Startseite Archiv Nachricht vom 31. Juli 2015

Rund 700 Menschen demonstrieren in Bad Nenndorf gegen Aufmarsch von 180 Neonazis

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Bad Nenndorf/ Kr. Schaumburg (epd). Rund 700 Menschen haben nach Polizeiangaben am Sonnabend in Bad Nenndorf bei Hannover gegen einen Aufmarsch von Rechtsextremisten demonstriert. Das Bürgerbündnis "Bad Nenndorf ist bunt" hatte neben einer Kundgebung zahlreiche kreative Aktionen wie Straßenfeste und einen unfreiwilligen Spendenlauf organisiert, um sich den Rechtsextremisten entgegenzustellen. Rund 180 Neonazis waren zu einem sogenannten Trauermarsch in die Stadt gekommen.

Linksautonome hatten am Vormittag einen Zug im Bahnhof und einen Bahnübergang blockiert. Bei der Räumung seien Polizeibeamte angegriffen und verletzt worden, berichtete ein Sprecher. Insgesamt seien mit 1.200 aber deutlich weniger Einsatzkräfte vor Ort gewesen als in den vergangenen Jahren. Rund 100 Nazis mussten aufgrund der Blockaden zu Fuß den Weg von Haste nach Bad Nenndorf zurücklegen.

Die Rechtsextremisten ziehen seit 2006 jedes Jahr am ersten August-Wochenende zum Wincklerbad, wo sich bis 1947 ein britisches Verhörzentrum und Militärgefängnis für Nationalsozialisten befand. Sie haben die Märsche noch bis 2030 angemeldet. 2010 kamen noch 900 Neonazis. Seitdem sank die Zahl auf zuletzt etwa 200.

"Das starke nicht nachlassende Engagement der Bürgerinitiative 'Bad Nenndorf ist bunt' hat erreicht, dass deutlicher weniger Neonazis jährlich nach Bad Nenndorf kommen", sagte Niedersachsens Sozialministerin Cornelia Rundt bei der Gegendemonstration. Auch angesichts jüngster Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte sei Zivilcourage gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus nötig.

Neben Rundt waren weitere Landes- und Bundespolitiker nach Bad Nenndorf gekommen, darunter der Landtagsvizepräsident Klaus-Peter Bachmann (SPD), Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel (Grüne) und der CDU-Bundestagsabgeordnete Maik Beermann.

Der Friedensbeauftragte der Hannoverschen Landeskirche, Lutz Krügener, rief dazu auf, Rechtsextremen an allen Orten Widerstand entgegenzusetzen. Statistisch brenne jeden Tag eine Flüchtlingsunterkunft in Deutschland, betonte der evangelische Pastor: "Wir alle stehen gegen ein Denken, das Menschen nach Hautfarbe, Geschlecht, Religion oder anderen Merkmalen sortiert."

Bei einem ökumenischen Gottesdienst der Kirchen und der jüdischen Gemeinde hatte am Vormittag auch der ehemalige Auslandsbischof der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Martin Schindehütte, die Protestaktionen des Bürgerbündnisses gewürdigt. Sie zeigten, dass eine demokratische Gesellschaft ohne Freiheit, Respekt und Toleranz nicht leben könne.

Bad Nenndorfer Bürger hatten die Aufmarsch-Strecke zum Protest mit bunten Bannern, Plakaten und Häkeltüchern geschmückt. In vielen Häusern feierten sie private Partys. Vor der Jüdischen Gemeinde trafen sich Vertreter von Parteien und Verbänden am Nachmittag zu einem Fest unter dem Motto "Zu Gast bei Freunden".

Erstmals hatte das Bürgerbündnis in Bad Nenndorf einen unfreiwilligen "Spendenlauf" nach dem Vorbild einer Aktion im bayerischen Wunsiedel organisiert. Für jede Minute unerwünschter Aufenthaltszeit der Neonazis in der Stadt spendeten Privatleute und Unternehmer zehn Euro. Am Nachmittag rechneten die Organisatoren mit einem Erlös von 2.400 Euro.

