Das Thema Frieden in unfriedlichen Zeiten stand im Mittelpunkt des Berichts von Landesbischof Ralf Meister vor der Landessynode der Landeskirche Hannovers. Auch zu den Zukunftsüberlegungen der Landeskirche nahm er Stellung.
„Denn du hast eine Zukunft, und deine Hoffnung wird nicht enttäuscht werden.“ (Spr 23,18) Dieses Leitwort aus den biblischen Sprüchen hat die Ansprache von Landesbischof Ralf Meister auf der Synode der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers geprägt. Im Mittelpunkt seines Berichts standen die Friedensbemühungen an der Grenze zu Israel, der „Purpose“ der Kirche, der Umgang mit Herausforderungen wie die Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt, das Wirken trotz knapper werdender Ressourcen sowie die unerschütterliche Hoffnung, die das kirchliche Handeln prägt.
Hoffnung und Verantwortung als Grundpfeiler kirchlicher Zukunft
Landesbischof Ralf Meister eröffnete seine Rede vor der Synode mit einer hoffnungsvollen Nachricht: Seit vier Uhr morgens gibt es nach 418 Tagen Krieg einen knapp zweimonatigen Waffenstillstand zwischen Israel und der Hisbollah. In einem Telefonat mit Meisters Freund Joseph Kassab, einem bekannten syrischen Pastor und Mitbegründer der Organisation Lebanese Society for Peace and Reconciliation, sagte Kassab zu Meister: „Selbst wenn dieser Waffenstillstand gebrochen wird, wird er zu einer fortwährenden Ruhe beitragen.“
Der Landesbischof erinnerte an seine Besuche in Schulen im Libanon im Jahr 2017 und betonte, wie gut wir die Sorgen und Hoffnungen der Menschen dort kennen. „Wir begleiten diesen Moment des Friedens mit unserer Solidarität und Hoffnung in unserem Herzen,“ erklärte er weiter. Meister zeigte sich tief berührt von den Menschen, die inmitten von Konflikten an die Hoffnung glauben.
Dieser Moment des Friedens – auch nach den schwierigen Ereignissen des 6. November, an dem mit Donald Trump „ein Rechtsextremist und verurteilter Straftäter“ gewählt wurde und die Koalition der Bundesregierung gescheitert war – gebe ihm Anlass zu Hoffnung und Zuversicht, so der Landesbischof.
Angesichts der aktuellen Konflikte und Kriege setzt sich die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers aktiv für Frieden, Gerechtigkeit und Solidarität ein. Der anhaltende Konflikt zwischen Israel und der Hamas prägt die Region Nahost nachhaltig. Die Landeskirche begleitet die Situation mit Fürbitten und Solidaritätsbekundungen. Landesbischof Meister plant außerdem einen Solidaritätsbesuch am 4. Advent bei der Evangelisch-lutherischen Kirche im Heiligen Land und in Jordanien.
Der Zukunftsprozess: Mut zur Veränderung trotz vieler Zumutungen
Er schlug einen Bogen zum Zukunftsprozess der Kirche, indem er einen Vergleich zu Strategieplanungen in der Unternehmenswelt zog. Dort sei seit ein paar Jahren von einem höheren Zweck die Rede. Man solle nicht mehr bloß ein Produkt kaufen, sondern auch ein übergeordnetes Ziel, dass Sinn vermittle. Dabei erweise sich der „Purpose“ letztlich nur als Teil einer Marketingstrategie. Anders verhalte es sich für die Kirche. Dort ist der Sinn ihres Daseins in Gott verankert, so Meister. „Über unseren Zweck, den Purpose, machen wir uns keine Gedanken“, erklärte er. „Wir erfinden nicht den Glauben, sondern starten aus einer hoffnungsvollen Perspektive.“
Diese Perspektive mache die Kirche einzigartig, hob Meister hervor. Während andere sich fragen, worin ihr Beitrag zur Weltrettung besteht, gründet die Kirche auf einer Existenzberechtigung, die in der Verantwortung für die Schöpfung und die Gemeinschaft liegt.
