Startseite Archiv Bericht vom 04. Juni 2004

Landesbischöfin fordert Erhalt von Individualethik und Tugend gegen Kulturverlust und die Entwürdigung der Zeit

Die Darstellung der Archivmeldungen wird kontinuierlich verbessert. Sollten Sie Fehler bemerken, kontaktieren Sie uns gerne über support@systeme-e.de

„Als Protestantinnen und Protestanten sind wir geradezu aufgefordert, für einen Erhalt von Individualethik und Tugend einzutreten in einer Zeit, die manches Mal unter Kulturverlust und Entwürdigung leidet.“ Diese Forderung stellte Landesbischöfin Margot Käßmann an den Anfang ihrer Gedanken über die Situation der Kirche in unserer Zeit. In ihrem Bericht vor der Synode erläuterte sie diese Forderung an zwei Aspekten, der Trauerkultur und des „Clash of Cultures“, des Aufeinandertreffens der Kulturen des Christums und des Islams im aktuellen Weltgeschehen.

Aktiv gegen Sterbehilfe stellen
Neue Initiativen auf europäischer Ebene und im deutschen Bundestag zielten auf eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe, berichtete Käßmann und rief die Synode auf: „Wir sollten uns intensiv dagegen stellen!“ Dabei sei das Anliegen der schwerkranken Menschen und deren Angehörigen ernst zu nehmen, Alternativen stark zu machen und zu fragen, „wie wir die Auferstehungsbotschaft überzeugend darstellen“ können. Es müsse die „passive Sterbehilfe“ gestärkt, die Schmerzbekämpfungs-Medizin mehr gefördert und der Hospizdienst ausgebaut werden. Glaubwürdige christliche Rede über Tod und Sterben werde dazu beitragen, aktive Sterbehilfe zu verhindern, so Käßmann optimistisch.

Zur Trauerkultur gehört auch die Bestattungspraxis. Käßmann fordert von den Pastorinnen und Pastoren hier eine „zugewandte, persönliche und seelennahe“ Arbeit, sie wünscht sich, dass „wir unsere Kompetenz hier viel besser wahrnehmen und die Aufgaben professionalisieren.“ Auch müsse die Friedhofskultur flexibeler auf die Wünsche nach Individualität eingehen. Ein besonderes Anliegen ist für die hannoversche Bischöfin die Bestattung von Fehl- und Totgeburten und bei Abtreibungen. Es gebe da schon vorbildliche Angebote, die seien aber besser bekannt zu machen und zu vernetzen. In diesem Zusammenhang wünscht Käßmann sich bei Christinnen und Christen „mehr Liebe als Verachtung“.

Einen ehrlichen Dialog mit den Muslimen finden
Im Blick auf den „Clash of Cultures“ lobte die Bischöfin besonders die Aktivitäten der Arbeitsstelle für Islamfragen der Landeskirche. Sie unterstütze das Anliegen, dass Christen und Muslimen organisierte Formen der Begegnung in Niedersachsen entwickeln. Zugleich mahnte sie aber auch an, „einen ehrlichen Dialog zu finden, der auch kritische Punkte anspricht“. In diesem Zusammenhang sagte Bischöfin Käßmann: „Mir ist es nicht möglich, so einfach zu erklären, Christen und Muslimen glaubten an denselben Gott“. Es sei auch nicht sachgemäß, in diesem Dialog „von Gott abstrakt ohne Jesus Christus als Weg und Wahrheit zu sprechen“.

Vordringliche Aufgaben der Zukunft: Glauben weitergeben, Menschen beistehen und Kirchen auf neue Weise erhalten
In dem letzten Abschnitt ihres Berichtes ging Käßmann dann auf die Zukunft der hannoverschen Landeskirche ein. „Vor allen Spardebatten sollten wir danach fragen, wie denn unsere Kirche in zehn oder fünfzehn Jahren sein soll“. Sie sehe als Bischöfin nicht ihre Aufgabe darin, konkrete Sparvorschläge zu machen, denn das würde sie als ein autoritäres Vorgehen „von oben herab“ bezeichnen, das kaum tragfähig sei. Aber sie sehe Schwerpunkte, über die letztlich aber die Synode zu beschließen habe. Drei vordingliche Aufgaben führte Käßmann auf: „Den Glauben weitergeben“, „den Menschen beistehen an Leib und Seele“ sowie „Orte der christlichen Feier erhalten“. Sie berichtete von einem Besuch, in dem der Bürgermeister eines kleinen Dorfes sie bat, „die engagierte Pastorin als Dreh- und Angelpunkt der Gemeindearbeit zu erhalten“. Diesem Anliegen wolle sie sich anschließen. Ihrer Ansicht nach bräuchte die Kirche die Pastorinnen und Pastoren in der Zukunft besonders. Sie sollen „an erster Stelle das Wort Gottes verantwortlich weitergeben auf eine Weise, die andere befähigt und ermutigt“. Sie sollen auf der anderen Seite aber auch helfen, manche gemeindliche Kleinstaaterei zu überwinden.
Daneben sei die Seelsorge von „entscheidender Bedeutung“. Mit Blick auf die Hektik des modernen Alltags gelte es, sich dem Menschen zuzuwenden und zwar gerade denen, wo niemand anderes weit und breit zur Stelle ist. Die Zukunft bringe es mit sich, dass auch die Diakonie wegen nachlassender Finanzkraft nicht alle ihre Dienste aufrecht erhalten könne. Weil der Staat die Lücken dann nicht schließen werden kann, forderte Käßmann eine neue Kreativität, „Mitmenschlichkeit zu organisieren, civil citizenship wieder salonfähig zu machen.“ Sie befürworte eine Entwicklung von Freiwilligendiensten, eine bessere Anerkennung ehrenamtlicher Tätigkeit und einen veränderten Arbeitsbegriff. Arbeit und nicht Arbeitslosigkeit sei zu finanzieren, „dabei können wir uns als Kirche intensiv einbringen“.

Bei der Frage des Erhalts der kirchlichen Gebäudelandschaft sprach sich Käßmann für eine Priorität von Kirchengebäuden aus. Schlecht ausgelastete Gemeindehäuser und nicht mehr benötigte Pfarrhäuser sollten verkauft werden. Kirchen könnten so umgebaut werden, dass sie auch für den Konfirmandenunterricht und den Frauenkreis nutzbar seien. Käßmann sprach sich aber auch für eine neue Initiative aus, in der „Inseln überzeugender Kirchlichkeit“ geschaffen und besonders gefördert werden sollen. Hier könne vielleicht so eine Art Pflegestufenmodell entwickelt werden, also eine Pflegestufe I, II oder drei. Kleinere Kirchbauten könnten ehrenamtlich erhalten werden, daneben „Kathedralen der Region“ bewahrt werden. Schließlich sei aber die Ausgangslage der Kirche in der Zeit im Blick auf einen Vergleich mit der Geschichte „vielversprechend“. Beim ersten Pfingsten hatten die Jünger ja nicht mal einen Haushaltsplan, so Landesbischöfin Käßmann.