Startseite Archiv Nachricht vom 17. November 2015

„Typisch deutsch ist die Vielfalt“

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Alfeld. Das Thema für den Auftakt der „BBS-Lectures“ hätte kaum aktueller und brisanter sein können. Drei Tage nach den Terrorakten in Paris war Prof. Dr. Wolfgang Reinbold zu Gast in der Berufsbildenden Schule Alfeld. Der Theologie-Professor in Göttingen und Beauftragte für Kirche und Islam in der evangelischen Landeskirche sprach über die verschiedenen Gesichter des Islam – und er endete beim Selbstverständnis der Deutschen.

Schulpastor Dr. Matthias Günther hat die „BBS-Lectures“ ins Leben gerufen. Ein- bis zweimal im Jahr sollen DozentInnen aus den theologischen Instituten niedersächsischer Hochschulen eingeladen werden, um zu gesellschaftlich relevanten Themen eine Vorlesung zu halten. Wie an der Uni, nur eben vor Schülerinnen und Schülern. Beim Stapellauf der Reihe waren rund 220 Jugendliche und junge Erwachsene in der BBS-Aula ganz Ohr.

Die Vorlesungen sollten dazu beitragen, die Schülerinnen und Schüler umfassender zu informieren, sagte Schulleiter Franc Schulz in seiner Begrüßung. Denn Demokratie sei auf einen hohen Grad von Information angewiesen. Je mehr Menschen voneinander wüssten, desto unwahrscheinlicher sei es, dass sie gegeneinander in den Krieg zögen.

Wolfgang Reinbold reagierte skeptisch. Die digitalen Informationskanäle hätten es dem Islamischen Staat erst ermöglicht, seine Ideen so schnell und weit zu streuen. „Wir hätten den IS ohne das Internet nicht“, so Reinbolds These. Schätzungen zufolge kämen rund 20.000 IS-Kämpfer aus Europa. Der Wissenschaftler und Theologe warnte vor salafistischer Propaganda und wandte sich direkt an die Schülerinnen und Schüler: „Sie sind das klassische Zielpublikum dafür, vielleicht schon ein bisschen zu alt.“

Zugleich forderte Reinbold auf, muslimische Menschen nicht über einen Kamm zu scheren. Der Islam rufe nicht per se zur Gewalt gegen Andersgläubige auf, im Gegenteil. So betone die Schura Niedersachsen, eine der beiden größten Islamischen Vereinigungen im Land: „Das Recht auf Glaubens- und Meinungsfreiheit gehört zu den Prinzipien des Islam.“ Der Koran, so die Schura, lehne jede Form von Gewaltanwendung ab. Und die Anschläge in Paris, ergänzte Reinbold, hätten die welt wichtigsten islamischen Verbände einhellig verurteilt: „Das ist an Deutlichkeit nicht zu überbieten." Wolfgang Reinbold stellte dar, dass der radikale Islamismus seine Wurzeln nicht im Koran habe, sondern insbesondere durch den europäischen Kolonialismus im 19. Jahrhundert verursacht worden sei. Über viele Jahrhunderte sei der Islam bis dahin eine Religion gewesen, die sich gerade dadurch ausgezeichnet habe, dass sie unterschiedliche Sichtweisen duldete. In Deutschland sei nun die entscheidende Frage: „Wer gehört dazu?“ Nur die, die von sich behaupten, „dass sie schon immer hier waren“? Oder alle Menschen, die sich zu der im Grundgesetz festgeschriebenen freiheitlichen Grundordnung bekennen? Für Reinbold ist die Antwort klar: „Typisch deutsch ist die Vielfalt.“ Es könne nicht angehen, dass Kinder und Jugendliche, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind (und oft auch ihre Eltern schon), in der Schule wie AusländerInnen behandelt würden – nur weil sei einen fremd klingenden Namen trügen oder eine andere Hauptfarbe hätten. Reinbolds Plädoyer: „Wir müssen uns angewöhnen, unser Herz zu weiten.“

Ralf Neite, Kultur und Kommunikation
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220 Schülerinnen und Schüler folgten Wolfgang Reinbold beim Auftakt der „BBS-Lectures“. Bild: Neite