Ein Telefonat zu Corona mit... Carola Kherfani, Frisörmeisterin und "Barber's Angels"-Aktivistin
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Frau Kherfani, Sie haben erst im März 2019 ihren Friseursalon in Laatzen bei Hannover eröffnet. Wie schwer hat Sie die Zwangsschließung durch Corona getroffen?
Für mich war das richtig schlimm. Mit dem eigenen Laden hatte ich mir einen Traum erfüllt - und das Geschäft ist auch sehr gut angelaufen. Als uns dann vorgeschrieben wurde, den Laden dichtzumachen, war das eine Katastrophe. Das Kurzarbeitergeld und die Soforthilfe waren hilfreich, aber laufende Kosten ohne Einnahmen sind auf Dauer einfach tödlich. Außerdem habe ich für meine drei Mitarbeiterinnen die 60 Prozent Kurzarbeitergeld auf 100 Prozent aufgestockt - wir sind schließlich ein Team, und mit 60 Prozent kommt man nicht weit. Wir sind mit Leib und Seele Frisörinnen und konnten uns jetzt sechs Wochen lang nur per WhatsApp schreiben, im Laden Staub wischen und Blumen gießen. Manche Kunden haben uns bis zu 100 Euro geboten, um ihnen schwarz die Haare zu schneiden. Es war höchste Zeit, dass es wieder losgeht.
Seit Montag dürfen Sie wieder öffnen - wie ist der erste Tag gelaufen?
Es war richtig viel los. Und heute geht es weiter, von morgens bis mindestens 19 Uhr. Es muss jetzt aber auch laufen - denn ich musste für die Auflagen einiges investieren: Mundschutz für alle Kund*innen, für meine Mitarbeiterinnen ein neuer Mundschutz pro Kunde, ständiges Desinfizieren der Plätze, dazu 1,80 Meter große Plexiglastrennwände zwischen den Stühlen. Das war mir wichtig, denn so bleibt die Atmosphäre im Laden erhalten und die Leute können sich sehen. Viele hängen Duschvorhänge hin, das habe ich nicht gemacht.
Wie fühlt es sich an, trotz der Corona-Pandemie Menschen nahe zu kommen und ihnen die Haare zu schneiden?
Es ist schon ein komisches Gefühl. Ich gehöre selbst zur Risikogruppe, denn ich hatte vor fünf Jahren Schilddrüsenkrebs und bin deshalb dauerhaft mit angeschlagenem Immunsystem unterwegs. Meine Werte werden regelmäßig kontrolliert, alle paar Monate muss ich zur Therapie. Eigentlich müsste ich mit einer medizinischen FFP-Schutzmaske arbeiten, aber die ist für mich zu anstrengend beim Atmen. Überwiegend kommen Stammkunden zu mir, die sind sehr rücksichtsvoll und bleiben sicher auch dann zu Hause, wenn sie selbst Symptome haben. Und es nützt ja nichts - ich liebe meinen Job und muss arbeiten, damit der Laden eine Zukunft hat.
Sie führen einen eigenen Laden, haben ein Haus, eine Familie - und schneiden zusätzlich mit dem Verein „Barber’s Angels“ ehrenamtlich Menschen in Not die Haare. Warum ?
Ich habe selbst vor zwölf Jahren alleinerziehend mit zwei Kindern Hartz IV bezogen, es ging mir sehr schlecht. Dann hat sich mein Leben gewandelt: Ich habe eine Umschulung gemacht, dann die Meisterschule als Frisörin, meinen Mann kennengelernt. Jetzt habe ich das Gefühl, auf der Sonnenseite des Lebens zu sein. Und wenn das so ist, kann man auch etwas an andere weitergeben, finde ich.
Wie haben Sie diese Arbeit kennengelernt?
Eine Bekannte hat mich vor ein paar Jahren mitgenommen zum Georgsplatz, mitten in Hannover. Da war ein Einsatz bei minus 12 Grad. Ich hatte drei Lagen an und trotzdem extrem gefroren. Und dann haben wir Leuten die Haare geschnitten, die bei solchen Bedingungen draußen übernachten. Auf dem Nachhauseweg war ich fix und alle - und zugleich überwältigt von dem Lächeln, der Freude, dem Strahlen der Gäste. Das ist mit nichts zu bezahlen. Mittlerweile organisiere ich die Arbeit des Vereins für ganz Niedersachsen und fahre regelmäßig mit meinen Kolleg*innen raus. Der letzte große Einsatz war auf der Weihnachtsfeier für Bedürftige in Hannover - da haben wir an einem Abend allein 280 Leuten die Haare geschnitten.
Wie kann man sich einen solchen Haarschnitt vorstellen?
Genau wie jeden anderen auch. Die meisten haben ganz genaue Vorstellungen, wie sie die Haare gern hätten. Andere sagen: Mach einfach so, dass es schick wird. Wir schneiden überwiegend trocken und nutzen zudem Waschhauben aus dem medizinischen Bereich, die innen feucht und mit antibakteriellem Shampoo ausgestattet sind. Das ist eine sehr praktische Sache.
Aktuell warten bestimmt auch ihre Kund*innen auf der Straße sehnsüchtig auf einen neuen Haarschnitt. Wann wird der nächste Einsatz stattfinden?
Im Moment geht das nicht: Wir wissen aus Erfahrung, dass es einen großen Auflauf mit bis zu 160 Gästen gibt, sobald wir kommen. Das geht aktuell einfach nicht, das wird für alle Beteiligten gefährlich und ist zudem auch schlicht verboten. Der Vorstand hat entschieden, dass wir deshalb bis Ende August pausieren. Mir tut das in der Seele weh, man hat ja schließlich auch da seine Stammkunden. Das ist traurig, aber es geht einfach nicht anders. Und wir legen dann auch wieder mit Vollgas los, sobald es geht.
Wenn Sie Menschen, die auf der Straße leben, die Haare schneiden - was nehmen Sie aus diesen Begegnungen mit?
Vor allen Dingen ganz viel Bodenständigkeit. Die Geschichten, die mir da erzählt werden, von Armut, Krankheit, Einsamkeit und Verzweiflung, die erden unheimlich. Man merkt erst, wie gut es einem eigentlich geht - und dass man mehr hat, als man eigentlich braucht. Selbst wenn man meint, dass man gerade ein unlösbares Problem hat: Das ist alles Jammern auf hohem Niveau.