Pastorin Birgit Mattausch komplettiert das Team im Literaturhaus St. Jakobi
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Hildesheim. Auf Schritt und Tritt geht eine Schildkröte mit. Sie erinnert Birgit Mattausch, "ein bisschen langsamer" durch das Leben zu gehen. Die Pastorin hat das gepanzerte Tier immer bei sich: als Tattoo am linken Fußknöchel. Diese Langsamkeit wünscht sie sich nicht nur für's Leben, "sondern auch fürs Schreiben und fürs Frommsein".
Die 46-Jährige ist seit 1. Januar als Referentin für Experimentelle Homiletik (die Lehre vom christlichen Predigen) am Literaturhaus St. Jakobi angestellt. Sie will als "Priest in residence" und "Inspirateuse" herausfinden, wie man jenseits der Kanzel über Glaube sprechen und schreiben kann". Im Literaturhaus fühlt sich die Schwäbin gut aufgehoben, "ein kreativer Ort, der viel mit Schreiben und Sprache zu tun hat".
Mit Lockenkopf, knallrotem Lippenstift, Kleid im Leo-Print, goldfarbenen Leggins und Sneakern hat Birgit Mattausch keine Ähnlichkeit mit dem Klischeebild einer Pastorin. Aber: "Ich bin eine fromme Seele - auch vom Charakter", sagt sie spitzbübisch lächelnd und erzählt von den Konfirmand*innen in ihrer früheren Gemeinde bei Stuttgart, die überzeugt waren, das ihre Pastorin "ganz dicke mit Jesus" sei.
Was stimmt. "Klar habe ich mal Zweifel. Aber ich bin verbunden mit etwas, was größer ist als ich." Das sei immer so gewesen. In Kombination mit ihrer Liebe zu Sprache führte das zu einem Studium von Germanistik und Theologie. Das zweieinhalbjährige Gastvikariat, das sie wegen ihres damaligen bayrischen Freundes in einer evangelischen Gemeinde zwischen München und Bad Tölz machte, gab den Ausschlag, tatsächlich Pastroin zu werden. "Ich habe begriffen, dass ich gut Menschen zuhören kann." Damals habe sie auch mit dem Schreiben angefangen. Gedanken für Predigten und Beerdigungen in eine "gute, anrührende Form zu bringen - das konnte ich".
Ihre erste eigene Pfarr-Gemeinde in Nürtingen nahe Stuttgart ist ihr noch mehr ans Herz gewachsen. "Es war ein Hochhaus-Stadtteil, wie ein Dorf aus Beton, mit sehr vielen Russlanddeutschen. Die mochten mich - und ich mochte sie." Mattausch zog sogar in den 14. Stock eines der Hochhäuser. Nähe war ihr wichtig. Doch diese gefühlte und erlebte Allzuständigkeit - "ich habe mich für alles verantwortlich gefühlt" - mündete nach sechs Jahren in einer Erschöpfungsdepression (Burnout).
Die Diagnose führte Mattausch klar vor Augen, dass "ich keine Gemeindepfarrerin mehr sein werde. Das war ganz schlimm für mich."
In dieser Not kam 2017 das auf fünf Jahre befristete Jobangebot der hannoverschen Landeskirche, im Hildesheimer Michaeliskloster für die Fort- und Weiterbildung von Prediger*innen zu arbeiten. "Die wussten, was ich kann." Mattausch hat diese Jahre aber auch genutzt, um den Masterstudiengang Literarisches Schreiben an der Uni zu belegen. Aus einem Uni-Projekt ist sogar ein Roman entstanden, der gerade verschiedenen Verlagen vorliegt. "Es geht um Menschen in einem Hochhaus. Um Identität und Geschichte von Russlanddeutschen. Eine fiktive Geschichte, aber manche werden sich wieder erkennen", erzählt sie augenzwinkernd.
In Hildesheim fühle sie sich sehr wohl. Die Menschen seien hier "mehr geradeheraus. Das war für mich gewöhnungsbedürftig", erklärt die Frau, die um starke Worte kämpft und andere Menschen dazu ermutigen möchte. Zum Beispiel auf den sozialen Medien. Dort bietet Mattausch "GottesGeliebterGurkentruppe" zum Beispiel Impulse zum Predigt schreiben.
In dieser Saison will die 46-Jährige im Literaturhaus vor allem zuschauen und lernen, in der nächsten "werde ich mit Angeboten Teil des Programms sein". Privat wird Mattausch demnächst in eine größere Wohnung ziehen, weil ihr Kleiderschrank aus allen Nähten platzte. "Verrückte Klamotten - gerne second Hand - sind mein Hobby." Sport hasse sie - "würde ich nie machen". Umso lieber schaue sie Serien auf Netflix. Ihr Highlight sind die Geschichten über die queere Szene im Aids-gebeutelten New York der 80er, wie sie in "Pose" erzählt werden. Eine Erfahrung, die sich durch ihr Leben zieht: "Es berührt mich, wenn Menschen zu sich selber kommen."
Birgit Mattausch ist auf Facebook unter ihrem Namen, auf Instagram und Twitter unter @Frauauge zu finden. Unter diesem Namen schreibt sie auch einen Blog.
Den Ostermorgen in Jakobi gemeinsam erleben
Am Ostersonntag um 5.30 Uhr mit anderen Menschen in der dunklen Kirche sein und gemeinsam auf das Licht warten: "Völlig verrückt, aber richtig schön", findet Birgit Mattausch die frühmorgendliche Tradition, die sie am 17. April gemeinsam mit Superintendant Mirko Peisert im Literaturhaus St. Jakobi anbietet. "Wir freuen uns an diesem Tag, dass jemand aufersteht, der auf entsetzlichste Art ermordet worden ist", beschreibt sie das in ihren Augen wichtigste Fest im Christentum. "Dafür lohnt es sich, früh aufzustehen." Der Übergang von der Nacht in den Tag hat für Mattausch eine tiefe Bedeutung: Das Dunkel, die Verletzung und Zerstörung, wandele sich in Licht und damit neues Leben. "Gott macht gut, was nicht mehr gut zu machen ist. Und das können wir in diesem Jahr gut gebrauchen." Der Ostermorgen in St. Jakobi am Hohen Weg beginnt um 5.30 Uhr und endet open air mit Kaffee und Hefezopf to go.