Startseite Archiv Nachricht vom 06. Juli 2015

Theologe Markschies: Christliches Abendland ist ein Mythos

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Hildesheim (epd). Religiöse Vielfalt ist in Deutschland und Europa laut dem Berliner Theologie-Professor Christoph Markschies tief verwurzelt. "Man könnte ja denken, dass die in den letzten Jahren in unser Land kommenden Flüchtlinge aus den Krisenregionen dieser Welt das Problem religiöser Vielfalt erzeugt oder mindestens doch verschärft haben", sagte der Theologe am Montagabend beim Jahresempfang des Sprengels Hildesheim-Göttingen. "Aber hier beginnt die Wirkung von Propaganda anstelle von solider Information."

Der Mythos vom christlichen Abendland sei leider viel weiter verbreitet als die Kenntnis der Fakten, sagte Markschies. "Ein christliches Abendland, das wir nach Ansicht mancher Menschen, zu verlieren drohen, hat es so, wie es gern beschworen wird, nie gegeben." Die Zahlen der Asylsuchenden der letzten Monate aufgeschlüsselt nach Religionszugehörigkeit zeigten, dass Flüchtlinge sogar die Christianisierung Deutschlands vorantrieben.

Beispielsweise in Österreich gebe es schon seit 1912 eine gesetzliche Grundlage für islamischen Religionsunterricht. In Berlin würden die Fundamente der ersten Moschee im Brandenburger Raum ausgegraben, die während des ersten Weltkriegs entstand. Einen muslimischen Begräbnisplatz gebe es dort bereits seit dem 18. Jahrhundert.

Der Anteil muslimischer Mitmenschen sei gegenüber 1945 vor allem durch die Aufnahme von Gastarbeitern erheblich gewachsen. Diese hätten viele Sitten und Gebräuche ihrer Heimatländer abgelegt, aber nicht ihre Religion. "Im Gegenteil: in der dritten Generation findet häufig eine Rückbesinnung auf die eigene Religion, aber auch auf Kultur und Nationalität statt." Dies führe beispielsweise bei palästinensischen Jugendlichen im Verbund mit radikalen Predigern zu Problemen.

Muslimischen Mitbürgern könne nur dann dabei geholfen werden, ihre eigenen toleranten Traditionen zu entdecken und zu stärken, wenn sie am Religionsunterricht an öffentlichen Schulen teilhätten. Die Geistlichen müssten zudem an Universitäten ausgebildet werden, sagte Markschies. Nur im öffentlichen Diskurs stabilisierten sich diejenigen Elemente in Religion und Theologie, die diese kompatibel mit Grundprinzipien einer demokratischen Gesellschaft machten.

Zu dem Empfang in der Hildesheimer St. Michaeliskirche waren rund 400 Gäste aus Politik, Kultur, Gesellschaft erschienen. Der Sprengel Hildesheim-Göttingen erstreckt sich von Hann. Münden bis nach Peine und vom Harz bis an die Weser. Er umfasst neun Kirchenkreise und rund 390 Gemeinden.

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Bild: Thomas Meyer/OSTKREUZ