Startseite Archiv Nachricht vom 24. April 2020

Ein Telefonat zu Corona mit... Heinz Rudolf Kunze, Rockmusiker

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Herr Kunze, in Ihrem neuen Song heißt es: „Wir stehn’, und wir halten zusammen“. Kann Musik Menschen in solch schweren Zeiten zusammenzubringen? 
Ich hoffe schon. Mein Wunsch ist, dass dieses Lied die Menschen rührt und packt. Und vielleicht wird es ja ein Gospel-Rock für die Deutschen.

Gospelmusik ist auch in Kirchen sehr populär - nehmen Sie bewusst darauf Bezug?
Das Lied ist nicht fromm angelegt. Es handelt nicht von transzendenten Dingen, es ist eher irdisch und beschwört Vernunft und Solidarität. Ich hab’ schon biblische Sprache bemüht, etwa wenn es heißt: „In der Stunde der Not ist das höchste Gebot“. Aber es ist nicht direkt vom lieben Gott die Rede. Es geht um unsere Nöte hier.

Haben Sie persönlich diesen Eindruck: Dass die Menschen aktuell zusammenhalten?
Ich kann das nur in meinem Dorf beobachten - in Ballungsräumen halte ich mich gerade kaum auf. Hier bei uns spüre ich schon eine gewisse Rücksichtnahme und Disziplin. Die Leute halten Abstand, sie tragen Masken, es geht bewusster zu. Menschen achten mehr auf sich und aufeinander. Man liest das ja auch von anderen Orten. Ich bin erstaunt über dieses Ausmaß von Disziplin und Rücksichtnahme der Deutschen. Das hätte ich so nicht erwartet.

„Zusammen“ wird im Refrain von vielen Hundert Menschen gemeinsam gesungen. Wie kam die Idee zu dem Song?
Ich habe aktuell sehr viel Muße. Mein Einfall hat ein paar Tage gebraucht und war kurz vor Ostern dann ausgereift. Dann habe ich ihn Dieter Falk geschickt, den ich schon seit Jahrzehnten kenne. Er ist ein Voll-Profi, der mit Text viel anfangen kann. Viele Produzenten tun sich schwer, Text umzusetzen. Die wollen lieber Musik, die man dann betextet. Dieter hat den Text an Gründonnerstag bekommen - und hat dann sehr rasch etwas vorgeschlagen, das mir sofort gefallen hat. Ich stehe sehr auf die Art, wie er das umgesetzt hat. Und auf dieses wunderbare Format des gemeinsamen Singens.

Heinz Rudolf Kunze (Foto: Jim Rakete)
Heinz Rudolf Kunze (Foto: Jim Rakete)

Das Virus hat uns alle fest im Griff - war es für Sie umso leichter, darüber zu schreiben?
Ich muss immer einen gewissen Ekel überwinden, etwas zu betexten, das gerade alle angeht. Man kann Kreativität ohnehin nicht erzwingen, vor einem leeren Blatt sitzend. Aber dieses Mal kam die Idee zu mir und es hat relativ schnell funktioniert.

Wie geht es Ihnen persönlich mit den Corona-Einschränkungen? 
Meine Frau und ich, wir leben auch sonst beinahe wie Eremiten: Wir gehen wenig unter Leute, sind ganz bestimmt keine „party animals“. Wir lieben unser Zuhause, unsere Bücher, Filme, Musik. Wir haben genug zu tun. Aber jetzt gerade gibt es eine staatliche Vorgabe, dass wir nicht sozial unterwegs sein sollen. Und etwas zu sollen, das schlägt bei mir immer aufs Gemüt. Auch wenn ich es nachvollziehen kann.

Stichwort Party: Dass viele Menschen einen Song gemeinsam singen, kennen Sie von Konzerten sehr gut. Laut Tourplan wären Sie allein in der letzten Woche in Leipzig, Cottbus und Erfurt gewesen. Stattdessen gab es ein Facebook-Wohnzimmerkonzert. Wie sehr schmerzt Sie die aktuelle Virtualität des Künstler-Daseins?
Als die Nachricht vom Ausfall aller Konzerte kam, habe ich bestimmt eine Woche gebraucht, um das zu verarbeiten. Nächstes Jahr sind es 40 Jahre, die ich dabei bin. Noch nie ist eine Tournee ausgefallen. Da geht es nicht um den superreichen Herrn Kunze. Natürlich ist die Situation für mich nicht so bedrohlich wie für andere. Aber erstens bin ich nicht superreich und zweitens sind es eben meine Sorgen. Andere haben andere, die ich ebenfalls ernst nehme und respektiere. Ich kann meinen Beruf im Moment nur sehr eingeschränkt ausüben - das ist für mich eine unwirkliche, unangenehme Situation. Wir sind alle Profis, wir können auch spielen, wenn keiner zuguckt. Aber die Situation ist sehr tragisch für viele Menschen: So eine Tournee, wie wir sie nun verschieben mussten, betrifft 50 Personen, einen kleinen Wanderzirkus, der jetzt komplett lahmgelegt ist. 

Viele Künstler und Kulturschaffende leiden aktuell massiv unter der Krise. Was hören Sie von befreundeten Kreativen, Tontechnikern und anderen Freiberuflern?
Gerade die Techniker sind das schwächste Glied in der Kette. Um die mache ich mir am meisten Sorgen. Sollte es so sein, dass wir das ganze Jahr nicht mehr auf die Bühne dürfen, dann werden viele von ihnen aufgeben müssen. Es kann auch passieren, dass viele Künstler dann ebenfalls nicht mehr weitermachen können. Das deutsche Radio und Fernsehen benehmen sich meiner Ansicht nach skandalös. So als wäre nichts passiert. Dabei müsste man massiv deutsche Künstler spielen und sich für ihre Belange einsetzen.

Was denken Sie: Wie wird es in diesem Land wohl nach der ganz dramatischen Corona-Phase aussehen? 
Die Sprüche der Politiker sind an dieser Stelle nicht ganz falsch: Es wird hinterher kaum noch etwas so sein wie vorher. Was genau das heißt, weiß ich auch nicht. Auch wenn ich da nicht besonders originell bin: Ich wünsche mir, dass ein Lerneffekt bleibt. Dass man einiges mitnimmt an Positivem. Sich füreinander einsetzt. Und dass eine gewisse Art von freiwilliger und kreativer Langsamkeit bleibt.

Alexander Nortrup

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Ein altes Telefon (Bild von Alexas_Fotos auf Pixabay)
Ein altes Telefon (Bild von Alexas_Fotos auf Pixabay)

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