Landesbischof Meister würdigte vor diesem Hintergrund die bisherigen Fortschritte im Zukunftsprozess der Landeskirche, sprach aber auch von der zentralen Herausforderung des Umgangs mit knapper werdenden Ressourcen. Dies sei mit Zumutungen wie unumgängliche Einsparungen in den kommenden Jahren verbunden. „Es wird tiefe strukturelle Eingriffe geben.“
Er zitierte Prof. Dr. Gerhard Wegner, Pastor im Ruhestand und Landesbeauftragter gegen Antisemitismus, der in seinen Studien zu den Glaubensvorstellungen der Menschen aufzeigt, dass „der Ertrag empirischer Forschung des Glaubens insgesamt enttäuschend“ sei. Meister wies ergänzend dazu darauf hin, dass viele der Ergebnisse der aktuellen KMU VI-Studie aufzeigen, „was Menschen glauben oder nicht glauben, was sie von der Kirche erwarten oder nicht erwarten“, dass sich aber „vieles empirisch gar nicht nachweisen“ lasse. Diese Erkenntnisse seien für die Kirche desaströs, doch er plädierte für eine „breite Öffnung“, um trotz dieser Herausforderungen neue Wege zu gehen. „Wir müssen sinnvolle und verantwortungsvolle Schritte gehen“, sagte Meister und betonte, dass der Weg der Kirche eine Mischung aus Visionen und konkreten Zielen brauche.
Dabei befinde sich die Landeskirche momentan noch in einer frühen Phase der Visionenbildung– „wir sind noch oben im Trichter“, so Meister. Die konkreten Kennzahlen und Maßnahmen würden erst in den kommenden zwei Dritteln des Zukunftsprozesses formuliert werden, wobei ein klarer Fokus auf einer breiten Öffnung der Kirche und der kontinuierlichen Weiterentwicklung liegen werde.
Die Stärke der Kirche liege darin, dass sie eine Gemeinschaft sei, die auf Hoffnung baue. Dieses Vertrauen ermögliche mutige Schritte: „Kirche ist niemals eine Kirche nur für die Mitglieder gewesen, sondern immer ein Ruf in die Welt.“
Eine große Chance bestehe in der Ökumene, also in der Zusammenarbeit und im Dialog mit anderen christlichen Konfessionen, insbesondere der katholischen Kirche. Ohne diese habe die evangelische Kirche als eine der wichtigsten zivilgesellschaftlichen Institutionen kaum eine Zukunft.
Vergebung und Gerechtigkeit: Ein schwieriger Balanceakt
Ein weiterer Schwerpunkt im Bericht des Landesbischofs war der Umgang mit sexualisierter Gewalt in der Kirche. Meister reflektierte die bisherigen Erkenntnisse und benannte den Handlungsbedarf. Er zitierte dabei einen Bericht der Church of England, in dem es heißt, dass Vergebung nicht als Forderung an die Betroffenen gerichtet werden dürfe: „Zuerst muss denjenigen zugehört werden, die unter den Versäumnissen der Kirchen gelitten haben.“
Einen zentralen Aspekt in der Aufarbeitung sieht Meister in der Auseinandersetzung mit dem Begriff der Vergebung. Oft sei der Gebrauch dieses Begriffs in der Vergangenheit unreflektiert verwendet worden, wodurch betroffene Personen erneut verletzt wurden: „Dieser Gebrauch ist nicht nur fahrlässig, er beschämt die betroffenen Personen ein weiteres Mal.“
Der Landesbischof betonte, dass Vergebung im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt nie der Ausgangspunkt sein dürfe: „Es gilt, das Recht herzustellen und Heilung zu ermöglichen. Die Rede und das Bestreben der Kirche muss darauf gerichtet sein, betroffene Personen darin zu unterstützen. Ob es je zu einer Heilung kommen kann, ist offen.“
Ein weiteres Beispiel aus England, das Meister beschrieb, ist der sogenannte Safeguarding-Sunday. Diese Initiative der Church of England hat sich zum Ziel gesetzt, sexualisierte Gewalt in der Kirche öffentlich zu thematisieren und Gesprächsräume zu schaffen. Das jährliche Datum hat sich der Landesbischof seit 2017 in seinen Kalender eingetragen. Er regte an, gemeinsam mit betroffenen Personen darüber nachzudenken, ob diese Initiative, die zeige, dass schutzbedürftige Menschen im Mittelpunkt der christlichen Botschaft stehen, auch ein Vorbild für Deutschland sein könne.
Landesbischof Meister rief die Kirche dazu auf, ihre Rolle und Verantwortung in der Vergangenheit kritisch zu hinterfragen. Buße bedeute mehr als eine Entschuldigung; sie erfordere eine grundlegende Änderung von Strukturen und Verhaltensweisen: „Die Kirche muss ihr Unrecht anerkennen und ihr Verhalten ändern. Eine Entschuldigung ist hilfreich, ersetzt aber nicht die Buße, also Umkehr.“
Die Aufgabe sei komplex und schmerzhaft, aber notwendig. „Keine Handlung, keine Buße kann das erlittene Leid eines Missbrauchs je wiedergutmachen. Umso gravierender wird das klare Bekenntnis zu Veränderungen gegenüber der Vergangenheit.“
Es sei ein Balanceakt, Vergebung und Gerechtigkeit in Einklang zu bringen. Die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt sei ein langwieriger und schmerzhafter Prozess, der jedoch notwendig sei, um Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen.
