Startseite Archiv Nachricht vom 20. April 2020

Stilles Gedenken an die Befreiung von Bergen-Belsen

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Bergen-Belsen/Kr. Celle. Es ist ein stiller Festakt, mit dem Vertreter der Landespolitik, von jüdischen Gemeinden und der KZ-Gedenkstätte am Sonntag an die Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen vor 75 Jahren erinnern. Rund 5.000 Menschen wollten ursprünglich kommen. Jetzt sind es wegen der Corona-Pandemie gerade mal ein Dutzend, die Kränze an der Inschriftenwand niederlegen, die auf dem Gelände der Gedenkstätte bei Celle an die KZ-Opfer erinnert. "Bergen-Belsen ist und bleibt eine offene Wunde unserer Geschichte", sagt Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) in der einzigen Rede.

Weil ruft dazu auf, die Erinnerung an Bergen-Belsen und die Verbrechen der NS-Zeit wachzuhalten. "Und besonders wichtig ist es, die richtigen Lehren zu ziehen, und auch heute gegen alle Anzeichen von Antisemitismus, Rassismus und Unterdrückung mit aller Konsequenz vorzugehen." Mit Blick über die Heidelandschaft, die weite Teile des Geländes bedeckt, erinnert er an das Bild, das sich den Befreiern am 15. April 1945 bot. "Mehr als 60.000 Häftlinge fanden die britischen Soldaten damals vor, die meisten von ihnen dem Tode näher als dem Leben und viele Tausend von ihnen verstarben noch in den Tagen danach."

In Bergen-Belsen starben während der NS-Zeit rund 20.000 Kriegsgefangene und mehr als 52.000 KZ-Häftlinge an Hunger und Seuchen, durch Übergriffe der SS oder an den Folgen der Haft. Zu den Opfern gehörte auch das durch sein Tagebuch später weltberühmte jüdische Mädchen Anne Frank (1929-1945).

Die Überlebende Anita Lasker-Wallfisch beschreibt es so: "Nichts als Leichen, Leichen, Leichen", sagt sie in einer Videobotschaft, die auf der Internetseite der Gedenkstätte veröffentlicht wurde: "Belsen war einzigartig, es war kein Vernichtungslager, hier gab es keine Gaskammern, in Belsen ist man ganz einfach krepiert", sagt die Cellistin aus London. Die 94-Jährige hätte eigentlich die Hauptrede bei der Gedenkfeier halten sollen, zu der noch einmal 120 Überlebende des Lagers erwartet worden waren.

Jetzt schreiten Weil, der Landesverbands-Vorsitzende jüdischer Gemeinden, Michael Fürst, Landtagspräsidentin Gabriele Andretta und der niedersächsische Gedenkstättenleiter Jens-Christian Wagner zum jüdischen Mahnmal. Begleitet werden sie von einigen Ministern und den Vorsitzenden der Landtagsfraktionen von SPD, CDU, den Grünen und der FDP. Ein paar Fotografen und wenige Menschen, die zum persönlichen Gedenken gekommen sind, schließen sich an. Der Kantor Andre Sitnov singt das "El male rachamim", ein Gebet zum Gedächtnis an die Verstorbenen. Danach bleiben alle schweigend noch ein paar Minuten beieinander.

Die große Gedenkfeier wurde in das kommende Jahr verlegt. Für die Überlebenden sei das eine sehr große Enttäuschung, sagt Gedenkstättenleiter Wagner. Sie hätten gern den besonderen 75. Jahrestag der Befreiung am historischen Ort verbracht, "an dem sie selbst leiden mussten und an dem viele ihrer Angehörigen und Freunde gestorben sind". Zudem handle es sich um hochbetagte Menschen, die nicht wüssten, ob sie im kommenden Jahr noch reisefähig seien. "Oder ob sie überhaupt noch leben." Umso wichtiger sei es, dass auch mit Angeboten im Internet erinnert werde.

Der NDR übertrug am Sonntag eine Sondersendung über die Gedenkfeier. Die würden auch viele Überlebende per Internet sehen, sagte Michael Fürst dem epd. "So sind wir heute doch miteinander verbunden." Ihre Botschaft bleibe wichtig, auch für die jüngeren Generationen.

epd Landesdienst Niedersachsen-Bremen
Bergen Belsen_Gedenkfeier 2020_Weil
Vertreter der Landespolitik, von jüdischen Gemeinden und der Gedenkstätte Bergen-Belsen haben am Sonntag (19.04.2020) an die Befreiung des Konzentrationslagers in Niedersachsen vor 75 Jahren erinnert. Foto: Jens Schulze (epd-Bild)

In diesem Jahr prägen außergewöhnliche Erinnerungen unser Land. Die Befreiung der Konzentrationslager vor 75 Jahren gehören für mich zu den wichtigsten Gedenktagen.

Zwei Generationen später schauen wir auf diese Orte, die Zeugnis unmenschlichster Verbrechen waren. Sie legen Zeugnis ab von einem menschenverachtenden Terrorregime. Mir sind diese Stätten bis heute nicht nur Mahnungen und darin auch Bildungsorte, es sind bleibende Wundmale in unserem Land. Im Umgang mit ihnen wird sich bewähren, wie lernfähig wir sind. In Niedersachsen wären wir in diesen Tagen, auch mit Überlebenden, persönlich zusammengekommen, um des 75. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen zu gedenken.

Es ist unsere Aufgabe als Kirche, solche Erinnerungen zu bewahren. Wenn wir für den Zusammenhalt der Gesellschaft Verantwortung übernehmen, dann gehört eine fortwährende Auseinandersetzung mit den dunkelsten Kapiteln der Menschheitsgeschichte, der Shoa, dazu.

Bergen-Belsen ist für das Denken und Handeln der Kirche ein beständiges Zeichen.

An diesen Orten suchen wir nach den Lehren aus der Vergangenheit, um die Gegenwart zu gestalten. Dabei stellen sich Fragen: In welcher Weise waren theologische Überzeugungen Steigbügelhalter für den modernen Antisemistismus? Wie wurden antijüdische Schriften Martin Luthers benutzt, um den eigenen Rassenhaß zu begründen? Wie klar war die Kirche in der Aufarbeitung dieser Untaten? Benannte sie Verantwortliche, widersprach den Leugnern und mühte sich offensiv um Versöhnung?

An diesen Orten erkennt die Kirche ihre Schuld in der Ausgrenzung, Verfolgung und Ermordung von Jüdinnen und Juden.

Wenn wir an die Verbrechen der Nationalsozialisten erinnern, dann tun wir das auch, um in unseren Gemeinden, Familien und Schulen demokratische Werte zu stärken. Freiheit, Gleichheit und ein festes Band der Solidarität sind Werte, die wir im christlichen Glauben als Auftrag für die Gestaltung unseres Miteinanders erfahren.

„Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus“, schreibt der Apostel Paulus an eine der ersten christlichen Gemeinden (Gal 3,28).

Der Auftrag, den diese Wundmale uns ins Leben schreiben, währt fort. Wir leben in der Bewährung.

Bischofskanzlei