Unzensierte Frömmigkeit in vielen Sprachen
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Hildesheim. „Das ist ein dickes Ding geworden“, sagt Pastor Klaus Bröhenhorst und hebt einen fast vier Kilo schweren Band aus der Aktentasche. Das „Ding“ ist die Hildesheimer Gästebibel – ein rund 700 Blätter starkes Buch mit handgeschriebenen Bibelsprüchen, Kommentaren und Kinderzeichnungen. Beim Tag der Niedersachsen 2015 in Hildesheim sind die Beiträge gesammelt worden, jetzt liegen sie in gebundener Form vor. Am Sonntag, 22. Mai, übergibt die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) das gewichtige Stück in einem Gottesdienst um 18 Uhr in St. Andreas der Stadt Hildesheim.
„Das ist ein Dokument zeitgenössischer Frömmigkeit“, freut sich ACK-Vorsitzender Klaus Bröhenhorst über das fertige Werk. 600 Menschen haben sich beteiligt, jede/r fünfte hat noch einen Kommentar dazu geschrieben. Hinzu kommen 80 Bilder, die Kinder aus der Caritas-, der St.-Bernward-, St.-Martinus- und der Oberlin-Kita sowie der Klasse 5F vom Gymnasium Sarstedt gezeichnet haben.
Die Bilder haben es Klaus Bröhenhorst besonders angetan: „Die Kinder treffen fast immer die Zwölf“, sagt der staunend. Zu seinen Favoriten gehört eine Darstellung der Arche Noah, die der fünfjährige Boran beigesteuert hat. Offenbar hat sich der Junge Gedanken darüber gemacht, wie denn bloß eine Giraffe in die Arche gepasst haben mag. Die Zeichnung klärt auf: Gar nicht – der Kopf guckt heraus.
Einige Bilder sind nicht so leicht zu entschlüsseln und manche sind einfach das, was der Volksmund Krickel-Krackel nennt. Doch für Texte und Bilder gilt gleichermaßen: „Eine Zensur hat nicht stattgefunden. Es ist kein einziges Blatt weggeworfen worden. Wir haben alles, was wir bekommen haben, gebunden.“ So Klaus Bröhenhorst, der die Beiträge ausgewertet, in eine biblische Reihenfolge gefügt und mit einem Register versehen hat.
Die Hildesheimer Gästebibel ist einer Idee nachempfunden, die die Evangelisch-lutherische Landeskirche beim Tag der Deutschen Einheit 2014 in Hannover erstmals erprobt hatte: In einem Zelt-Scriptorium, ausgestattet mit Schreibpulten, Bibeln in unterschiedlichen Sprachen, Papier und Stiften in Hülle und Fülle, durfte jede und jeder seine Lieblingsbibelpassage aufschreiben und gerne auch kommentieren. Im Unterschied zur Hannoverschen Vorlage sind in der Hildesheimer Sammlung auch Dopplungen erlaubt gewesen: So taucht der Psalm 23 („Der Herr ist mein Hirte“) gleich 27-mal auf. Die Dopplungen habe die ACK bewusst zugelassen, betont Klaus Bröhenhorst: „Die Menschen sollten einfach aufschreiben, was ihnen wirklich wichtig ist.“
Das haben sie getan: In Schönschrift oder hastig hingeworfen, manchmal mit einm seitenlangen Kommentar versehen – Lebenseinsichten, kritische Bemerkungen oder nur die Anmerkung: „Mein Taufspruch.“ Auf Französisch, Dänisch, Japanisch, Koreanisch, Ungarisch, Spanisch, Englisch, Portugiesisch oder Russisch. Und auf Platt: „Gott besach sek allet, wat hei emaket hatte und ssuih, et was sehr göod“ (Gott besah alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut).
So wie das Organisations- und HelferInnen-Team überkonfessionell besetzt war – mit Evangelisch-reformierten und Evangelisch-lutherischen ChristInnen, BaptistInnen und KatholikInnen –, so stammen auch die Einträge von Angehörigen unterschiedlichster Kirche. Doch das muss frau/man schon wissen, herauszulesen ist es nicht. „Man müsste schon mit der Lupe suchen, um konfessionelle Unterschiede zu finden“, so Klaus Bröhenhorst.
Diese Mühe kann sich dann der Oberbürgermeister machen, wenn er möchte. Die Stadt Hildesheim bekommt das Exemplar mit den Originalblättern. Bislang gibt es nur ein einziges weiteres Exemplar mit den gescannten Seiten, einsehbar bei der ACK. „Wenn die Nachfrage sehr groß sein sollte, ist vielleicht noch etwas anderes möglich“, überlegt Klaus Bröhenhorst. Auch über eine elektronische Fassung wird noch nachgedacht.
Kultur und Kommunikation/Ralf NeiteDie Giraffe guckt raus: So stellt sich der fünfjährige Boran die Arche Noah vor. Bild: Neite