Vergeben ja, vergessen nie: Ivar Buterfas-Frankenthal sprach zu etwa 400 Schülern in der Lutherkirche
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Neu Wulmstorf. „Vergeben haben wir längst, vergessen werden wir niemals“, sagte Ivar Buterfas-Frankenthal (86) in der Neu Wulmstorfer Lutherkirche am Freitag. Zwei Tage vor dem Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts sprach er zu etwa 400 Schülerinnen und Schülern der Oberschule und des Gymnasiums Neu Wulmstorf. „Es könnte eine Sternstunde werden, da mit Ivar Buterfas-Frankenthal ein auskunftsfreudiger Holocaust-Überlebender auf euch wissbegierige Schüler trifft“, sagte Pastor Dr. Florian Schneider von der Ev.-luth. Lutherkirchengemeinde Neu Wulmstorf. Es wurde eine Sternstunde. Buterfas-Frankenthal hat einen Draht zu Jugendlichen, spricht sie mit „meine lieben jungen Freunde“ immer wieder direkt an und sie hören ihm eineinhalb Stunden aufmerksam zu. Schüler, Lehrer, Ehrengäste – die Kirche ist voll besetzt. „Mit Euch, mit dieser Jugend, ist mir um Deutschland nicht bange. Ihr werdet unsere Demokratie schützen. Ich bin stolz auf Euch“, sagt Buterfas-Frankenthal abschließend. Die Schüler quittieren dies mit langem Applaus.
Es ist ihre Veranstaltung. Die Schüler hatten sich nach dem gemeinsamen Pogrom-Gedenk-Gottesdienst in der Hittfelder Kirche am 9. November 2018 ein weiteres, längeres Treffen mit dem Holocaust-Überlebenden gewünscht. Sie moderieren, stellen Fragen, filmen und fotografieren, damit sie das Erlebte hinterher noch im Unterricht bearbeiten können, sie sorgen für den musikalischen Rahmen. „Uns hat der Satz von Herrn Buterfas-Frankenthal beeindruckt, ‚die jungen Menschen müssen dafür sorgen, dass sich die Nazizeit nie wiederholt und sie müssen unsere Demokratie schützen‘. Deshalb sind wir hier“, sagte eine der drei Moderatorinnen.
Buterfas-Frankenthal hat das Bundesverdienstkreuz und den Weltfriedenspreis erhalten, sich für die Gedenkstätte des KZ-Auffanglagers Sandbostel und den Erhalt der Ruine der Hamburger Nikolaikirche als Mahnmal gegen Faschismus und Krieg eingesetzt. Seit zwanzig Jahren ist er unermüdlich unterwegs, will aufklären, erzählen, was er erlebt hat, damit sich diese Schreckenszeit nicht wiederholt. Dies ist seine 1501. Veranstaltung.
Ivar Buterfas-Frankenthal spricht über seine Kindheit in der Nazizeit, darüber, wie der Schulleiter den Erstklässler rauswarf, weil er Halbjude war. „Ich wusste gar nicht, was das ist, ein Jude. Ab 1934 durften etwa jüdische Ärzte, Wissenschaftler oder Studienräte nicht mehr arbeiten. Erst nahm man ihnen die Existenz, dann die Würde. Die Dresdner Bank hat das Geld der Juden einkassiert. Und mit dem Vernichtungskrieg und den Raubzügen wuchs das Vermögen der Dresdner Bank weiter. Mit dem Erscheinen des „Stürmers“ haben alle Deutschen gewusst, was mit Juden passiert. Mit der Traditionslüge ‚wir haben nichts gewusst‘ war genau zu diesem Zeitpunkt Schluss, alle haben es gewusst. Und alle konnten 1938 die brennenden Synagogen in der Reichskristallnacht sehen.“ Buterfas-Frankenthal zeigt den Judenstern, Dokumente, seinen Pass und Bücher und seine Frau Dagmar unterstützt ihn dabei. Er erzählt von Bombennächten in Hamburg, der Flucht der Familie nach Polen, weil sie Angst hatten, deportiert zu werden, und dem Leben im Versteck nach der Rückkehr nach Hamburg. Von den furchtbaren Greueltaten will er nicht mehr sprechen. Immer noch quälen ihn Albträume. „Habt Ihr Fragen, was wollt Ihr wissen?“, ermuntert er die Schüler.
