Bedford-Strohm: Corona-Pandemie wird die Welt verändern
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Frankfurt a.M./München. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen
Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, lobt die
Menschen für ihr Verhalten in der Corona-Krise. «Ich sehe in meinem
Umfeld viel Besonnenheit. Es ist keine Panik da, es ist eine
gespannte und auch sorgenvolle Erwartung an das, was da auf uns
zukommt», sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd).
epd: Bundesweit hat das Coronavirus das öffentliche Leben lahmgelegt.
Niemand kann verlässlich sagen, wie viele Menschen erkranken werden
und wie lange der Ausnahmezustand dauert. Ist Ihnen mulmig zumute?
Heinrich Bedford-Strohm: Mulmig wäre das falsche Wort. Aber es ist
eine gewisse Anspannung da, zumal weil ich weiß, welche Verantwortung
auch wir als Kirche haben. Wir möchten die Menschen klug und stärkend
begleiten. Zugleich spüre ich gerade sehr viel Bereitschaft zu
gegenseitiger Unterstützung. Es beeindruckt und berührt mich, wie die
Menschen jetzt zusammenstehen.
epd: Können Sie ein Beispiel nennen?
Bedford-Strohm: Heute morgen habe ich an den Briefkästen an meinem
Wohnhaus einen handgeschriebenen Zettel entdeckt: Ein junger Nachbar
bietet Hilfe an bei Einkäufen für jene, die besonders gefährdet sind.
So eine spontane Hilfsbereitschaft zeigt sich gerade an vielen Orten.
epd: Gleichzeitig gibt es offenbar Menschen, deren Solidarität am
Supermarktregal aufhört, und sogar solche, die Desinfektionsmittel
aus einem Krankenhaus stehlen. Was zeichnet das für ein Bild unserer
Gesellschaft?
Bedford-Strohm: Natürlich gibt es so etwas auch, wo das Schlechteste
aus einem Menschen herausgelockt wird. Wir nennen das im christlichen
Glauben Sünde. Der Reformator Martin Luther hat von einer
«Verkrümmung des Menschen in sich selbst» gesprochen, der Trennung
von Gott und dem Mitmenschen. In Krisenzeiten zeigt sich das manchmal
in besonderer Weise. Doch die rücksichtslosen Hamsterkäufe bleiben
aus meiner Sicht die Ausnahme. Ich sehe in meinem Umfeld viel
Besonnenheit. Es ist keine Panik da, es ist eine gespannte und auch
sorgenvolle Erwartung an das, was da auf uns zukommt.
epd: Bleibt die Besonnenheit, wenn der Ausnahmezustand lange anhält?
Verlässliche Prognosen zur Dauer der Einschränkungen gibt es derzeit
nicht.
Bedford-Strohm: In den vergangenen Tagen habe ich zunächst einmal
eine wachsende Akzeptanz beobachtet. Viele haben sich informiert und
verstanden, dass wir mit den drastischen Maßnahmen heute besonders
gefährdete Menschen schützen, vor allem Ältere und Kranke. Selbst
wenn man sich nicht um sich selbst sorgt, spürt man die
Verantwortung. Es geht darum, unbedingt zu verhindern, dass man in
einem Krankenhaus entscheiden muss, ob ein Mensch, der 75 ist, noch
viele weitere Jahre leben darf, oder ob er aufgegeben werden muss,
weil nicht genügend Beatmungsgeräte vorhanden sind.
epd: Die Bundesregierung hat auch ein Verbot für Gottesdienste aller
Religionsgemeinschaften empfohlen - unabhängig davon, dass die
Landeskirchen bereits viele Gottesdienste und andere Veranstaltungen
abgesagt haben. Trifft das die Kirche nicht ins Mark, schließlich ist
sie für viele Gläubige ein Ort der Hoffnung?
Bedford-Strohm: Natürlich ist es schmerzlich, dass wir keine
Gottesdienste mehr in den Kirchen feiern können. In der Passions- und
Osterzeit haben wir Christinnen und Christen besonderen Grund, uns in
Kirchen zu versammeln. Die Botschaft der Hoffnung ist etwas, das uns
Kraft gibt. Aber wir wissen auch, dass Gottesdienste nie um den Preis
von Menschenleben abgehalten werden dürfen. Deswegen sagen wir Ja zu
allem, was hilft, die Gefahr und das Risiko zu vermindern.
epd: Welche Chancen bietet da die Digitalisierung?
Bedford-Strohm: Die Chance besteht darin, dass wir neue Formate an
die Stelle der jetzt nicht mehr stattfindenden Angebote setzen. Es
ist geradezu beglückend zu sehen, wie Menschen diese Herausforderung
annehmen und ihre ganze Kreativität einsetzen, digitale Formate zu
entwickeln. Vielleicht blicken wir irgendwann auf diese Zeit zurück
und sehen, dass sie uns zu nachhaltigen Innovationsschüben verholfen
hat, weil wir unsere traditionelle Art, Gottesdienst zu feiern, nicht
ausüben konnten.
epd: Was ist mit Beerdigungen?
