Startseite Archiv Nachricht vom 13. Juli 2015

Das Schwierigste steht noch bevor

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Kathmandu (Nepal)/Genf – Er konnte alle anderen aus ihren Häusern laufen sehen, als die Erde am 25. April bebte, aber Dharma Lal Shrestha (63) aus der Gemeinde Shankarapur in Sanagaun war hilflos. Ihm war klar, das war ein Erdbeben und er sollte das Haus verlassen, aber seine Körperbehinderung machte das unmöglich. „Als das Haus bebte, war ich im ersten Stock und betete zu Gott um Hilfe“, erzählt er.

Shresthas Bein musste im Juni letzten Jahres aufgrund einer Wundbrandinfektion amputiert werden. Seither kann er nur noch kriechen, denn er ist zusätzlich teilweise gelähmt und kann daher keine Krücken verwenden. Er braucht Hilfe, um Treppen zu steigen. „Alle dachten an ihre eigene Sicherheit“, erinnert er sich. „Es war niemand in der Nähe, den ich zu Hilfe rufen konnte.“
„Alle denken an ihre eigene Sicherheit“

Das Erdbeben hat diejenigen am härtesten getroffen, die die es ohnehin schwer haben. Shresthas 65-jähriger Nachbar Krishna KC lebt seit über 30 Jahren mit nur einem Bein. Das Leben war seither nicht leicht für ihn. Sein Sohn heiratete, zog weg und entfremdete sich von ihm. Gemeinsam mit seiner Frau wohnt er in einem gemieteten Haus. KC hatte sich hingelegt, als die Erde zu beben begann. „Meine Krücken fielen einfach um und ich machte einen Satz, um mich am Fenster abstützen zu können“, erinnert er sich. Die Hausmauer stürzte auf ihn und er verlor das Bewusstsein. „Meine Familie dachte, ich wäre tot.“ Aber er schaffte es, sich zu befreien. „Meine Frau weinte, als ich aus dem Haus kam.“

Shrestha hat zwei Söhne und drei Töchter. Sie hatten ihren Vater im Obergeschoss gelassen, wo er an diesem Samstag eine Ruhepause machte. Zum Zeitpunkt des Erdbebens waren sie alle ausser Haus. „Ich hatte Glück. Die Mauer stürzte zwar ein, aber sie fiel nicht in meine Richtung. Ich wurde nur leicht verletzt“, beschreibt er das traumatische Erlebnis. Die obere Etage stürzte bei dem Erdbeben ein.

Als sein Sohn eine Viertelstunde später seinen Vater lebend inmitten der Zerstörung fand, brach Shrestha junior in Tränen aus. „Mich muss ein Gott gerettet haben. Mein eigener Onkel, der nebenan wohnte, kam ums Leben“, meint Dharma Lal Shrestha, der praktizierender Hindu ist.
Ein neues Leben

Gemeinsam mit seinen Partnern versorgte der Lutherische Weltbund (LWB) Shresthas und KCs Familie mit Nahrungsmitteln und anderen Hilfsgütern, als sie nichts zu essen und keine Bleibe hatten. Sie erhielten Reis, Linsen, Speiseöl, Salz, Gewürze und Milchpulver. Darüber hinaus verteilte der LWB Planen an die Familien, mit denen sie provisorische Zelte errichten konnten, versorgte sie mit Matratzen, Hygienepaketen, einem Wassereimer sowie einem Wasseraufbereiter und unterstützte sie auch beim Bau von Toiletten. „Sie waren uns eine grosse Hilfe“, erklärt Shrestha.

Der LWB leistete für die vom Erdbeben betroffenen Familien in Sanagaun, einem der am schwersten zerstörten Gemeinden im Bezirk Lalitpur, zudem auch psychosoziale Betreuung. Shrestha glaubt zwar, dass er das Schlimmste inzwischen hinter sich hat, macht sich aber trotzdem Sorgen über die kommende Zeit. Seine Familie hat keine Getreidevorräte mehr. Sie besitzt kein Land, also besteht auch keine Hoffnung, dass in näherer Zukunft neue Nahrungsmittel geerntet werden könnten. Shresthas Sohn arbeitete früher in einer Motorradwerkstatt, kündigte aber, um seinen gelähmten Vater zu pflegen. „Wir hatten etwas Getreide gesammelt, aber all unsere Lebensmittelvorräte wurden unter den Trümmern begraben. Wir fragen uns, was wir jetzt tun sollen“, klagt Shresthas Sohn. „Lebensmittel und eine Unterkunft sind aktuell die grössten Sorgen.“

KCs Familie hat nach dem Erdbeben wieder zusammengefunden: „Mein Sohn lebt zwar immer noch auswärts, aber wir haben jetzt wieder ein gutes Verhältnis.“ Und er ergänzt: „Mein Haus ist zwar zerstört, aber ich bin froh, dass das Erdbeben unsere Beziehung in Ordnung gebracht hat.“

Aktuell lebt KC in einer provisorischen Unterkunft. Die Trümmer seines alten Hauses müssen erst noch weggeräumt werden. „Ich habe alles verloren, aber ein neues Leben geschenkt bekommen“, stellt er fest. „Obwohl ich unter einer Hauswand begraben war, bin ich noch am Leben.“

 

Ein Beitrag von Kosh Raj Koirala (Nepal), bearbeitet durch das LWB-Kommunikationsbüro
 

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Krishna KC. Bild: Kosh Raj Koirala