Startseite Archiv Tagesthema vom 29. Juli 2023

Ohne Spenden keine Rettung

Der 30. Juli ist der Tag der Seenotretter. Doch ein erfolgreicher Einsatz der Helfenden, die Schiffbrüchigen zur Hilfe kommen, wäre ohne Ehrenamtliche und Spenden nicht möglich. Mehr als 1000 Ehrenamtliche engagieren sich dabei Jahr für Jahr und sorgen dafür, dass Menschen, die auf offener See plötzlich in Not geraten, gerettet werden. Einer von ihnen ist Dirk Hönsch.

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Dirk Hönsch lebt dort, wo andere Menschen Urlaub machen – auf der Insel Wangerooge. Und er macht sich für die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) stark. Immer dann, wenn es sein Tun im Jugendgästehaus Westkap zulässt, wirbt der Skipper für die freiwilligen Seenotretter, hält Vorträge, besucht Messen und sensibilisiert Schülerinnen und Schüler während ihres Schullandheimaufenthalts für die so wichtige Arbeit der Ehrenamtlichen. Dirk Hönsch ist schließlich ein lebendiges Beispiel dafür, was die DGzRS für die Gesellschaft leistet.

Im September 2014 ist der damals 50-jährige Hönsch vor Wangerooge mit seiner Jolle untergegangen – und wurde in letzter Sekunde gerettet. Dabei würde sich der Skipper als erfahrener Kapitän bezeichnen. „Ich fahre Schiff, seitdem ich fünf Jahre alt bin, habe mit 16 Jahren meinen Schein gemacht und war seit 1994 auf hoher See unterwegs“, erzählt Dirk Hönsch. Und trotzdem gehörte er zu den zahlreichen Verunglückten, die die DGzRS-Station vor Wangerooge in den vergangenen Jahrzehnten in teils dramatischen Rettungsaktionen aus dem Wasser gezogen hat

„Ich bin stundenlang in der 14 Grad kalten See getrieben und hatte mit meinem Leben abgeschlossen“, erzählt der 59-Jährige. „Ich dachte, wenn es das jetzt gewesen sein soll, blicke ich auf ein gutes Leben zurück, denn ich wurde und habe geliebt.“

Das Boot, völlig überladen, war längst untergegangen, als bei Dirk Hönsch kurz Hoffnung aufflammte. Ein Hubschrauber kreiste über der Nordsee, drehte aber nach zwei, drei Runden unverrichteter Dinge ab. „Kein Wunder, denn um allein ans Ufer zu schwimmen, hatte ich die Rettungsweste abgelegt und so war im Wasser nur noch mein Kopf zusehen“, erzählt er. Mehr oder weniger zufällig wurde er später von der Besatzung des Seenotretterbootes entdeckt und geborgen.

„An Deck wäre ich dann aber beinahe den so genannten Bergetod gestorben“, erzählt er. Das Phänomen tritt typischerweise bei der Rettung aus dem Wasser auf, wenn der zu Rettende angehoben wird und dadurch Blut in den Beinen, die nun tief liegen, versacken kann. Es gelangt nicht mehr ausreichend Blut zu Herz, Lunge und Gehirn, ein Herz-Kreislauf-Stillstand ist die Folge. Nur weil die geschulte Crew an Bord wusste, was zu tun ist, hat Dirk Hönsch den Unfall überlebt.

Heute ist er wieder wohlauf. Aber warum genießt der Insulaner nach Feierabend nicht einfach das (Strand)-Leben? „Ich habe mich mein Leben lang ehrenamtlich engagiert – und gebe jetzt von Herzen etwas an die Gesellschaft zurück“, sagt der Skipper. Auch mit dem Bewusstsein, dass seine Geschichte bei den Zuhörern Betroffenheit auslöst und überzeugt, sich selbst einzubringen oder zumindest zu spenden. Denn: Die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger finanziert sich ausschließlich aus Spendengeldern. Rund 30 Millionen Euro werden laut Hönsch jährlich zur Unterhaltung der insgesamt 60 Rettungseinheiten zwischen Borkum und Usedom benötigt. 

Gibt es denn typische Situationen, in denen die Seenotrettung in Nord- und Ostsee auslaufen muss? „Nicht immer geht es um Leben und Tod, meistens fahren sich Freizeitskipper in den Brandungszonen fest oder bei Booten fällt der Motor aus“, erzählt Dirk Hönsch. Aber zum Alltagsgeschäft der Seenotretter gehört auch, beispielsweise akute Notfälle wie Patienten mit Herzinfarkt von den Inseln aufs Festland zu transportieren, wenn der Hubschrauber nicht verfügbar ist.

An Bord muss jeder alles können. „Das ist zumindest der Idealfall“, sagt Roger Riehl, Dienstältester und Chef der DGzRS-Station Wangerooge sowie Vormann auf dem Seenotrettungsboot „Fritz Thieme“. Seit 1974 lebt er praktisch für die Seenotrettung, hat mit seiner Crew schon zahlreiche Menschen vor dem Ertrinken gerettet.

„Gott mit uns!“ – dieser Wahlspruch auf einem Messingschild begleitet die Wangerooger Seenotretter seit Generationen auf ihren Einsätzen. „Beim Rettungsmanöver selbst hat man wenig Zeit, über Gott und die Welt nachzudenken, aber immer dann, wenn Menschenleben in Gefahr sind, schaue ich hoch zu Gott und bete, dass alles gut ausgeht“, erzählt Roger Riehl.

Tanja Niestroj/EMA

"Wichtig ist eine gute, psychosoziale Nachbetreuung"

Dirk Obermann von der Deutschen Seemannsmission kennt die Sorgen der Seenotretter, die zuschauen müssen, wenn im Wasser oder auf dem Schiff Menschen in Gefahr sind oder gar ums Leben kommen. „Gerade schwere Unfälle mit Todesfolge, Schiffkollisionen oder beispielsweise auch ein Suizid an Bord kann Seenotretter oder Besatzungsmitglieder völlig aus der Bahn werfen“, weiß der 57-Jährige, der als Koordinator für die Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) mit einem 45-köpfigen Team erste Hilfe für die Seele leistet. Denn nicht immer geht Rettungsaktion glimpflich aus. Aber was macht das mit Helfenden, die eigentlich Leben retten wollen?

„So eine Extremsituation kann Schuldgefühle und Versagensängste auslösen, dazu kommt, dass die Seenotretter natürlich einen hohen Anspruch an sich selbst haben und nach so einem Ereignis an sich selbst zweifeln“, sagt Dirk Obermann. „Umso wichtiger ist eine gute und verantwortungsvolle psychosoziale Nachbetreuung, um posttraumatische Belastungen und andere gesundheitliche Folgeschäden frühzeitig zu erkennen und möglichst zu verhindern.“

Insgesamt 45 ausgebildete PSNV-Notfallseelsorger sind für die Deutsche Seemannsmission im Einsatz und wurden im vergangenen Jahr weltweit mehr als 47 mal zur Hilfe gerufen. Finanziert wird das Projekt von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Aber wie verarbeitet eigentlich ein Notfallseelsorger das Erlebte? „Wir Kollegen sind gegenseitig füreinander da und leisten Nachsorge, wenn sie benötigt wird“, sagt Dirk Obermann. „Eine weitere wichtige, ganz große Ressource bilden Freunde und Familie.“ Dem Diakon hilft aber auch der Glaube. „Mein christlicher Glaube gibt mir die Kraft für das, was ich tue.“

Tanja Niestroj/EMA