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Mit Bananen und coolen Sprüchen gegen Rechts/Bbürger sammeln beim Aufmarsch der Neonazis Spenden für Aussteiger

Bad Nenndorf/Kr. Schaumburg (epd). Sie wollen die Nazis der Lächerlichkeit preisgeben. Und das gelingt den Bürgern in Bad Nenndorf auf beeindruckende Weise. Auf Bannern stehen Sprüche wie "Eine rechte Hand hilft der anderen" und "Wenn das der Führer wüsste". Sie säumen die Bahnhofsstraße der Kleinstadt bei Hannover, dem Schauplatz des sogenannten Trauermarsches von Rechtsextremen. Auf dem Asphalt sind mit Kreide Start und Ziel markiert. Das Bündnis "Bad Nenndorf ist bunt" bietet am Sonnabend mit dem "unfreiwilligsten Spendenlauf Deutschlands" den Neonazis die Stirn.

"Der Spendenlauf ist eine gute Aktion, wir veräppeln die Nazis richtig", sagt Jürgen Bock. Der 58-Jährige Bad Nenndorfer erlebt seit 2006 an jedem ersten Wochenende im August hautnah die "Trauermärsche" zum Wincklerbad. Mit fantasievollen Aktionen halten Bürger, Vereine, Parteien, Gewerkschaften und Kirchen seit jeher dagegen.

Ob sie wollen oder nicht - die rund 180 aufmarschierten Neonazis unterstützten mit dem Spendenlauf die Menschen, die den Ausstieg aus der rechten Szene suchen. Denn für jede Minute unerwünschten Aufenthalts der Neonazis in der Kurstadt spenden Privatleute und Unternehmer zehn Euro. Die Aussteigerorganisation "Exit" will das Geld zum Aufbau eines bundesweiten Netzwerkes von Tattoo-Studios nutzen. Aussteiger können dort ihre rechtsextremistischen Tätowierungen entfernen lassen.

Das nicht nachlassende Engagement habe erreicht, dass deutlich weniger Neonazis jährlich nach Bad Nenndorf kämen, sagt Sozialministerin Cornelia Rundt (SPD) während der Bündnis-Kundgebung. "Diese Art des Lächerlich-Machens hat gewirkt. Rechtsextremismus ist lächerlich." Etwa zur gleichen Zeit müssen die Neonazis schon lange vor dem eigentlichen Aufmarsch mit dem Laufen beginnen. Linksautonome haben einen Zug im Bahnhof blockiert. Rund 100 Rechtsextreme müssen den sechseinhalb Kilometer langen Weg von Haste nach Bad Nenndorf zu Fuß zurücklegen.

Dem Spendenlauf können die Verzögerungen nichts anhaben. "Sobald die Neonazis Bad Nenndorf betreten, beginnen die Strafminuten", sagt Fabian Wichmann von "Exit". "Eigentlich brauchen wir die Nazis gar nicht", meint Gitta Matthes aus der Bürgerinitiative "Bad Nenndorf ist bunt".

Sie und ihr Mann Winfried Wingert haben ein gelbes Schild entworfen, das aussieht wie ein Ortsschild. "Spendenlauf" steht auf der oberen Hälfte, auf der unteren Hälfte ist das Wort "Trauermarsch" durchgestrichen. Jeden, der möchte, fotografiert Gitta Matthes gegen eine Spende mit dem Schild in der Hand. Die Einnahmen gehen direkt an "Exit", erzählt die gut gelaunte Hobbyfotografin. Die Bilder kommen später auf die Homepage des bürgerlichen Bündnisses. "So können alle Leute Gesicht zeigen."

Die Häuser entlang der Bahnhofstraße sind mit bunten, gehäkelten Schals und Mützen geschmückt, am Ende der Route steht eine Kiste mit hundert Bananen. "Die exotische Frucht steht in rechtsextremistischen Kreisen für Fremdenfeindlichkeit", erklärt Fabian Wichmann. "Wir bieten die Bananen den Neonazis im Ziel als Stärkung an. Das ironisiert den Lauf noch zusätzlich."

Gegen 15 Uhr sind sie dann da: In weißen und schwarzen Hemden marschieren die Rechtsextremen zum Wincklerbad. Dabei müssen sie gleich an zwei Privatpartys vorbei. Die Bad Nenndorfer haben Schlumpfmützen auf, spielen laute Schlagermusik und bewerfen die Neonazis mit buntem Konfetti. Für Trauer ist wenig Platz. Eine Banane nimmt keiner der Neonazis. Nach einer gut einstündigen Kundgebung treten sie den Rückweg zum Bahnhof an. Dabei müssen sie vorbei an Siegerurkunden für ihre herausragenden Leistungen beim Spendenlauf: Sie haben mit ihren Aufmärschen für mindestens 2.400 Euro Spendengelder gesorgt.

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