Die Ringparabel von Schwiegershausen
Die Darstellung der Archivmeldungen wird kontinuierlich verbessert. Sollten Sie Fehler bemerken, kontaktieren Sie uns gerne über support@systeme-e.de
Michael Schneider ist Christ, Andrey Schneider ist Jude und Bilal Alhaddad ist Muslim. In Schwiegershausen leben und arbeiten sie zusammen und verstehen nicht, warum das nicht funktionieren sollte. „Wir respektieren den Glauben des anderen, wir sprechen über Religion und wir waren auch schon gemeinsam in der Kirche und in der Moschee“, sagen sie, „ein gemeinsamer Besuch in einer Synagoge steht bis jetzt allerdings noch aus.“
Was sie verbindet ist die Kunst, genauer gesagt das Puppenspiel. Michael stammt aus einer Theaterfamilie mit langer Tradition und führt diese nun mit dem Figurentheater Favoletta weiter. „Eigentlich bin ich von Geburt an Puppenspieler“, sagt er, für ihn war es ganz selbstverständlich, mit 18 sein eigenes Figurentheater zu gründen und zunächst einmal alleine oder mit seiner Cousine zu touren.
Andrey lernte er in Hamburg kennen, seit 2002 sind sie ein Paar und stehen seitdem auch gemeinsam auf der Bühne. „Meine Eltern waren anfangs dagegen und wollten, dass ich 'etwas Vernünftiges lerne, was ich auch getan habe, doch das war einfach nicht ich“, erzählt der Enkel einer bekannten russischen Märchenerzählerin, die ihn vielleicht auf diesen Weg gebracht hat.
Inzwischen haben sie zahlreiche eigene Stücke im Programm, touren durch Deutschland und Luxemburg und wissen, wie sie die Augen von Kindern und auch Erwachsenen zum Leuchten bringen können. „Figurentheater ist ein Stück Kultur, hat in Deutschland, in Russland und auch in der arabischen Welt eine lange Tradition und kann bis heute begeistern, wenn man es mit dem Herzen macht“, haben sie festgestellt.
Gerade die arabische Tradition nehmen sie im Moment in den Blick, beschäftigen sich mit Märchen wie der Karawane von Wilhelm Hauff oder auch Lessings Nathan und der darin enthaltenen Ringparabel, die sie auf die Bühne bringen wollen. „Dort geht es schließlich um die Beziehung der drei Religionen und das ist ein interessantes Thema“, sagt Michael.
Auslöser für diese Überlegungen ist Bilal, der vor acht Monaten aus seiner Heimat Syrien nach Deutschland flüchtete, selbst Künstler ist und bei der Harzer Puppenbühne ganz schnell seinen neuen Platz fand. Zunächst engagierten Andrey und Michael ihn, um Fotos zu machen, inzwischen gehört er fest dazu und übersetzt einzelne Textpassagen ins Arabische, wenn sie beispielsweise in Sprachkursen auftreten. Durch das Schattentheater, das in der arabischen Welt eine lange Geschichte hat und das er durch seinen Vater kennenlernte, hatte er schnell einen Zugang zu den Puppen und zum fantasievollen Spiel.
Für Bilal ist der Familienanschluss die beste Chance zur Integration, für Michael und Andrey wiederum ist Bilal eine Bereicherung und durchaus eben auch eine Inspiration für neue Projekte. „Nicht nur das Theater, auch eine Gesellschaft braucht ständig neue Anreize“, ist Michael überzeugt. Die Dorfgemeinschaft in Schwiegershausen scheint das ähnlich zu sehen, denn weder er und Andrey als eingetragene Lebenspartnerschaft noch Bilal als Flüchtling haben von Nachbarn und Bekannten größere Berührungsängste oder gar Ablehnung zu spüren bekommen.
Dennoch ist es ihnen mit manchen Stücken ein Anliegen, Werte wie Toleranz, Individualität und Mut zu transportieren. Darüber freut sich auch Maïthé Kreutz, eine befreundete Lehrerin aus Luxemburg, die gerade zu Besuch ist. Sie hat das Figurentheater Favoletta durch eine Aufführung an ihrer Schule kennengelernt und mit deren Unterstützung inzwischen auch einige eigene Projekte auf den Weg gebracht. Daher weiß sie um den pädagogischen Wert des Theaters und ist überzeugt, dass sie sich auch für den Unterricht manche Tricks abschauen kann, um die Aufmerksamkeit der Kinder über längere Zeit aufrecht zu erhalten.
„Unterricht hat durchaus etwas mit Theater gemeinsam und Theater auch etwas mit Unterricht“, stellen sie fest, „schließlich soll jedes Stück ja auch eine Aussage und eine Botschaft haben, manchmal eben die, dass eigentlich alle Menschen, überall auf der Welt, nur in Frieden leben wollen und sich nach Geschichten mit einem Happy End sehnen.“
Christian Dolle, Pressearbeit Harzer Land