Ansichten eines 90-Jährigen: Kirche als Trainingsplatz
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Hartmut Badenhop war von 1982 bis 1994 Landessuperintendent im Sprengel Hannover und ist damit der „Vorvorvorgänger“ von Regionalbischöfin Dr. Petra Bahr. 1930 in Großburgwedel geboren, erfuhr Badenhop in seinem Elternhaus, dass sich „Glauben mit Händen“ gegen die Ideologie des dritten Reiches zu bewähren hatte. In seinem Berufsleben setzte er sich stets für die Vielfalt des Glaubens und den geschwisterlichen Meinungsstreit ein. Im Gespräch mit Regionalbischöfin Bahr blickt der hochbetagte Theologe auf die aktuellen Herausforderungen der Kirche und stellt sich ihre Systemrelevanz als „Trainingsplatz“ vor. Die Fragen stellte Pastor Fabian Gartmann.
Viele blicken besorgt auf den nächsten Geburtstag, wenn hinten eine 9 steht. Wie ist es, wenn die 9 nach vorne rutscht, Herr Badenhop?
Dass ich älter werde und dass die Ersatzteile zunehmen, merke ich schon länger. Dazu braucht es nicht den 90. Geburtstag. Besonders ist, dass viele andere diesen Tag wahrnehmen. Ich habe viele gute Briefe bekommen, die mich demütig machen. Mir kommt ein Wort von Bonhoeffer in den Sinn: „Unser Leben bleibt auch beim besten Wollen ein Fragment. Wichtig ist nur, dass man dem Fragment das Ganze ansieht.“ Über dieses Ganze denke ich zunehmend nach. Da spielt die 90 keine große Rolle.
Wenn Sie einmal zurückblicken: Was hat Sie im Glauben geprägt?
Ich bin in einem Pastorenhaus geboren. Mein Vater hat sich gewundert, dass seine Söhne Pastoren werden wollten, weil er mit der Institution Kirche im dritten Reiches nicht zufrieden war. Seine liberale Einstellung als Leiter einer diakonischen Jugend- und Behindertenhilfe war für mich prägend: Glauben mit Händen. Meine Freunde waren solche, die Hitler auf die Liste der Lebensunwerten setzte. Ich habe in meinem Elternhaus ein anderes Menschenbild erleben dürfen, das mich geprägt hat und meine spätere jesuanische Theologie bestimmt hat.
Sie wurden 1958 zum Pastor ordiniert. Womit hatten Sie als junger Geistlicher zu kämpfen?
Ich hatte als Pastor zuerst mit Schülern zu tun. Da hat es nicht gereicht auswendig gelernte Kirchenlehre weiterzugeben. Es wurde viel diskutiert. Meine Anfangsjahre standen unter dem Eindruck der Nazizeit und dem Versagen der Kirche trotz einzelner Christenmenschen, die Widerstand geleistet haben. Die Kirche musste neu zu ihrem Worte finden.
Eine Aufarbeitung oder gar Bewältigung hatte es nicht gegeben. Die jüngere Vergangenheit kirchlich und politisch anzusprechen, war eine ständige Aufgabe. Hinzu kam dann der Einfluss der 1968er. Die Kirche hatte einen ungeheuren Nachholbedarf an Parlamentarismus und musste den Meinungsstreit neu lernen. Das wollte ich gemeinsam mit anderen umsetzen, z. B. durch die Gründung der Synodalgruppe ‚Offene Kirche‘.
Bahr: Als ich mit dem Theologiestudium begann, erntete ich eher seltsame Blicke. Da war eher Medizin, Jura oder Journalismus angesagt. Für viele Gleichaltrige hatte die Kirche schon viel Anziehungskraft verloren, trotz riesiger Kirchentage.
Ich beneide die Nachkriegsgeneration manchmal darum, Kirche mit einem kritischen Geist neu aufbauen zu dürfen. Heute sind wir erneut mit Strukturen konfrontiert, die nicht mehr halten, und mit Menschen, die achselzuckend oder traurig gehen, weil sie hier nichts mehr erwarten. Dabei sind die Zeiten hochreligiös. Sinnfragen überall.
Immer mehr suchen heute nach neuen, ungewöhnlichen Wegen für Glaube und Kirche. Zwei junge Pastoren sind mit Skatebords in der Gemeinde unterwegs. Ein lesbisches Pastorinnen-Ehepaar führt einen Video-Blog. Wie sehen Sie das?
Badenhop: Ich gehe davon aus, dass christlicher Glaube nie uniform war und nie einförmig sein wird. Von daher kann ich vieles aus dem Altersabstand mit gewisser Gelassenheit betrachten. Ich sehe heute, dass wir manche Orientierungen zu unserer Zeit nicht genug berücksichtigt haben, bspw. der damalige Umgang mit homophilen Menschen. Wegen eines Thesenpapiers wurde ich noch zum Landesbischof zitiert, weil wir einen anderen Umgang mit Homosexuellen forderten. Unser Menschenbild ist falsch, wenn wir vorschreiben, es in bestimmte moralische Korsetts zu fassen.
Und würden Sie heute Heavy-Metal- oder Schlager-Gottesdienste besuchen?
