Impulsvortrag von Prof. Papier
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Leben, Bekenntnis und Überzeugung
Hans-Jürgen Papier rät Religionsgemeinschaften zu verstärktem gesellschaftlichen Engagement
Der Staatsrechtler Professor Hans-Jürgen Papier sprach sich in seinem Vortrag am Mittwochvormittag für eine verstärkte Einbindung der Kirchen und Religionsgemeinschaften in das Gemeinwesen aus. In einer zunehmend multireligiös geprägten beziehungsweise zu einem großen Teil a-religiösen Gesellschaft sollten sie den ihnen vom Staat eingeräumten Gestaltungsrahmen beherzt nutzen und mit Leben, Bekenntnis und Überzeugung füllen. „Denn sonst verliert er früher oder später an Plausibilität und erfährt zunehmend Bestreitung und Widerspruch“, mahnte Papier in seinem Vortrag über die öffentliche Bedeutung von Religion in der säkularen Gesellschaft.
Die gesellschaftlichen Strukturen in Deutschland hätten sich durch die Etablierung neuer Religionen, den Zuwachs muslimischer Bevölkerungsanteile und den Rückgang des Anteils der Christen weit unter die 60-Prozent-Marke grundlegend verändert, stellte Papier fest. Gegenüber dem Begriff des „Staatskirchenrechts“ sei im Blick auf Artikel 140 des Grundgesetzes heute eher von einem Religionsverfassungsrecht zu sprechen.
Der deutsche Säkularstaat habe allerdings ein berechtigtes Interesse an der religiösen Vitalität seines Volkes, betonte der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Denn andernfalls bestehe die Gefahr, „dass Letztbegründungsansprüche an ihn herangetragen werden und dabei auch die Gefahr totalitärer Strömungen gestärkt wird“.
Säkularität sei für die öffentliche Ordnung des Staates zu verlangen, nicht aber auch für den öffentlichen Raum der Gesellschaft, betonte Papier. Eine strikte Verbannung alles Religiösen aus dem öffentlichen Raum wäre dem kulturellen und gesellschaftlichen Frieden nicht dienlich, besäße für Papier „wohl eher den Charakter einer Konfliktvermeidungsstrategie“.
In seinen Ausführungen ging der Vortragende unter anderem auf den Status der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts ein. Unabdingbar dafür sei die Übereinstimmung mit fundamentalen Verfassungsprinzipien, wie etwa der Achtung der Menschenwürde. Dazu bedürfe es einer hinreichenden Organisation der Glaubensgemeinschaft, die durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten müsse. Für den Islam, der weder eine zentrale Organisation noch klare Regelungen der Mitgliedschaft kenne, stelle sich hier ein Problem. Schwierigkeiten beim Nachweis einer entsprechenden Organisationsstruktur sah Papier auch in der Frage, ob islamischen Vereinigungen ein Anspruch auf die Erteilung von Religionsunterricht zustehe.
Mit dem Kopftuchverbot für Lehrerinnen nannte der Staatsrechtler ein weiteres umstrittenes Thema. Nach aktueller Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dürfe das Kopftuchverbot erst dann ausgesprochen werden, wenn es um die „Abwehr einer hinreichend konkreten Gefährdung oder Störung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität“ gehe. Dabei sei nicht hinreichend berücksichtigt worden, „dass sich die Lehrkraft hier auf die Religionsfreiheit bei der Ausübung eines öffentlichen Amtes beruft“, merkte Papier kritisch an.
Schließlich konkretisierte der Referent seine Überlegungen am Beispiel des Sonn- und Feiertagsschutzes. Der im Grundgesetz zitierte Artikel 139 der Weimarer Reichsverfassung habe neben seiner religiös-christlichen Bedeutung auch eine weltlich-soziale – insofern er etwa für Erholungsmöglichkeiten sorgt und das Zusammenleben der Menschen fördert. Trotz seiner christlichen Wurzeln diene der Sonn- und Feiertagsschutz demnach nicht nur der Religionsfreiheit, sondern auch anderen Freiheitsrechten. Dazu gehöre der Schutz des Menschen vor der totalen Ökonomisierung ebenso wie der Schutz der Familie. Eine verfassungsrechtliche Grundlage für die Einführung weiterer Feiertage, insbesondere muslimischer Feiertage, biete der Gesetzesartikel indes nicht, betonte Papier.
Professor Hans-Jürgen Papier, der von 2010 bis 2015 auch Vorsitzender der EKD-Kammer für Öffentliche Verantwortung war, sprach vor der Landessynode im Rahmen des Tagungsschwerpunktes „Ihr seid das Salz der Erde – Christsein morgen!“