Startseite Archiv Nachricht vom 04. März 2016

Tauftheologien und Taufpraxis im Wandel

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Mit Tauftheologien und Taufpraxis im Wandel befasste sich die 60. Europäische Tagung für Konfessionskunde, die vom 04.-05. März 2016 in Bensheim stattfand.

Das Thema „Taufe“ wird heute weder ökumenisch noch innerevangelisch einheitlich gedeutet und praktiziert. Darauf verwies Jörg Bickelhaupt, Referent für interkonfessionelle Theologie am Zentrum Ökumene in Frankfurt/Main. Der Spannungsraum zwischen Gläubigentaufe und Säuglingstaufe ist theologisch bis heute wirksam. Die Taufe wird überwiegend als „lebensgeschichtliches Ereignis“ gesehen. Die Aspekte Bekehrung und Lebensänderung in Verbindung mit der Taufe geraten vielfach aus dem Blick, auch liturgisch.

Bickelhaupt benannte drei hinter den unterschiedlichen Auffassungen stehende Grundfragen, die der ökumenischen Klärung bedürfen: In welchem Zusammenhang stehen Willensfreiheit und (geschenkter) Glaube? Wird die Taufe als effektiv wirksame Handlung oder zeichenhaft verstanden? Und sind die Kirchen - auch bei unterschiedlicher Beantwortung grundsätzlicher Fragen - dazu bereit, die liturgische Praxis und theologische Auffassungen anderer Kirchen anzuerkennen?

Hubertus Schönemann, Leiter der Katholischen Arbeitsstelle „Missionarisch Kirche sein“ in Erfurt, referierte über die Erfahrungen mit der Taufvorbereitung Erwachsener im Bereich der römischkatholischen Kirche. Bei der Begleitung von Taufinteressenten geht „es weniger um eine Rekrutierung oder Re-Katholisierung sondern vielmehr um eine Erneuerung in veränderter Gestalt und Praxis, angesichts der Veränderungen in einer als post-kirchlich gedeuteten Zeit.“ Den Erwachsenen steht ein „gestalteter Weg des Christwerdens“ offen, mit den Schritten Vorkatechumenat, Gebet um Befreiung, Einschreibung zur Taufe, den unmittelbaren Vorbereitungen, der Buß- und Stärkungsfeier und schließlich mit der Taufe in der Osternacht als Höhepunkt. Ziel ist, „den individuellen Glaubensvollzug zu entwickeln und zu stärken, die eigene Berufung als Teil der Sendung des Gottesvolkes zu entdecken.“

Neue Entwicklungen in der baptistischen Tauftheologie und Taufpraxis stellte Oliver Pilnei, Leiter der Evangelisch-Freikirchlichen Akademie Elstal, vor. Er plädiert dafür, die Taufe als „Initiationsritus“ aufzufassen, der einen lebenslangen Glaubensweg begründet. Dies darf von Baptisten nicht als „Behelfsbrücke“ zur Anerkennung der Säuglingstaufe gesehen werden sondern als Möglichkeit, die als Säugling getauften Christen in ihre Gemeinde aufzunehmen. Die Volkskirche hingegen muss darüber nachdenken, den Zusammenhang von Säuglingstaufe und Kirchenmitgliedschaft zu entkoppeln.

Der Taufritus in der Russisch-orthodoxen Kirche besteht seit dem vierten Jahrhundert fast unverändert, wie Evgeny Pilipenko referierte, der am Kyrill-und-Method Postgraduierteninstitut des Moskauer Patriarchates lehrt und Mitarbeiter des Kirchlich-Wissenschaftlichen Zentrums „Orthodoxe Enzyklopädie“ in Moskau ist. Die Lehrbildung zur Taufe ist in der Orthodoxie nicht sehr ausgeprägt und führt zu einem gewissen Freiraum für liturgische Entscheidungen der lokalen Priester, erläuterte Pilipenko. Nach dem Ende der Sowjetunion war Taufunterricht erstmals seit mehr als 70 Jahren wieder möglich. Allerdings bestehe in vielen russischen Familien ein traditionsgebundenes oder magisches Verständnis. Pilipenko stellte für westliche Hörer und Hörerinnen ungewöhnliche Aspekte dar, z.B. dass die orthodoxe Schöpfungslehre Taufen von Säuglingen verneint, die mit Hilfe von Leihmutterschaft gezeugt wurden, es sei denn Eltern bekennen ihre schwere Schuld und unterziehen sich einer Kirchenbuße.

Einen ungebrochenen Trend zur Kindertaufe stellte Regina Sommer, Professorin für Praktische Theologie an der Philipps-Universität Marburg, fest. Nahezu 89% aller Evangelischenwürden sich für die Taufe eines Kindes entscheiden. Allerdings nimmt diese Zustimmung bei Jüngeren ab, von den 20-29 Jährigen würden nur noch ein Fünftel ihr Kind taufen lassen, so die Ergebnisse der V. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Daraus ergeben sich nach Sommer neue Aufgaben für Theologie, Religionspädagogik und Ekklesiologie. Kirche muss die Beteiligten zunächst in ihrer Lebenssituation wahrnehmen und bei der Gestaltung der Tauffeier einbeziehen. Dabei ist eine Flexibilisierung der Orte und Zeiten erforderlich. Die Gestaltung von Taufritual und der Taufpredigt muss Spannungen gestalten, Ambivalenzen benennen und Anschlüsse an die Fragen der Eltern bieten. Die Taufe ist „mehr als ein naiv-freundliches Lebensbegrüßungs- und Segensfest, ihr theologischer Tiefensinn macht sie attraktiv.“ Nötig ist nach Sommer auch, „den Zusammenhang von Taufe und Kirchenmitgliedschaft weiter zu denken.“

Den Konnex von Wasserritual und gesprochenem Wort beleuchtete Jörg Neijenhuis, Professor für Praktische Theologie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Taufe dürfe nicht dem „Eventcharakter“ allein verpflichtet sein. Kenntnisse über Bedeutung von Ritualen und Orten im Zusammenhang mit der Taufe verschwinden, wenn man unter freiem Himmel etwa am Badesee oder Flussufer taufe.

Die Leitung der Tagung lag bei Karl Pinggéra, Professor für Kirchengeschichte an der Philipps- Universität Marburg und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des Konfessionskundlichen Instituts, und Mareile Lasogga, Direktorin des Konfessionskundlichen Instituts.