Startseite Archiv Nachricht vom 16. November 2015

Das indische Projekt "Navdanya" bewahrt altes Saatgut und kämpft gegen Mangelernährung auf dem Subkontinent

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Neu-Delhi/Hannover (epd). Mit einem großen Schlüssel öffnet Prakash Badomi das Vorhängeschloss, das den Speicher auf seinem Hof schützt. Dann schiebt der Bauer langsam die kleine Tür aus schwerem Zedernholz auf. Der Blick geht in eine spärlich vom Tageslicht erhellte Schatzkammer, die sein wichtigstes Kapital bewahrt: In dem auf Stelzen gebauten und so vor Nagern geschützten Holzhaus im kleinen Dorf Kandiyal am Fuß des Himalaya lagern Saaten für Reis, Hirse, Weizen und Gemüse. "Früher mussten wir das alles kaufen, heute gewinnen wir es selbst", sagt der 57-Jährige, Oberhaupt einer neunköpfigen Familie. "Und das völlig ohne Kosten."

Die Region gilt als Wiege des roten Reises und liegt in einem Seitental der Yamuna, die sich mit tosenden Wassern von den Höhen des Himalaya durch ein schroffes Tal wälzt und später Neu-Delhi passiert. Hier, rund zehn Autostunden nördlich der indischen Hauptstadt im Bundesstaat Uttarakhand, wirtschaftet der Öko-Bauer Badomi auf einem Hof, der nicht mehr als drei Hektar umfasst. "Und doch können wir gut von dem leben, was wir anbauen", berichtet der Mann.

Seit sieben Jahren arbeitet die Familie mit "Navdanya" zusammen, einer Partnerorganisation des evangelischen Hilfswerkes "Brot für die Welt". Die indische Umwelt-Aktivistin Vandana Shiva (63) hat das Projekt 1991 gegründet. Seither kämpft sie gegen die vom Staat auf dem Subkontinent massiv subventionierte industrielle Landwirtschaft, die von multinationalen Konzernen wie dem US-amerikanischen Saatgut-Riesen Monsanto kontrolliert wird. "Das Geschäft der Multis stützt sich auf den Einsatz teurer Hybridsaaten in Kombination mit chemischen Düngemitteln und Pestiziden", sagt Shiva, die für ihre Arbeit 1993 den alternativen Nobelpreis bekommen hat.

"Navdanya" bewahrt lokale Saatgutsorten und verteilt sie kostenlos an Bauern wie Badomi, die später das eineinhalbfache der Menge an die Saatgutbank zurück- oder an andere Höfe weitergeben müssen. Zwar sind Hybrid-Erträge höher, doch industriell gezüchtete Pflanzen haben auch massive Nachteile: Hybride sind gewissermaßen Einwegpflanzen. Die aufwendig herangezüchteten Eigenschaften verlieren sich bereits in der zweiten Generation. Für Nachzüchtungen ist das Hybridsaatgut nicht geeignet. So war Badomi vor der Zusammenarbeit mit "Navdanya" gezwungen, jedes Jahr aufs Neue teures Saatgut einzukaufen.

"Navdanya" dagegen züchtet auf seiner Versuchsfarm in der Provinz-Hauptstadt Dehradun Saaten, mit denen Bauern problemlos arbeiten können. Mittlerweile lagern hier hinter dicken Lehmwänden kühl und trocken mehr als 2.000 verschiedene Saaten. Darunter finden sich alleine 711 unterschiedliche Reissorten und lange vergessene Feldfrüchte wie die Fingerhirse, die viel Kalzium und Eisen enthält. Oder Amarant, das reichlich Proteine, Kohlenhydrate und ungesättigte Fettsäuren liefert. "Navdanya" schult Bauern auch im Aufbau vielfältiger Küchengärten, zu denen altbewährte Sorten wie diese gehören.

"Wir haben früher nur drei Feldfrüchte angebaut, jetzt sind es mehr als 20", zählt Badomi auf. Bei ihm wachsen neben Reis und Hirse unter anderem Hülsenfrüchte, Ingwer, Chili und Gurken. "Die Vielfalt hilft uns", meint Badomi, der von Navdanya auch gelernt hat, mit eigenem Kompost zu düngen und selbst einen Sud herzustellen, mit dem er seine Pflanzen vor Schädlingen schützen kann. Dafür werden Walnussblätter mit Ingwer, Knoblauch, Zwiebeln, Hanf, Blätter vom tropischen Neembaum, Kuh-Urin und Wasser aufgegossen und 20 Tage angesetzt.

Dazu kommt: Das Industriesaatgut ist oft nicht so widerstandsfähig gegen Trockenheit und Wetterextreme, die in Indien durch den fortschreitenden Klimawandel zunehmen. "Das Menschenrecht auf Nahrung ist erst dann umgesetzt, wenn Menschen nicht nur die richtige Menge, sondern auch die richtige Vielfalt zu sich nehmen", sagt die Präsidentin von "Brot für die Welt", Cornelia Füllkrug-Weitzel. Das Thema Mangelernährung ist deshalb auch Schwerpunkt der 57. Spendenaktion des Hilfswerkes, die unter dem Motto "Satt ist nicht genug" am ersten Advent (29. November) in Hannover eröffnet wird.

"Mangelernährte Frauen, Kinder und Männer werden schneller Opfer von Krankheiten", warnt Füllkrug-Weitzel. Fehlende Vitamine, Eiweiße und Mineralien führten zu Wachstumsstörungen, Hirnschäden oder Blutarmut. Durch den Erhalt vielfältigen Saatgutes könne dem wirksam begegnet werden. Doch die UN-Landwirtschafts- und Ernährungsorganisation (FAO) geht noch von rund zwei Milliarden Menschen aus, die mangelernährt sind. Darunter sind mehr als 800 Millionen Hungernde.

Im Kampf gegen den Hunger setzt "Brot für die Welt" insbesondere auf die Zusammenarbeit mit Kleinbauern wie Badomi, die sich gut selbst versorgen können und keine Kredite für den Ankauf industrieller Saaten, Dünger und Pestizide brauchen. "Kleinbauern bekommen die Kredite meist nur beim Geldverleiher, vom Moneylender im Dorf, der dafür Wucherzinsen von zehn Prozent verlangt", sagt Biraj Patnaik, nationaler Sonderberichterstatter des indischen Verfassungsgerichtes für das Recht auf Nahrung.

Ein Weg, der nicht selten in die Katastrophe führt: Steigende Kosten, sinkende Erlöse und vor allem Missernten haben in den zurückliegenden Jahren 300.000 indische Bauern erst in die Überschuldung und dann in den Suizid getrieben. Auch deshalb müsse der Einfluss der multinationalen Konzerne in der indischen Landwirtschaft zurückgedrängt werden, fordert Patnaik.

Zwar leben 70 Prozent der etwa 1,2 Milliarden Inder auf dem Land. Doch die wenigsten von ihnen, nämlich zwei Prozent, betreiben Öko-Landwirtschaft. Die meisten hantieren noch immer mit krebsauslösenden Pestiziden, vor denen sie sich meist nur ungenügend schützen. Doch langsam wächst das Netzwerk von "Navdanya", zu dem mittlerweile über 50 regionale Saatgutbanken gehören. Mehr als eine Million Farmer sind im Projekt registriert. "Wir brauchen jetzt nur noch Zucker, Salz, Tee und Gewürze zuzukaufen", freut sich Prakash Badomi. Für ihn ist klar: "Uns geht es jetzt viel besser als früher. Gesünder können wir uns nicht ernähren."

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