Geschenkte Zeit

Andacht zum Sonntag Exaudi
Eine Kapelle mit weißen Wänden und rotem Dach im Sonnenlicht; davor steht eine alte Holzbank.
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Der Autor

Jakob Kampermann
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Jakob Kampermann

Jakob Kampermann ist Pastor und Mitglied der Evangelischen Medienarbeit (EMA) der Landeskirche Hannovers. 

„Und jetzt ist es schon fast 18 Uhr!“, dachte er. Dann sagte er es auch, und sie musste lachen.

Angefangen hatte es am Vormittag. Das waren gerade so wunderbare Tage. Himmelfahrt war immer sonnig. Und der Sonntag danach mit Brückentag – viel Freizeit. Er hatte jede Menge freie Zeit und hatte sich vorgenommen, heute doch mal in die Kirche zu gehen. Schließlich war Sonntag und irgendwie hatte er Lust dazu gehabt. Mit dem Rad war er den sonnigen Weg am Kanal zur Kirche gefahren. Und dort saß sie auf einer Bank vor der Kirche in der Vormittagssonne.

Sie nickten sich zu, als er zur Kirchentür ging. Gähnende Leere in der Kirche, die Glocken läuteten auch nicht. Irritiert drehte er um und trat wieder in die Sonne hinaus. „Heute hat sogar die Kirche frei!“, rief sie ihm zu. „Na, sowas“, murmelte er. Sie zeigte auf den Platz neben sich auf der Bank und er setzte sich. „Ich komme sonst auch nicht hier in die Kirche, und gerade heute ist hier gar nichts.“ „Genauso geht es mir auch“, gab er zu und nahm das Cappy ab, das er mitgenommen hatte, um sich vor der Sonne zu schützen.

Anfangs siezten sie sich noch. Aber das gab sich schnell, als sie miteinander ins Gespräch kamen. Sie stellten fest, dass sie nicht nur den verpassten Kirchenbesuch und die dadurch geschenkte Zeit gemeinsam hatten. Sie hatten beide schon freie Tage hinter sich (Brückentag) und nicht das nötige Geld, um tatsächlich wegzufahren. Ziele hatten sie beide auch nicht wirklich, wo sie gerne einen Urlaub verbracht hätten.

Und so setzen sie sich wieder auf ihre Räder und fuhren zusammen zu den Ricklinger Kiesteichen. Sie hatte das sowieso vorgehabt – so profitierte er von ihrer Thermoskanne mit Kaffee. Sie hatten die ganze Zeit etwas zu reden. Er stellte auf einmal erstaunt fest, dass sie die ganze Phase des Sich-aneinander-Herantastens einfach ausgelassen hatten. Sie redeten miteinander, als würden sie sich schon lange kennen.

Zwischendurch setzte er sich auf sein Rad und holte Pommes. Auch das hatte er schon jahrelang nicht mehr gemacht. Aber es wurde eindeutig Sommer, er hatte frei und ihr gefiel das.

„Und jetzt ist es schon fast 18 Uhr!“, sagte er, und sie musste lachen.

Liedtext: Wie lieblich ist der Maien (Martin Behm um 1606)
1. Wie lieblich ist der Maien
aus lauter Gottesgüt,
des sich die Menschen freuen,
weil alles grünt und blüht.
Die Tier sieht man jetzt springen
mit Lust auf grüner Weid,
die Vöglein hört man singen,
die loben Gott mit Freud.

2. Herr, Dir sei Lob und Ehre
für solche Gaben dein!
Die Blüt zur Frucht vermehre,
lass sie ersprießlich sein.
Es steht in Deinen Händen,
Dein Macht und Güt ist groß;
drum wollst Du von uns wenden
Mehltau, Frost, Reif und Schloß’.

3. Herr, lass die Sonne blicken
ins finstre Herze mein,
damit sich’s möge schicken,
fröhlich im Geist zu sein,
die größte Lust zu haben
allein an Deinen Wort,
das mich im Kreuz kann laben
und weist des Himmels Pfort.

4. Mein Arbeit hilf vollbringen
zu Lob dem Namen Dein
und lass mir wohl gelingen,
im Geist fruchtbar zu sein;
die Blümlein lass aufgehen
von Tugend mancherlei,
damit ich mög bestehen
und nicht verwerflich sei.
Jakob Kampermann