Ein Telefonat zu Corona mit... Bettina Rehbein, Krankenhausseelsorgerin in Hannover
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Sie arbeiten in einem Krankenhaus in Hannover, in dem auch Corona-Patienten behandelt werden. Wie erleben Sie den Alltag inmitten der Pandemie?
Lange Warteschlangen in der Notaufnahme gibt es bisher noch nicht, aber diejenigen, die ihre Angehörigen mit ungewissem Ausgang zurücklassen müssen, sind sehr beunruhigt. Dramatisch ist aus meiner Sicht die extrem angespannte Stimmung. Es werden schon einige Covid-19-Fälle hier behandelt, auch auf der Intensivstation. Weitere Verdachtsfälle wurden aufgenommen und isoliert, dazu Stationen für diejenigen Covid-19-Fälle freigeräumt, die nicht intensivmedizinisch behandelt werden. Jeden Tag fragt man sich: Was wird heute anders sein?
Was hat sich für Sie selbst als Seelsorger*innen verändert, etwa in punkto Hygiene?
Natürlich achten wir vermehrt und penibel auf das Desinfizieren der Hände und tragen Mundschutz. Eine spezielle Schutzausrüstung war für uns in der Seelsorge bisher nur nötig, wenn es in einem Patientenzimmer einen Keim oder eine Infektion gab. Nun müssen wir alle gemeinsam aufpassen, um nicht mögliche Erreger von einem zur anderen zu tragen. Das ist hier aber gar nicht so anders als außerhalb des Krankenhauses: Wenn Menschen einkaufen gehen, sind sie ja in der Regel nun inzwischen auch viel vorsichtiger.
Was treibt die Menschen um, die Sie täglich umgeben - Ärzt*innen, Pflegekräfte, Patient*innen?
Die ständige Sorge ist: Klappt das mit der Schutzkleidung? Pflegekräfte sollen insbesondere durch Atemmasken und weitere Schutzkleidung geschützt werden. Das alles wird in einer bestimmten Reihenfolge angezogen und muss steril sein. Es ist eminent wichtig, es in ausreichender Menge vorrätig zu haben - aber die medial diskutierten Lieferengpässe sind auch hier wahrnehmbar. Schon erfolgte Zusagen wurden kurzfristig abgesagt, weil offenbar anderswo zu höheren Preisen verkauft werden konnte. Inzwischen hat man wohl erst einmal ausreichend Material beschaffen können – das hat für ein kollektives Aufatmen gesorgt. Zudem beschäftigen sich die Mitarbeitenden mit ihren spezifischen Situationen zuhause. Auch sie haben ja möglicherweise ältere Eltern, die nicht besucht werden können, Kinder, die zu versorgen sind…Tatsächlich gibt es auch viel Erfreuliches, Menschen, die sich auf die Aufrufe melden und Schutzmasken nähen oder medizinisch geschulte Menschen, die helfen wollen.
Wie drücken sich die verschärften Hygieneregeln im Klinikalltag aus?
Im ganzen Haus tragen jetzt eigentlich alle Masken, auch bei Patient*innen ohne Coronavirus und auch in den Stationszimmern und auf den Fluren. Wer jetzt im Krankenhaus ist, gilt ja in der Regel als Notfall. Und entsprechend sollen die Masken auch nicht nur das Personal schützen, sondern die Patient*innen. Denn niemand weiß ja, ob wir als Mitarbeitende den Virus in uns tragen. Die Kantine hier hat nach wie vor geöffnet, aber man hält einen großen Abstand und es kommen sehr viel weniger Mitarbeitende als sonst. Insgesamt wirkt alles angespannt und vorsichtig.
Abgesehen vom Material - was läuft aus Ihrer Sicht als Seelsorgerin im Krankenhaus noch anders als noch vor einigen Wochen?