- „Wie können Sie vergeben, was Sie erlebt haben?“, fragt ein Schüler
Buterfas-Frankenthal: „Es waren nicht alle Mörder oder Mittäter, viele waren Mitläufer. Viele Deutsche haben auch Juden versteckt und gegen das Naziregime im Rahmen ihrer Möglichkeiten gekämpft. Viele haben ihr Leben für Euch gegeben.“
- „Wie geht es Ihnen heute, da Sie vergeben haben?“, möchte eine Schülerin wissen.
Buterfas-Frankenthal: „Es sorgt mich, dass schon wieder viele Juden Deutschland verlassen.“
- „Haben Sie in der Nachkriegszeit noch antisemitische Übergriffe erlebt?“, fragt ein Schüler.
Buterfas-Frankenthal: „Ja, als ich mich für die Gedenkstätte Sandbostel einsetzte, wurde ich als Jude beschimpft, man drohte, mich umzubringen. Ich erhielt sechs Wochen strengen Polizeischutz.“
- „Wie lange hat es gedauert, bis Sie darüber sprechen konnten?“, möchte eine Schülerin wissen.
Buterfas-Frankenthal: „Erst 1990 konnte ich darüber sprechen, als ich mich für den Erhalt der Hamburger Nikolaikirche als Mahnmal gegen Faschismus eingesetzt habe. Ich verstand, dass ich etwas sagen konnte, das gebraucht wird.“
Buterfas-Frankenthal ist von den Schülern beeindruckt: „Ich wünsche mir Eure Wachsamkeit, behütet diese Demokratie, lasst sie nicht von der braunen Bande in Gefahr bringen. Ich sage es mit Dr. Martin Luther King, - I have a dream -, ich möchte, dass Ihr 100 Jahre Frieden im Jahr 2045 erlebt.“ Er ist sichtlich berührt, dass diese Veranstaltung – nach dem Pogrom-Gedenkgottesdienst in Hittfeld - wieder in einer Kirche stattfindet, im „Haus des Herrn“ wie er es nennt.
Pastor Dr. Florian Schneider, Anja Krippner, Schulleiterin der Oberschule Neu Wulmstorf und Jörg Berthold, Schulleiter des Gymnasiums Neu Wulmstorf, danken Dagmar und Ivar Buterfas-Frankenthal: „Vor zwei Tagen haben AfD-Abgeordnete anlässlich einer Holocaust-Gedenkrede von Charlotte Knobloch den Münchener Landtag verlassen. Hier haben heute etwa 400 Schülerinnen und Schüler gezeigt, wie man respektvoll der Opfer des Holocausts erinnert.“„Ihr seid engagiert, zeigt Respekt und Wertschätzung. Der Blick zurück wird Euren Weg in die Zukunft begleiten“, sagt Anja Krippner. Jörg Berthold dankte zudem der Lutherkirchengemeinde, dass diese Veranstaltung in der Kirche stattfinden konnte: „Die Kirche hat sich in der Nazizeit ja nicht immer eindeutig positioniert, daher ist die Kirche ein guter Ort für diese Veranstaltung.“
Zum Schluss trugen zwei Schüler den Rap-Song „Wo bleiben die Beschwerden? Wir können was dafür, wenn wir nichts dagegen tun“ von Enno Bunger vor. Am Sonntag, 27. Januar, dem internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts, lädt die Neu Wulmstorfer Lutherkirche zu einem Gottesdienst unter dem Titel „Gemeinsam gedenken“ um 10 Uhr.
Öffentlichkeitsarbeit im Kirchenkreis Hittfeld