Startseite Archiv Nachricht vom 28. Mai 2017

Reformationsbotschafterin äußert sich zu verfälschenden Darstellungen ihrer AfD-Kritik

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Berlin/Hannover. Die Botschafterin des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland für das Reformationsjubiläum 2017 Margot Käßmann erwägt nach der falschen Darstellung ihrer Aussagen über die AfD in sozialen Netzwerken rechtliche Schritte. Es gebe Inhalte, die einfach gelöscht werden sollten, sagte die ehemalige hannoversche Landesbischöfin dem Evangelischen Pressedienst (epd) und berief sich auf einen kürzlich gehörten Experten. "Manche Inhalte sollte man demnach aber auch rechtlich verfolgen", sagte die Reformationsbotschafterin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und ergänzte: "Das überlege ich mir in diesem Fall."

Käßmann hatte am Donnerstag in einer Bibelarbeit beim Kirchentag in Berlin die Forderung der AfD nach einer höheren Geburtenrate kritisiert. Sie sagte, diese entspreche dem "kleinen Arierparagrafen der Nationalsozialisten": "Zwei deutsche Eltern, vier deutsche Großeltern" - und setzte mit Blick auf die AfD nach: "Da weiß man, woher der braune Wind wirklich weht." Im Kurznachrichtendienst Twitter wurden vielfach nur die beiden letzten Sätze ohne den Zusammenhang zum Arierparagrafen zitiert und dadurch der Eindruck erweckt, Käßmann habe quasi alle Bürger mit deutschen Ahnen zu Neonazis erklärt. Unter anderem stieg die kürzlich aus der CDU ausgetretene Politikerin Erika Steinbach in die Empörungswelle ein und postete ein Bild, auf dem von "linksfaschistischen Ergüssen" die Rede war.

Käßmann selbst nannte diese durch Falschdarstellung erweckte Unterstellung "lächerlich und absurd": "Dann gehörte ich ja selbst auch dazu." Sie habe zwar schon erlebt, dass Äußerungen von ihr entstellt oder aus dem Zusammenhang gerissen wiedergegeben worden seien. "Die Erfahrung, dass etwas bewusst falsch dargestellt wird, mache ich aber zum ersten Mal", sagte Käßmann. Es mache zornig, und "du fühlst dich auch hilflos, weil du es nicht geraderücken kannst".

Die Zitate stammen aus einer Bibelarbeit Käßmanns beim Kirchentag, die sie in den folgenden Tagen auch noch bei "Kirchentagen auf dem Weg" in mitteldeutschen Städten gehalten hatte. Die Empörungswelle bei Twitter folgte aber erst am Samstag - an dem Tag, an dem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei dem Protestantentreffen vor den Folgen von Fake News im Netz warnte und von einer "Zersetzung der Demokratie" sprach.

"In einer Demokratie ist es wichtig, dass jeder sich eine Meinung bildet", sagte Käßmann. Das könne anstrengend sein, "weil du dafür alle Fakten recherchieren musst". Wenn die Bereitschaft zu dieser Information nicht da sei, sei das eine Gefahr für die Gesellschaft. "Da hat Bundespräsident Steinmeier mit seiner Aussage auf dem Kirchentag Recht", sagte die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Käßmann selbst hat keinen Twitter-Account und will sich auch keinen zulegen. Sie wolle nicht nur in 140 Zeichen kommunizieren, sagte sie.

epd-Landesdienst Niedersachsen-Bremen
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Bibelarbeit beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Berlin 2017. Bild: epd-bild/Friedrich Stark

Auszug aus der Bibelarbeit von Dr. Käßmann im Wortlaut

[...] "Bei uns gibt es diese ständige Beurteilung: Wann ist der richtige Zeitpunkt, was ist die richtige Familienkonstellation?

Im Wahlprogramm der AfD für dieses Jahr ist das sehr klar. Da heißt es: „Die Wertschätzung für die traditionelle Familie geht in Deutschland zunehmend verloren.“1 Erste Frage: Stimmt das?

Weiter: „Die zunehmende Übernahme der Erziehungsaufgabe durch staatliche Institutionen wie Krippen und Ganztagsschulen, die Umsetzung des ‚Gender-Mainstreaming‘-Projekts und die generelle Betonung der Individualität untergraben die Familie als wertgebende gesellschaftliche Grundeinheit.“2 Zweite Frage: Was ist denn das für ein Vorwurf, wen soll der treffen?

Und weiter: „Den demografischen Fehlentwicklungen in Deutschland muss entgegengewirkt werden. Die volkswirtschaftlich nicht tragfähige und konfliktträchtige Masseneinwanderung ist dafür kein geeignetes Mittel. Vielmehr muss mittels einer aktivierenden Familienpolitik eine höhere Geburtenrate der einheimischen Bevölkerung als mittel- und langfristig einzig tragfähige Lösung erreicht werden.“3 Keine Frage mehr, jetzt ist es klar. Frauen sollen Kinder bekommen, wenn sie „biodeutsch“ sind. Das ist eine neue rechte Definition von einheimisch gemäß dem so genannten kleinen Arierparagraphen der Nationalsozialisten: zwei deutsche Eltern, vier deutsche Großeltern. Da weiß man, woher der braune Wind wirklich weht. So einfach klein und eng können selbst die Neonazis sich die Welt im Jahr 2017 nicht malen.

Ich bin mehrfache Großmutter, aber schon ich bin mit Kindern von Einwanderern aus Anatolien in die Schule gegangen, die einen deutschen Pass haben. Ich denke an Fehim, der hat Abitur gemacht, er und seine Frau Ayse sind Deutsche, haben drei Kinder, die studiert haben und sind Großeltern demnach biodeutscher Kinder. [...]"

1 Wahlprogramm der AfD 2017, Langfassung S.41
2 Ebd.
3 Ebd.

epd/www.ekd.de