Direktorium und Geschäftsführung treffen sich unter Hinzuziehung ausgewählter Mitarbeiter aus den wichtigsten Bereichen täglich zu einem Krisenstab und besprechen, wie die Lage aktuell zu bewerten ist. Man ist schließlich bestrebt, Themen frühzeitig anzugehen – Versorgungsengpässe zu vermeiden, Transportwege zu klären und ethische Belange zu erwägen. Dazu zählt etwa auch die „Triage“, also die Entscheidung, wer beatmet wird, wenn es nicht mehr ausreichend Beatmungsgeräte geben sollte. Da könnten Situationen entstehen, die für das medizinische Personal psychisch sehr belastend sind. Auch das Hygienemanagement und die Abteilung für Material-Beschaffung sind viel gefragt. Intensivstation und Notaufnahme arbeiten unter Hochdruck, die Chirurgie ist aktuell meines Wissens derzeit nicht voll ausgelastet, geplante Operationen wurden abgesagt. Physiotherapeut*innen und chirurgische Fachärzt*innen übernehmen aktuell andere wichtige Aufgaben, wenn nicht gerade ein Notfall versorgt werden muss.
Die Lage ist ernst. Sie sind keine Mediziner, keine Produzenten von Mundschutz oder Desinfektion - stellen Sie sich manchmal die Frage, was Sie als Seelsorger*innen aktuell überhaupt beitragen können?
Keineswegs. Denn viele Menschen merken im Moment, dass sie an ihre Machtgrenzen kommen und nicht alles planen können. Da wird uns allen doch noch stärker bewusst, dass es hilft, wenn wir auf Gott unser Vertrauen setzen, um nicht in Angst und Hoffnungslosigkeit steckenzubleiben. Grundsätzlich sind wir als Krankenhausseelsorge auch für die Mitarbeitenden da, nicht nur für die Kranken. Wir haben das auch gerade auf allen Stationen kommuniziert. Vor allem mein erfahrener katholischer Kollege, der eine volle Stelle innehat und großes Vertrauen genießt, wird noch mehr angesprochen als sonst. Gerade Pflegekräfte nehmen das in Anspruch. Die Menschen brauchen geistlichen Trost. Wir wurden zudem von der Leitung aufgefordert, unsere Andachten und Impulse zu verstärken, etwa auch im Intranet. Es ist spürbar: Wir alle brauchen Mut und Worte, auch Rituale, die aufrichten. Man merkt es ja auch selbst, wie wichtig positive Dinge sind. Die Freundin einer Krankenschwester hat ihren Blumenladen schließen müssen und die übrig gebliebenen Schnittblumen ins Krankenhaus geschickt. Sie wurden in den Patientenzimmern verteilt und haben große Freude ausgelöst. Diese schöne Nachricht hat sich etwa wie ein Lauffeuer verbreitet.
Welche Bedürfnisse haben Patient*innen in der Coronakrise?
Viele fühlen sich allein. Sie leiden darunter, nicht besucht werden zu können. Wenn wir dann kommen, ist das erstmal eine Art Stellvertretung. Dann fühle ich mich manchmal wie eine Tochter, Nachbarin oder Freundin. Und dann folgt der zweite Impuls: Da kommt jemand von der Kirche. Einige erinnern sich: Da hat mir doch schon einmal in meinem Leben jemand Stärkung gegeben. Wenn jemand im Glauben eine Verankerung hat, umso mehr. Oft kommt der Wunsch: Stellen Sie eine Kerze in der Kapelle für mich auf. Spätestens im Angesicht von Krise und Bedrohung entdecken ohnehin viele Menschen ihre Religiosität. Und wer nichts mit Kirche oder Religion anfangen kann, freut sich einfach darüber, dass jemand kommt und zuhört, einfach da ist.
Was ändert sich im Moment für Sie persönlich?
Ich habe eine Nachbarin, die sagt halb im Scherz: Na, bei Ihnen muss ich aber ein bisschen aufpassen, Sie arbeiten ja im Krankenhaus. Ich achte aber aktuell ohnehin sehr darauf, Menschen nicht zu nahe zu kommen. Generell verspüre ich viel Zuspruch und Interesse von Freundinnen und Familie, auch Dankbarkeit. Mein Mann und ich leben geistlicher als sonst. Wir singen mehr, lesen in der Bibel, nehmen uns Zeit für Andachten, schreiben und hören. Ich bin froh, dass wir zu zweit sind - allein zu sein in dieser Zeit,, das wäre schwer. Wir gehen so oft es geht raus, fahren Fahrrad. Ich bin ansonsten regelmäßig mit einer befreundeten Frau aus meiner Kirchengemeinde in Kontakt, die Lungenfachärztin ist. Die gibt mir fachliche Tipps und Infos, dafür bekommt sie von mir dann einen Psalm oder ein gutes Wort. Ich versuche auch unter diesen Umständen, mit Menschen in Kontakt zu bleiben.