Startseite Archiv Nachricht vom 23. September 2016

«Schwieriges Anbaujahr» - Erntedank-Bitte in Zeiten der landwirtschaftlichen Krise

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«Schwierig» nennen Experten in öffentlichen Statements die Situation der Bauernfamilien in Deutschland. Der Begriff «existenzbedrohend» kommt der Realität oft näher. Schwere Zeiten für Erntedank.

Stuttgart. Die 81-jährige Bäuerin Zita Steffl hat auch in diesem Jahr Erntegaben. In ihrem Garten im kleinen Weiler Schleierhof im nördlichen Baden-Württemberg gedeihen die Tomaten, die Salatgurken sind prächtig. «Gerade habe ich eine Gurke von 1,2 Kilogramm aus dem Gewächshaus beim Haus geholt», erzählt sie. Frischen Salat gibt es seit dem Frühjahr schon. «Morgens hacken, abends kräftig gießen», ist ihr Rezept.

   Der üppige Hausgarten, der die Küche mit speist, tröstet sie ein bisschen. Wenn sie hinaus in den landwirtschaftlichen Betrieb ihrer Familie schaut, wird ihr nämlich bang. In den vergangenen Wochen hat Trockenheit große Schäden angerichtet: Der Futtermais musste notgeerntet werden. Raps, fürs nächste Jahr eingesät, ging erst gar nicht auf.

   Dazu kommt: «Es gibt kein Geld mehr.» Für 100 Kilogramm Getreide bekommt die Bäuerin gerade noch 12,50 Euro. «Auch Milch und die Ferkel kosten nichts mehr. Niemand kauft die kleinen Schweinchen, weil die Schweinemäster zu wenig Absatz haben», erzählt Steffl. Und die Milchpreise decken schon lange die Kosten nicht mehr. «Man weiß nicht: wird's noch schlechter? Viel besser wird's nimmer», sagt die 81-Jährige.

   «Schlechte Erträge und niedrige Preise» - das ist die Bilanz von Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes, für ganz Deutschland im Jahr 2016. Es war «ein schwieriges Anbaujahr». Das nasse Frühjahr, regionale Unwetter und extreme Trockenheit im Spätsommer haben für enttäuschende Getreideerträge gesorgt. In einigen Regionen kam es richtig schlimm, etwa in der Vorderpfalz: Dort sorgte im Frühsommer Hochwasser auf mehr als 800 Hektar Gemüsebaufläche für einen Totalausfall der Ernte, vom Salat bis zum Blumenkohl.

   Dabei seien die Erlöse in Ackerbau und Tierhaltung schon seit einigen Jahren nicht mehr kostendeckend, sagt Rukwied: «Entsprechend schlecht ist die Stimmung bei den Bauern im Land. Viele Bauernfamilien fürchten um ihre wirtschaftliche Existenz.» Er ging bereits im Sommer von rund 14.000 Landwirtschaftsbetrieben in Deutschland aus, die in diesem Jahr entweder ganz oder ihren Betriebszweig Viehhaltung aufgeben. Das sind fünf Prozent aller Höfe. Ursache ist vor allem der Preisverfall bei konventionell erzeugter Milch, bei Biomilch blieben die Preise relativ stabil.

   Auch Clemens Dirscherl, Ratsbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland für agrarsoziale Fragen, kennt die Probleme der Bauernfamilien. Seit Menschengedenken wird in der Landwirtschaft mit schwankenden Ernten gelebt, und schwankende Erlöse sind auch nicht neu. Es ging trotzdem immer irgendwie weiter.

   Doch nun? «Was die Bauern für ihre Milch, Tiere, Acker- und Feldfrüchte bekommen, deckt nicht einmal mehr die Unkosten. Von nachhaltigem Betriebsgewinn kann gar keine Rede sein», sagt Dirscherl. Was macht das mit den betroffenen Menschen in der Landwirtschaft, fragt sich der kirchliche Experte: «Bleibt ihnen der Dank zum Erntedankfest im Halse stecken?»

   Er sieht die Gefahr einer persönlichen Sinnkrise bei vielen Landwirten. «Fehlende Anerkennung für die geleistete Arbeit - das ist für die Landwirtschaft fast noch schlimmer als eine nicht angemessene Entlohnung.» Er fordert deshalb ganz besonders in diesem Jahr, am Erntedankfest in den Gottesdiensten die Menschen in der Landwirtschaft in den Mittelpunkt zu stellen, «die das ganze Jahr mit höchstem Einsatz geackert und gerackert haben».

   «Erntedank ist Dank an den Schöpfer für unsere Lebensgrundlagen. Aber auch Dank, dass Menschen als Teil der Schöpfung in, mit und manchmal auch im Ringen mit dieser Schöpfung ihre Arbeit verrichten: aus Berufung, zur materiellen Existenzsicherung, aber eben auch für unser aller täglich Brot», sagt Dirscherl.

   Der rheinische Landwirt und Agrarwissenschaftler Willi Kremer-Schillings urteilt: «Erntedank ist nicht abhängig davon, ob es uns im Augenblick gut oder schlecht geht. Es gibt immer etwas, für das es sich lohnt zu danken.»

   Und dennoch fühlt sich der Initiator des Blogs «Bauer Willi» zurzeit oft alleingelassen, auch von den Kirchen, wie er sagt: «Es stößt mir sauer auf, wenn ich als konventioneller Landwirt in den Predigten durch die Blume gesagt bekomme, dass ich ja wohl die Schöpfung nicht pflege, weil ich nicht 'bio' wirtschafte.»

   Im Weiler von Zita Steffl sind im Frühjahr 200 Liter Regen in einer Nacht heruntergeschüttet, etwa das Dreifache eines Monats-Solls. Jetzt im September fallen die Äpfel mit vertrockneten Stielen vom Baum. «Jetzt mach' was», zuckt sie die Schulter. Zum Erntedank-Gottesdienst wird der Altar dennoch wieder reich geschmückt sein, auch mit ihren Erntegaben.

Evangelischer Pressedienst
Zum Erntedank-Gottesdienst wird der Altar wieder reich geschmückt sein, egal wie die Ernte war. Bild: epd-bild

Der Beauftragte für agrarsoziale Fragen der EKD

Erntedank

Mit dem Erntedankfest erinnern evangelische und katholische Christen an den engen Zusammenhang von Mensch und Natur. Gott für die Ernte zu danken, gehörte zu allen Zeiten zu den religiösen Grundbedürfnissen. Traditionell werden in den Kirchengemeinden die Altäre mit Feldfrüchten festlich geschmückt.

   Termin für Erntedank ist in der Regel der erste Sonntag im Oktober. Das Fest soll deutlich machen, dass der Mensch die Schöpfung Gottes nicht unter Kontrolle hat. Denn der Mensch ist der Bibel zufolge selbst Teil der Schöpfung. Heute spielen die Themen Tier- und Umweltschutz, Gentechnik und Verschwendung von Lebensmitteln eine wichtige Rolle.

   Mit der Bitte des Vaterunsers «unser tägliches Brot gib uns heute» wird zugleich an die katastrophale Ernährungssituation in den ärmsten Ländern der Erde erinnert. Im christlichen Verständnis gehören das Danken und Teilen zusammen. Erntedank-Gottesdienste sind daher oft mit Solidaritätsaktionen zugunsten notleidender Menschen verbunden.