Badenhop: Ich bin ja auch Kirchenmusiker; habe schon als Schüler die Orgel gespielt. Mein musikalischer Horizont ist daher etwas beschränkt. Ich muss nicht alles mögen, was jetzt kommt. Ich muss es aber auch nicht kritisieren. Da gehen Menschen neue Wege. Und diese Wege sind neue Versuche, die sicher da und dort auch scheitern. Vieles kann ich daher gelassen zur Kenntnis nehmen. Durch meine Enkel bekomme ich vieles mit, von dem, was sich da an neuem tut. Von daher bin ich vorsichtig, mit einem kritischen Urteil.
Bahr: Diese Gelassenheit empfinde ich als große Bereicherung. Sie würde auch anderen gutstehen. Bei allem Ausprobieren ist doch nicht das Format oder der Stil, sondern die Motivation dahinter entscheidend. Warum und für wen tue ich das?
Badenhop: Methodischer Elan allein ist zu wenig. Jesus wollte das Reich Gottes und zeigte ein Leben auf, dass der Menschlichkeit des Menschen dient. „All was mein Tun und Anfang ist, geschehe im Namen Jesu Christ, der leite mich so früh als spat, bis all mein Tun ein Ende hat.“, heißt es in einem Gebet, das mir stets eine Hilfe war. Der Glaube würde zerfließen, wenn wir auf uns allein gestellt wären
Bahr: Die Kirche muss immer wieder zum Wort Gottes zurückfinden, haben Sie einmal gesagt. Das heißt ja, dass weder in schönen Traditionen noch in schicken Innovationen zwangsläufig Gottes Wort zur Darstellung kommt. Leider werden beide oft mit Verve gegeneinander ausgespielt.
Badenhop: Das ist in der heutigen Zeit sehr viel schwerer. Früher waren die Traditionen präsenter, an die angeknüpft werden konnte. Heute muss Kirche zeigen, wer sie ist und wofür sie da ist. Trotzdem habe ich keine Sorge um die Kirche und wie sie sich entwickelt. Vieles regt mich zum Nachdenken an und anderes zum Beten.
Im Zuge der Corona-Pandemie wurde die Systemrelevanz der Kirche diskutiert. Was hat die Kirche der Gesellschaft zu bieten?
Badenhop: Kirche kann ein Raum der Freiheit sein, eine Art Trainingsplatz, auf dem gestritten wird. Streit ist ja kein Manko. Er dient der Klärung und nicht der Polarisierung. Die Kirche muss die Frage einbringen: Wo ist Gott und wo bleibt die Menschlichkeit? Die fortschreitende Individualisierung der Gesellschaft lässt zudem Gemeinschaft immer wichtiger werden. Wie kann es zu gemeinsamen Hoffnungen, wie zu gemeinsamen Lösungen kommen?
Bahr: Es gibt eine Sehnsucht nach Gemeinschaft, nach Zärtlichkeit, Angenommensein, seltener auch nach einem Raum vertraulicher Kritik. Oft ist eigene Vorstellung, wie diese Gemeinschaft auszusehen hat so dominant, dass kaum eine Menschenansammlung dagegen ankommt. Oder Gruppen drehen in Stuhlkreisen der Welt den Rücken zu. Häuser öffnen, rausgehen in Stadtteile, den Glauben selbstverständlich im Alltag leben. Gottesdienste feiern, in die man selbst gerne geht. Und zulassen, dass Menschen in Halbdistanz zu ihrer Kirche leben wollen. Unbemerkt bleiben dürfen kann auch entlasten.
Badenhop: Ich hoffe, dass die Kirche mit ihrer Gemeinschaft, Hoffnung stärkt, dass sie aus Nachbarschaft Nächstenliebe und Solidarität machen hilft, Kräfte und Erfahrungen freisetzt, die das Leben lebendig machen. Da ist genug Aufgabe für uns als Kirche.
Bahr: Die Gemeinschaft der Getauften ist eigentlich eine Zumutung: wir können einander nicht aussuchen. Das unterscheidet uns von Vereinen, Clubs und Freundschaftsbündnissen. Man muss in der Gemeinde Jesu Christi Leute aushalten, mit denen man sonst nicht viel gemeinsam hat. Im Grunde fängt es da an, interessant zu werden.
Herr Badenhop, wie haben Sie die Zeit der Kontaktbeschränkungen unter Corona erlebt?
Gottseidank habe ich eine Familie, die mich nicht alleingelassen hat. Aber es ist doch wie eine lähmende Nebeldecke gewesen über unserem Alltag, auch wenn sich für mich nicht viel geändert hat. Ich sitze im Sessel und lese unabhängig von Corona. Nur die dummen Reaktionen und die Beschimpfungen gegen die Wissenschaftler und Politiker haben mich geärgert.
Ich bin in einem Alter, wo der Gedanke ans Sterben nicht ganz weit weg ist. Ich habe keine Angst vor Corona. Sorgen habe ich im Blick auf meine Enkel; nicht wegen der Pandemie, sondern eher wegen der Ökologie.
Vielen Dank für das Gespräch!
Öffentlichkeitsarbeit im Sprengel Hannover (Fragen und alle Fotos: Fabian Gartmann)