Posen und Pathos - Lutherdenkmäler konservieren meist die Sicht vergangener Zeiten
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Er streckt den Finger oder ballt die Faust, der entschlossene Blick geht in das aufgeschlagene Buch oder aber in die Ferne: Martin Luther gibt auf Denkmälern seit Generationen zumeist den Unerschütterlichen. Andere Darstellungen haben es schwer.
Hannover/Norderney. In Dresden stand Martin Luther über Jahrzehnte buchstäblich allein auf weiter Flur: In der trostlosen Brache der Altstadt war das Denkmal von 1885 lange Zeit eins der wenigen Zeugnisse aus der unzerstörten Stadt vor dem Zweiten Weltkrieg. Mit dem Wiederaufbau der Frauenkirche und des Quartiers am Neumarkt erhielt ab 1990 auch die Statue ihren prominenten Standort zurück. Die in Bronze gegossene Pose des Reformators ist so oder ähnlich auf vielen anderen Lutherdenkmälern im ganzen Land zu entdecken.
Sie geht zurück auf den sächsischen Bildhauer Ernst Rietschel (1804-1861), der unter anderem mit seinen Entwürfen etwa für das Goethe- und Schiller-Denkmal in Weimar oder das Lessing-Denkmal in Braunschweig das kulturelle Gedächtnis von Generationen nachhaltig prägte. Für die zahlreichen Luther-Standbilder schuf er spätestens mit dem 1868 vollendeten größten Reformationsdenkmal der Welt in Worms, das Luther und elf weitere Reformatoren zeigt, so etwas wie eine Blaupause.
Heute erinnern allein in Deutschland über einhundert Einzeldenkmäler an Martin Luther - die meisten an markanten Orten der Reformationsgeschichte in Mitteldeutschland. Zu ihnen gehören in Thüringen Eisenach, Erfurt und das kleine Möhra, in Sachsen-Anhalt die Städte Eisleben und Mansfeld, das heute in Nordbayern gelegene Coburg ebenso wie Hamburg und Norderney.
Zum 500. Reformationsjubiläum 2017 wurden nicht wenige von ihnen wie jüngst in der Luther-Geburtsstadt Eisleben restauratorisch aufgehübscht. Mit ihrem Pathos konservieren die Standbilder allerdings überwiegend ein Bild vom Reformator aus der Perspektive vergangener Zeiten.
Am dem prägenden Wormser Luther-Denkmal orientierten sich Rietschel-Schüler ebenso wie andere Bildhauer. Gezeigt wird Luther zumeist in weitem Talar und mit der Bibel in der einen Hand, während die andere wahlweise zur Faust geballt ist, auf dem Einband ruht oder aber mit gestrecktem Zeigefinger auf eine imaginäre Textstelle weist. Der Kopf ist gelegentlich leicht nach hinten geneigt, was dem Gesichtsausdruck und dem nach oben gerichteten Blick Entschlossenheit und Strenge verleiht. Auch ist oft ein Bein vorgestellt, das aus dem Talar hervorragt und des Reformators Standhaftigkeit betonen soll.
Auch das Dresdner Denkmal des Thüringer Rietschel-Schülers Adolf Donndorf (1835-1916) folgt letztlich dessen Grundmuster. Allerdings nutzte Donndorf dafür den Entwurf eines Lutherkopfes für Worms, den Rietschel später selbst verworfen hatte.
Das älteste Lutherdenkmal steht jedoch seit 1821 in Wittenberg. Die Arbeit des preußischen Baumeisters Johann Gottfried Schadow (1764-1850) war damals das erste öffentliche Denkmal überhaupt für eine Persönlichkeit, die nicht dem Adel angehörte. Mit dieser Bronzestatue unter einem Baldachin von Karl Friedrich Schinkel (1781-1841) begann die Ära der Lutherdenkmäler.
Den kommunalen und kirchlichen Initiatoren im 19. Jahrhundert ging es dabei nicht nur um ein sichtbares Zeichen des Protestantismus in der Öffentlichkeit. Wie die Denkmäler für große Dichter und Musiker, für Wissenschaftler und Persönlichkeiten aus dem gesellschaftlichen Leben folgten auch die Lutherstandbilder dem damaligen Zeitgeist, sich mit der Würdigung von Berühmtheiten oder historischen Ereignissen zugleich der eigenen Geschichte zu vergewissern.
Dazu hatte einst der Reformator selbst ermutigt. Denn es war Martin Luther höchstpersönlich, der den Begriff "Denkmal" als Übersetzung aus dem Griechischen in den deutschen Wortschatz einführte und als "Gedächtnisstütze" zum Gedenken an herausragende Menschen und Ereignisse erläuterte. Doch die Hoch-Zeit der Denkmalskultur war immer verbunden mit heroischen Bildern. Auch zum Thema Luther sind andere Sichtweisen selten, zumal im 20. Jahrhundert das Interesse an neuen Denkmälern in alter Manier deutlich abnahm.
Einer der wenigen Künstler, die sich jüngst der spannenden Herausforderung eines "anderen Luther" stellten, ist der aus der Gegend von Hannover stammende Metallbildhauer Heiko Schomerus. Seine Lutherplastik von 2011 zeigt den Reformator in Borna als nachdenklichen Junker Jörg in Mönchskutte und mit Bart. In dieser Verkleidung kam Luther im März 1522 in die Kleinstadt bei Leipzig, als er von seinem Versteck auf der Wartburg nach Wittenberg reiste.
Anlässlich des Jubiläums 2017 strebt auch Berlin eine Neuerung an: Das alte Luther-Denkmal vor der Marienkirche von 1895 soll erneuert und zeitgenössisch interpretiert werden. Den ersten Preis eines Wettbewerbs gewann im Sommer der Bildhauer Albert Weis, der dem alten Luther einen chromglänzenden Doppelgänger gegenüberstellte - gerade so, als ob der Reformator mit sich disputiert. Kritik kam umgehend von Theologen und Historikern, die dies für theologisch unsinnig und die um sich selbst kreisende Figur für ein falsches Signal halten.
Der moderne Blick auf einen Luther, der kein Held ist, scheint schwierig. In den kommenden Wochen sollen der Weis-Entwurf und seine möglichen Alternativen öffentlich diskutiert werden - mit offenem Ausgang.