Bedford-Strohm: Beerdigungen müssen stattfinden können. Wir müssen
sie aber so gestalten, dass keine Infektionsgefahr entsteht. Der
aktuelle Stand ist, dass Beerdigungen im Freien am Grab stattfinden
können. Es ist noch nicht klar, wie viele Menschen daran teilnehmen
können.
epd: Sie haben Ostern angesprochen, wird das nicht ein trauriges
Osterfest?
Bedford-Strohm: Ich glaube nicht, dass es ein trauriges Osterfest
wird. Freude kann sich auch über die digitalen Medien und viele
andere Wege verbreiten. Freude ist keine Frage des Formats. Die
Tatsache, dass es möglicherweise keine herkömmlichen Gottesdienste zu
Ostern geben wird, sollte man nicht von vornherein allein als Defizit
sehen. Wir werden sehen, welche kreativen Formate entstehen. Ich sehe
Ostern mit Vorfreude entgegen, zumal ich schon jetzt von den
kreativen Einfällen der Menschen begeistert bin.
epd: Finden digitale Formate nicht ihre Grenzen bei Segenshandlungen
oder beim Abendmahl?
Bedford-Strohm: Ich unterscheide da. Abendmahl braucht diese
physische Präsenz. Das bleibt vielleicht nicht mein endgültiges
Urteil, aber ich persönlich benötige das.
Beim Segen ist es schon etwas anderes. Ich habe zum Beispiel die
Wirkung des Segensroboters, den es beim 500. Reformationsjubiläum
2017 in Wittenberg gab, unterschätzt. Die Roboterstimme hat mir ein
biblisches Segenswort zugesprochen. Trotz der Tatsache, dass es keine
Berührung gab und kein echter Mensch vor mir stand, hat das
Segenswort trotzdem gewirkt. Und so kann auch ein Fernsehgottesdienst
Trost geben.
Natürlich wünschen wir uns alle, dass so schnell wie möglich die
physische Präsenz beim Gottesdienst wieder möglich ist. Aber sie ist
im Moment eben nur um den Preis von Menschenleben möglich. Und
deswegen müssen wir die Situation akzeptieren, wie sie ist.
epd: Wir führen dieses Interview per Videogespräch, anstatt uns zu
treffen. Ist das für Sie eine gleichwertige Art der Kommunikation wie
ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht?
Bedford-Strohm: Das macht doch Spaß, und so unpersönlich ist es auch
nicht. Aber nie und nimmer ist es ein Ersatz für leibliche Begegnung.
Ich bin ein Mensch, der gerne umarmt, und ich lasse mich auch gerne
umarmen. Ich muss mich jetzt wirklich sehr zurückhalten - auch beim
Händedruck. Da muss ich größte Selbstdisziplin wahren. Digitale
Kommunikation ersetzt nicht die direkte Kommunikation, sie ist aber
eine sehr willkommene Art zu kommunizieren, wenn das andere schlicht
nicht geht. Auch wenn ein Mensch in einem anderen Land lebt - wie die
Hälfte meiner Familie in den USA
epd: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagt, nach der
Corona-Pandemie wird die Welt eine andere sein. Teilen Sie seine
Einschätzung?
Bedford-Strohm: Diese historische Erfahrung wird uns verändern. Und
ich hoffe, sie wird uns zum Positiven verändern. Menschen machen die
Erfahrung, welche Kraft es gibt, wenn man zusammensteht und nicht den
Kopf in den Sand steckt. Und vielleicht kann uns das viel bewusster
leben lassen und viel bewusster wahrnehmen lassen, wie kostbar
bestimmte Dinge sind, sich umarmen zum Beispiel.
epd: Wenn man das aktuelle internationale Krisenmanagement
betrachtet, kann man aber auch das Gegenteil sehen, nämlich dass es
schwierig ist Europa zusammenzuhalten. Vom Versuch, einen möglichen
neuen Impfstoff für ein ganzes Land zu reservieren, mal ganz
abgesehen.
Bedford-Strohm: Das ist richtig. Diese Phänomene sehe ich auch
kritisch, und über die bin ich zum Teil auch zornig. Aber das heißt
ja nicht, dass das jetzt tonangebend für die Zukunft sein muss. Was
das Medikament angeht, machen wir ja auch die Erfahrung, dass das
nicht funktioniert hat. Der Egoismus hat sich nicht durchgesetzt. Wir
haben erlebt, dass die Verantwortung und die weltweite Solidarität
die Oberhand behalten.