Gemeinsam gegen Antisemitismus im Alltag
Auch Antisemitismus bleibt eine drängende Herausforderung. Mit dem Projekt „In Solidarität mit der jüdischen Gemeinschaft – Gemeinsam gegen Antisemitismus“, das im Januar 2025 startet, ermutigt die Landeskirche Gemeinden, sich aktiv gegen Antisemitismus einzusetzen und die christlich-jüdischen Beziehungen zu stärken. Dieses Projekt umfasst unter anderem Gottesdienste, Synagogenbesuche, Konzerte und Bildungsveranstaltungen. Erste Kirchengemeinden hätten sich erfreulicherweise bereits für die Umsetzung des Projektes angemeldet.
Darüber hinaus unterstützt die Landeskirche die niedersachsenweite Kampagne „Antisemitismus beginnt im Alltag. Widersprechen statt weghören“, bei der zivilgesellschaftliche Organisationen gemeinsam ein Zeichen gegen Antisemitismus setzen.
„Die Auswirkungen des Kriegs im Mittleren Osten haben spürbare Auswirkungen – etwa in Gestalt eines verstärkten Antisemitismus gegenüber unseren jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern“, sagte Meister. Umso wichtiger sei es, hier gemeinsam dagegen anzugehen.
Friedensorte als Wegweiser
Die Friedensarbeit der Landeskirche wird durch die Friedensorte konkretisiert – ein Netzwerk kirchlicher Einrichtungen, die sich dem Thema Frieden widmen. Ein herausragendes Beispiel sei der Friedensort Tidofeld in Norden, der die Aufnahme von Bootsflüchtlingen aus Vietnam dokumentiert. Dieser Ort soll erweitert werden, um ein Migrationsmuseum zu beherbergen, das ein Zeichen für Integration und demokratische Werte setzt.
Landesbischof Meister betonte: „Die Umsetzung des Projekts zu einem Migrationsmuseum hätte eine Strahlkraft über die Region hinaus und würde in der aktuellen Diskussion um Migration, Asyl und Integration einen wichtigen Beitrag zur Stärkung unserer Demokratie leisten.“
In diesem Kontext sprach Meister auch über das Thema Kirchenasyl. Er plädierte ausdrücklich für das Kirchenasyl als Form des zivilen Ungehorsams und betonte stolz, dass dieses in keinem anderen Land der Welt so praktiziert werde wie in Deutschland: Meister stellte klar, dass Kirchenasyl zwar ziviler Ungehorsam sei, jedoch eine humanitäre Handlung darstelle und somit ethisch gerechtfertigt sei. Er erklärte, dass der Staat die Gerechtigkeitslücke, die durch die Ablehnung von Kirchenasyl entsteht, zwar selbst anerkenne, aber nicht von seiner ablehnenden Haltung abrücke. „Dass der Staat das bekämpft, ist beschämend“, sagte Meister und unterstrich, dass der zivile Ungehorsam im Kirchenasyl ein Dienst am Recht und an der Menschlichkeit sei.
Halleluja – Ein gemeinsamer Geist
Am Ende seines Bischofsberichts würdigte Ralf Meister erneut die vielen Engagierten in der Landeskirche mit einem kräftigen „Halleluja“: So dankte er zum einen den Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorstehern, die im Juni 2024 in ihre neuen Ämter gewählt wurden. Zum anderen lobte er die digitale Fortbildung „Neu im Kirchenvorstand? Welcome on Board!“, die mit 35 Workshops und über 350 Teilnehmenden aus ganz Niedersachsen durchgeführt wurde.
Ebenfalls ein „Halleluja“ galt den über 150 Lektorinnen und Prädikanten, die an der Veranstaltung „70 Jahre Fortbildung für Ehrenamtliche in der Verkündigung“ teilnahmen. Meister lobte die Vielfalt und Qualität der 25 angebotenen Workshops, die von praktischen Predigttechniken bis hin zu Themen wie der Wertschätzung des Judentums im Gottesdienst reichten. „Die Kompetenz, das Engagement und die gute Stimmung auf allen Seiten waren beeindruckend“, sagte Meister, der an vielen Gesprächen teilnahm und sich von der breiten Erfahrung der Teilnehmenden beeindruckt zeigte.
Meister beendete seine Rede mit den Worten, dass all diese Gruppen – Kirchenvorsteherinnen, Lektoren, Prädikanten und Synodale – durch eine gemeinsame Geschichte und einen gemeinsamen Geist verbunden sind. „Ohne Sie würde es unsere Kirche nicht geben.“