Aussprache zum Aktenstück "Zukunft Kirche"
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Im Bundestag hätte man es als Sternstunde der Demokratie bezeichnet - und auch in der Tagung der Landessynode am Mittwochabend war allen Beteiligten klar, dass hier Besonderes geschieht: Die Aussprache zum Aktenstück "Zukunft Kirche" berührte das Grundverständnis von Kirche. Sie geriet persönlich, konzentriert und intensiv. Am Ende, als die Uhr 21.45 Uhr zeigte, stand eine geheime Abstimmung über elf Anträge - und schließlich der offizielle Startschuss für den Zukunftsprozess.
Zu Beginn dankten alle 16 Synodalen in ihren Beiträgen dem Scoping-Ausschuss für die umfassende, von vielen als gelungen empfundene Überarbeitung des Aktenstückes. Die Neufassung sei klar, geschärft und konkret und habe damit auch viele Zweifel und Bedenken ausräumen können. Offene Fragen, Unsicherheiten und ein Unwohlsein mit dem Zukunftsprozess blieben dennoch und führten im Ergebnis zur geheimen Abstimmung von insgesamt elf Anträgen.
Mit einem sehr persönlichen Statement und Bedauern machte der Synodale Andreas Hannemann (Kirchenkreis Bremervörde-Zeven / Sprengel Stade) deutlich, warum er dem Zukunftsprozess nicht zustimmen kann: "Es ist nicht die richtige Zeit." Die Gemeinden seien belastet mit Planungsrunden, Stellenabbau und Finanzkürzungen. Die Aufgaben der Umsatzsteuerreform stünden an und seit knapp zwei Jahren die zusätzlichen Aufgaben durch Corona. Der Zukunftsprozess werde weitere Ressourcen erfordern. "Deshalb ist mein Vorschlag: Belasten wir die Gemeinden nicht mit einem Prozess, für den sie im Moment weder Zeit noch Kraft haben. Im Gegenteil. Stärken wir sie durch mehr Freiräume. Die Gemeinden sind Spezialisten für Transformation. Das sieht man in der Kirchengeschichte und nicht zuletzt durch die Initiativen und Impulse, die in der Pandemie entstanden sind." Der Synodale warb dafür, den Prozess in frühestens zwei Jahren zu starten. Und auch auf den Geist Gottes zu vertrauen. "Denn der hat unserer Kirche die Gabe der Transformation durch die Jahrhunderte geschenkt."
Zweifel an dem Prozessdesign blieben auch bei der Synodalen Birgit Spörl (Kirchenkreis Osterholz-Scharmbeck / Sprengel Stade). "Ich sehe in der Kirchenkreissynode nicht die Leute, die sich beteiligen würden", mahnte sie. Strukturreformen, Gebäude, Finanzen - fordernde Aufgaben, vor denen Gemeinden stehen. "Wir sind nicht ängstlich, sondern traurig – wegen kommender Einbrüche." Insofern habe der Scoping-Ausschuss mit der Analyse von Auftrag – Umfeldbedingungen – Ressourcen auch Trauerarbeit geleistet, so die Synodale.
Die Synodale Corinna Engelmann (Kirchenkreis Holzminden-Bodenwerder / Sprengel Hildesheim-Göttingen) hingegen warb dafür, den Zukunftsprozess jetzt "auf den Weg zu bringen" und Gemeinden und Kirchenkreise zu reger Beteiligung zu motivieren. "Wir haben jetzt die Chance, aus dem Reagieren ins Agieren zu kommen. Wagen wir den Sprung ins kalte Wasser."
Auch die Synodale Maike Selmayr (Kirchenkreis Cuxhaven-Hadeln / Sprengel Stade) setzt auf Überzeugung und Prozessbeginn: "Es ist an uns, für das Mitmachen zu werben." Die Ausschüsse seien gut eingebunden, ihre Anliegen und Anfragen an den Prozess gehört worden. Es gebe Veränderungsbedarf und die Frage sei, wieviel Veränderung man sich zutraue: "Wenn wir den Zukunftsprozess nicht angehen, dann wird die Zukunft uns den Prozess machen. Wir sollten jetzt ja sagen, ja mit Gottes Hilfe."
