Startseite Archiv Bericht vom 29. November 2017

Impulsvortrag Dr. Gorski

Die Darstellung der Archivmeldungen wird kontinuierlich verbessert. Sollten Sie Fehler bemerken, kontaktieren Sie uns gerne über support@systeme-e.de

Mystik, Organisation und Menschlichkeit

Dr. Horst Gorski spricht in seinem Impulsvortrag über notwendige Veränderungen

„Wir sind herausgefordert zu sagen, wer wir sind, was uns im Leben und Sterben trägt und was unser Beitrag in der Gesellschaft ist“, sagte Dr. Horst Gorski, Präsident des Kirchenamtes der VELKD und Vizepräsident im Kirchenamt der EKD, in seinem Impulsvortrag zum Tagungsschwerpunkt „Ihr seid das Salz der Erde“. Die Botschaft, das Evangelium von Jesus Christus, bleibe gleich, die Welt allerdings verändere sich. Die Welt sei in so vielfältigen Veränderungen begriffen, dass die Kirche davon nicht unberührt bleiben könne.

Gorski ging in seinem Vortrag zwei Sätzen nach, deren Spannung zueinander er fruchtbar machen wolle. „Das Christentum des 3. Jahrtausends wird mystisch sein oder absterben“, lautet der erste Satz von Dorothee Sölle aus „Mystik und Widerstand“ (1997). Gorski schlussfolgert daraus: Wo Kirche oder Religion äußerlich werden, da werden sie ersetzbar.

„Zukunft gewinnt man nur durch Abstraktion.“ Diesen Satz schrieb der Systemtheoretiker Niklas Luhmann 1972 in seinem Aufsatz über „Die Organisierbarkeit von Religionen und Kirchen“. Laut Gorski bedeutet Mystik die Vertiefung in den eigenen Seelengrund, den Grund des Lebens. Man könne gar nicht dichter an das Leben und an sich selber herankommen, als es in der Mystik geschehe. Abstrahieren heiße, ganz weit zurückzutreten und zu schauen, welche Kriterien der Betrachtung sich aus der Ferne ergeben würden.

In der Mystik gehe es um die Erfahrung des Einsseins mit dem Ganzen, die Berührung mit Gott und seinem Geist. Gorski legte Wert darauf zu betonen, dass er dies nicht als Rückzug in die Innerlichkeit verstanden wissen wolle, dass es nicht von der Weltverantwortung zu trennen sei. Denn: „Einssein mit dem Ursprung in Gott heißt auch Einssein mit den Menschen und ihrem Wohl und Wehe.“

Bewusst provozierend stellte Gorski die These auf, dass der pastorale Alltag davon bestimmt sei, „ein Vereinswesen am Laufen zu halten und sich beliebt zu machen.“  Wenn diese „überspitzte Diagnose halbwegs richtig“ sei, so Gorski, müsse die Schlussfolgerung lauten: „Wir brauchen eine andere Theologie. Wir brauchen eine andere Ausbildung. Wir brauchen ein anderes Gemeindeleben.“

Er forderte eine Theologie, die die Erfahrung reflektiert und aussprechbar macht, gleichzeitig auch das Sozialwesen reflektiert. Darauf aufbauend sprach er sich für eine wichtige Rolle der Sozialwissenschaften in der theologischen Ausbildung aus. Kirche heute sei aktuell viel damit beschäftigt, die Differenzierung der modernen Gesellschaft organisational zu bewältigen. Sie sei nicht mehr ein gesamtgesellschaftliches System zur Bewältigung des Transzendenzbedarfs, wie es bis zur Aufklärung der Fall gewesen sei. „Eine Ekklesiologie für die Kirche der Zukunft hätte die Aufgabe, alle Ebenen von Kirche theologisch zu reflektieren“, so Gorski.

Und: In den vergangenen zehn Jahren habe die Landeskirche Hannovers die Herausforderungen mit einem Mut, einer Energie und mit einer Konsequenz aufgegriffen, wie es sie in den Landeskirchen der EKD und den Gliedkirchen der VELKD nicht überall gebe. In der Diskussion um die Artikel 3 und 17 des neuen Verfassungsentwurfes, die die Formen kirchlichen Lebens umreißt, komme dies zum Ausdruck.

Zukunftsfragen stellten sich hinsichtlich der Digitalisierung: Mittlerweile gebe es „Netzgemeinden“ und die Unterscheidung zwischen real und virtuell sei obsolet geworden. „Die Kirche der Zukunft wird eine Theologie brauchen, die in der Lage ist, dieses Leben in der digitalisierten Welt zu reflektieren“, so Gorski.

Schließlich gehöre als Drittes auch der Öffentlichkeitsauftrag der Kirche dazu: Ihre Weltverantwortung, das soziale Gemeinwesen sowohl regional vor Ort, wie auch in der Bundesrepublik und darüber hinaus mitzugestalten.

Die vielleicht größte Gefahr in den Veränderungen der kommenden Jahre sah der EKD-Vizepräsident darin, aus Angst und Unsicherheit die Menschlichkeit zu verlieren. „Das Salz, das wir zu geben haben, ist das Zeugnis davon, dass es möglich ist, auch in Angst und Unüberschaubarkeit menschlich zu bleiben.“

Dr. Gorski | Bild: Jens Schulze

Kirchliche Zukunftsthemen