtbare und hochrespektable Aufgabe und geraten im Strudel in Misskredit. Das ist dann ungerecht und tut mir ein bisschen weh.
Nach dem Studium waren sie immer der Vikar, der Pastor, der Superintendent, der Landessuperintendent, der Regionalbischof – Sie hatten immer eine herausgehobene Stellung. Behindert das einen privat nicht?
Mich hat es ehrlich gesagt nie gestört. Wenn man diesen Weg geht, muss man sich und seinen Glauben auch befragen lassen, auch dann, wenn man meint, rein privat unterwegs zu sein. Es gibt natürlich einen Freundeskreis, in dem das Amt eine ganz untergeordnete Rolle spielt. Aber ich habe das nie als einengend erfahren, ein Amt zu haben.
Was stört Sie in den Diskussionen, ob in der Kirche oder in der Politik?
Manchmal geraten wir ziemlich stark in ein Klima, in dem wir unsere Mitmenschen ausschließlich in gut oder böse unterteilen, bei vielen Debatten nur schwarz oder weiß zulassen. Und uns selbst verorten wir dann nur allzu leicht auf der Seite der Guten. Und das tut uns allen nicht gut: