„Apartheid ist noch lange nicht tot!“
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Berlin. „Die Auswirkungen von Kolonialismus und Apartheid beeinflussen noch immer unsere Gegenwart, auch wenn ihre Politik der Vergangenheit angehört“, erinnerte der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) Nikolaus Schneider in Berlin. Schneider sprach im Rahmen der Vorstellung eines im Auftrag von 23 protestantischen Kirchen und Missionswerken erarbeiteten wissenschaftlichen Sammelbandes, der in der vergangenen Woche auf Tagungen in Berlin, Soweto und Kapstadt vorgelegt wurde.
„Wir stehen gemeinsam in der Pflicht, die Rolle der Kirchen und Missionsgesellschaften zur Zeit des Kolonialismus und der Apartheid kritisch zu diskutieren“, so EKD-Bischöfin für Ökumene und Auslandsarbeit Petra Bosse-Huber. „Dies gilt auch für die noch weiterhin zu führenden Diskussionen um die Anerkennung des Völkermords an Hereros, Nama und Damara 1904-1908 und um deren kirchenpolitische Konsequenzen.“
Für eine Vielzahl der Beteiligten seien die Wunden der Apartheid, wie sie auch in Kirchen praktiziert wurde, noch frisch. Auch deshalb sei es notwendig, Schuld konkret beim Namen zu nennen, so Dr. Kobus Gerber von der Niederdeutschen Reformierten Kirche in Südafrika. Erinnert wurde auch an die seinerzeitige Unterstützung des Apartheidregimes durch Kirchen und Missionswerke. Bischof Jacob Lebaleng Selwane, Repräsentant der größten ev.-lutherischen Kirchen im Südlichen Afrika (ELCSA) brachte allerdings auch deutlich zum Ausdruck: „Das Biest der Apartheid ist noch lange nicht tot. Es hat nur seine Gestalt gewandelt“.
Den Konferenzen vorausgegangen war ein mehrjähriges Forschungsprojekt, das sich der Rolle des Protestantismus zwischen Deutschland und dem südlichen Afrika im Zeitraum von 1930 bis in die 1980er Jahre widmete und nun als Buch unter dem Titel "Umstrittene Beziehungen" vorliegt.
„Erst zu Beginn der 1970er Jahre setzte sich in den evangelischen Kirchen in Deutschland die Überzeugung durch, dass das Apartheidsystem nicht mit dem christlichen Glauben vereinbar ist“, erläuterte Dr. Hanns Lessing, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Studienprozesses.
Bei der zweiten Konferenz in Soweto lag der Schwerpunkt auf den Beiträgen der lutherischen Kirchen. Repräsentanten von Kirchen und Missionswerken diskutierten die Notwendigkeit des gemeinsamen Erinnerns: „History matters because the future matters“. Dabei gedachten sie auch des kirchlichen Widerstandes, ohne den die Abschaffung der Apartheid im Jahr 1994 nicht möglich gewesen wäre.
Unter Beteiligung der reformierten Kirchen Südafrikas und verschiedener Nichtregierungsorganisationen wurden bei der dritten Konferenz in Kapstadt Fragen nach Auftrag der Kirchen und zivilgesellschaftlicher Bewegungen gestellt. Vor dem Hintergrund, dass Südafrika die höchste ökonomische Ungleichheitsrate der Welt hat, fragte eine Vertreterin der Bewegung „Kairos Southern Africa“: „Wie viel Mut sind wir bereit, aufzubringen, um Ungerechtigkeit ehrlich zu benennen und uns ihr entgegenzustellen?“
Selbstkritisch wurde von den Kirchen auch nicht verschwiegen, dass es ihnen derzeit nicht gelinge, an ihr prophetisches Zeugnis und ihre tragende Rolle im Kampf zur Überwindung von Apartheid anzuknüpfen. Gleichwohl stelle sich die Frage, ob die Situation eines neuen „Kairos“ als Zeitpunkt für grundlegende Veränderung und Wandel gegeben sei.
Mit der Präsentation des umfangreichen Sammelbandes wurden gleichzeitig konkrete Schritte zur Weiterarbeit wie etwa Konsultationen in den beteiligten Kirchen vereinbart, deren Ergebnisse bis zum Reformationsjubiläum 2017 vorliegen sollen.
EKD-Pressemitteilung Nr. 109/2015Bild: epd-bild/