Ein Anruf zu Corona bei... Ulrike Sensse von der Suchtberatung der Diakonie Osnabrück
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Hallo Frau Sensse, wie hat Corona Ihre Arbeit verändert?
„Die Arbeit hat sich massiv verändert. Es gibt mit den Süchtigen keine face-to-face-Beratung mehr, es ist alles aufs Telefonieren umgestellt. Unsere Klienten sind dankbar dafür, dass der Kontakt nicht komplett abbricht. Schwierig ist es aber mit all den Selbsthilfegruppen, die sich jetzt nicht mehr treffen dürfen. Für viele ist es schwer auszuhalten, dass das nur noch über Whatsapp-Gruppen läuft. Auf die haben wir aus rechtlichen Gründen aber keinen Zugriff, das müssen die Betroffenen also unter sich koordinieren.“
Was bedeutet das, wenn nun solche Angebote wegbrechen?
„Dann brechen Stützen im Alltag weg, Strukturen, die sich die Menschen oft mühsam aufgebaut haben - von sozialen Treffpunkten bis zu Sportgruppen. Manche*r hat auch keine Arbeit mehr, das Einkommen bleibt weg. Man muss jetzt auch damit rechnen, dass es zu mehr häuslicher Gewalt kommt. Und wenn die Grenzen dicht sind, versiegen vielleicht auch die Drogen-Quellen. Wir können da nichts tun, nur abwarten, wie sich das auf unsere Kunden auswirkt.“
Was sind Ihre Aufgaben jetzt?
„Ich springe im Grunde zwischen ganz vielen Akteuren hin und her: was verlangen die Kommune, Krankenkassen, das Jobcenter, die Mitarbeiter, die Rentenversicherung, das Gesundheitsamt? Ich muss alle Vorgaben unter einen Hut bekommen und fast halbstündig gibt es neue Wasserstandsmeldungen. Was ich auch erstmal verdauen muss: manche Kliniken im Umland beenden jetzt vorzeitig Reha-Maßnahmen, also die Entwöhnungstherapien für Sucht-Patienten, obwohl sie noch nicht „durch“ sind. Doch nun nehmen die Kliniken nur noch „Notfälle“. Das ist ein Schlag, mit dem wir jetzt irgendwie umgehen müssen. Ich kann die Kliniken nur inständig bitten, den Patienten zu sagen, dass sie zu uns kommen können – sie dürfen nicht allein gelassen werden.“
Wie erleben Sie und Ihre Mitarbeiter*innen die Lage?
„Wir selbst versuchen, ins Home Office zu gehen und Sprechstunden auszuweiten. Wir haben Telefonlisten von denjenigen, die sonst in die offenen Treffs gegangen sind – sie werden nun täglich angerufen. Wir wollen ja der feste Anker sein, Sicherheit und Verlässlichkeit geben, für diese Menschen – das müssen wir aufrecht erhalten. Aber die Verunsicherung ist auch unter den Mitarbeiter*innen da.“
Wie blicken Sie in die Zukunft?
„Grundsätzlich bin ich ein positiver Mensch. Es gibt diesen Bibelspruch mit dem Motto: „Alles hat seine Zeit: lachen, weinen, klagen, tanzen“ – Ich bin sicher, wir werden wieder tanzen. Und wissen Sie was? Die Spielsüchtigen atmen gerade richtig auf! Die sagen: ,Wenn wir jetzt durch die Straßen gehen, mit den geschlossenen Kasinos – das ist das Paradies!‘ Immerhin für sie ist es eine Erleichterung.“
Christine Warnecke