Cordula Schmidt-Waßmuth (Kirchenkreis Nienburg / Sprengel Hannover) lobt den im Aktenstück beschriebenen "lernenden Prozess" mit Toleranz des Scheiterns. Dennoch fehlen ihr eine klare Zielbeschreibung und Priorisierungen. Für eine Vernetzungsinitative sei der Zukunftsprozess zudem zu teuer.
Dr. Fritz Hasselhorn (Kirchenkreis Grafschaft Diepholz / Sprengel Osnabrück), Vorsitzender des Planungsausschusses, ging auf den jüngst abgeschlossenen Verfassungsprozess ein, auf den man sich auch eingelassen habe. Das Ergebnis sei am Anfang eines Prozesses naturgemäß nicht klar, es werde Verlustängste geben. Aber: "Es macht Sinn, bei einem solchen Prozess die Amtszeit einer Landessynode im Blick zu haben. Deshalb müssen wir jetzt starten, wenn wir noch Teile davon verabschieden wollen." Jetzt gelte es zu springen, erinnerte Hasselhorn an das Kinderlied "Häschen hüpf". "Hoffen heißt, anfangen zu hüpfen. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt: Hüpfen wir!."
"Mehr Prosa, weniger Lyrik", mit diesen Worten lobte der LSA-Vorsitzende Jörn Surborg (Kirchenkreis Hildesheim-Sarstedt / Sprengel Hildesheim-Göttingen) den neuen Entwurf. Das Aktenstück mache deutlich, dass kein Ablauf von oben herab geplant sei. Laufende Prozesse der Kirchenkreise werden eingebunden und dem landeskirchlichen Prozess vorangestellt. Surborg stellte auch Fragen, etwa nach Einsparprozessen auf der landeskirchlichen Ebene. Entscheidend sei zudem, sich nicht erneut nur auf die besonders aktiven Gemeinden zu fokussieren, sondern gezielt die zögernden, zweifelnden, eher "schwachen" Gemeinden aufzusuchen und deren Bedarfe und Wünsche zu erfragen. Ansonsten verstärke der Zukunftsprozess die Zentrifugalkräfte und schwäche die innerkirchliche Solidarität.
Ein Punkt, den weitere Synodale wie Johannes Keymling (Kirchenkreis Burgwedel-Langenhagen / Sprengel Hannover) und Jörg Zimmermann (Kirchenkreis Celle / Sprengel Lüneburg) unterstützen. Zimmermann sprach sich gleichwohl dafür aus "einfach mal zu machen, mit allen Zweifeln". Der Scopingausschuss fordere keine Revolution, sondern sei der Einstieg in einen Transformationsprozess. Gut daran sei, die Beteiligung auf allen Ebenen einzufordern: "Es geht um Mitgestaltung. Zukunft ist komplex, unvorhersehbar und wir wissen noch nicht, wo wir landen." Nachjustieren werde nötig sein, aber durch Beteiligung könne eine Lerngemeinschaft aufgebaut werden. Die Redebeiträge zur Aussprache sollten allen beteiligten Ausschüssen und dem zu konstituierenden Koordinierungsrat zur Verfügung gestellt werden, beantragte der Synodale Surborg.
"Wir brauchen den Zukunftsprozess so dringend wie die Luft zum Atmen", resümierte Rainer Müller-Brandes (Stadtkirchenverband Hannover / Sprengel Hannover). Der Stadtsuperintendent von Hannover bezog sich auf seine Erfahrungen in der Diakonie und warb vehement für mehr Mut und Risiko. Für den Start des Zukunftsprozesses votierte auch die Synodale Marie Luise Brümmer (Kirchenkreis Stolzenau-Loccum / Sprengel Hannover), zugleich Vorsitzende des Finanzausschusses. Die Haushaltslage sei bis 2024 noch solide und damit geeignet, Strukturveränderungen jetzt noch gut und unaufgeregt auf den Weg zu bringen.
Nach gut eineinhalb Stunden Aussprache standen elf Anträge zur geheimen Abstimmung. Alle Anträge wurden angenommen.