"Es nützt halt alles nix"
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"Was fehlt? Drei Monate Regen!" - so begann im vergangenen Herbst ein überaus trauriger Bericht über einen Rundgang mit Loccums Klosterförster Karsten Sierk. Zeit für eine Rückkehr.
Denn: Es regnet. Und zwar genau jetzt. Die Fahrt zum Kloster führte einmal mehr durch idyllisches Grün, erleuchtet von Sommersonne. Doch jetzt, der Motor ist aus, die Tasche gepackt, plattert es kräftig auf das Autodach. Und wie in der Auftaktgeschichte könnte hier jetzt eine rethorische Frage stehen: "Sieht doch alles ganz gut aus! Oder?"
Dass dem nicht so ist, das hat Karsten Sierk schon bei der telefonischen Terminanfrage mit schnörkellosem Charme klargestellt. "Es ist eine Katastrophe." Ja, der Regen in diesem so ungewohnt typisch niedersächsischen Sommer werde zwar wohl voraussichtlich für das Jahressoll reichen. Aber eben nicht die drei Jahre Dürre ausgleichen, die hinter uns liegen. Verdurstende Buchen, wie im vergangenen Jahr, wird es deshalb auf unserer heutigen Tour nicht zu sehen geben. Es wird um Maschinen gehen. Große Maschinen.
Seit einigen Wochen schon muss man im Forst des Klosters Loccum eigentlich nur dem Lärm folgen, will man der Ursache für Sierks nachhaltig betrübte Stimmung auf den Grund gehen. Sämtliche Fichtenbestände sind vom Borkenkäfer befallen. "Normalerweise harzt ein vitaler Baum den Käfer einfach weg", sagt Sierk. Doch die Trockenheit der vergangenen drei Jahre hat die Fichten extrem geschwächt. "Sie müssen bald kommen", hatte er bei der Verabredung am Telefon noch gemahnt. "Sonst sind die Maschinen wieder weg."
Die Harvester schaffen in den rund 650 Hektar Wald, die zum Forstbetrieb des Klosters gehören, unmissverständlich Tatsachen. "Wir fällen jetzt alle reinen Fichtenbestände", sagt Sierk, während wir unter dickem Geprassel des Regens durch den Wald fahren. In Zahlen heißt das: Zwischen 3000 und 4000 Festmeter türmen diese All-Inclusive-Maschinen pro Woche auf. Eine Fichte, über Jahrzehnte meterhoch in den Himmel gewachsen, verwandelt sich in nicht einmal einer Minute in einen Drei-Meter-Stamm-Polter: Stamm fassen, fällen, Stamm in Position ziehen, sägen. Fertig. "Wir haben in den vergangenen vier Wochen mehr gefällt als sonst in einem Jahr."
Der Terminplan der Maschinen-Verleiher ist randvoll, die Zeit drängt. "Meine Kollegin an der Okertalsperre im Harz schlägt momenten 30.000 Festmeter pro Monat." Sierk rechnet weiter. Bis zum Jahresende werden ingesamt 20 Hektar reine Fichtenbestände vollständig aus dem Loccumer Forst verschwunden sein. An die Stelle der Nadelbäume, die nach Sierks Bewertung eigentlich gar nicht dort hingehören, rücken pro Hektar rund 8000 Eichen. "Die werden von Hand gepflanzt", sagt Sierk - wenn er denn die nötigen Arbeitskräfte dafür findet. "Inklusive der Pflege innerhalb der ersten Jahre kostet uns jeder Hektar 20.000 Euro."
Wieviel Arbeit und Mühe Sierks Team in den vergangenen Jahren in den Kampf gegen den Borkenkäfer gesteckt hat, will er dagegen nicht mehr nachvollziehen. Karsten Sierk reduziert es auf eine so simple, wie frustrierende Formel: "Es hat halt alles nix genützt." Das sofortige Schlagen befallener Bäume nicht. Das Besprühen geschlagenen Holzes mit Pestiziden nicht. Und auch die mit Sexuallockstoffen bestückten Käferfallen nicht. Was dem Käfer ein Ende bereite? "Na, wenn alle Fichten tot oder weg sind. Dann verhungert er." Die Plage sei aktuell so schlimm, dass nicht einmal die sonst vertrauten Zyklen den Forstbetrieben eine Verschnaufpause verschafften. "Normalerweise war der Borkenkäfer im 6-Wochen-Rhythmus unterwegs: Er bohrt sich ins Holz, bleibt dort einige Wochen und fliegt dann erst wieder los." Inzwischen fliege der Käfer einfach immer.
Jetzt also Eichen. Die kosten Geld - und Zeit. Die gerodeten Flächen müssen sorgsam vom Schlagabraum befreit werden, ohne dass dabei die wertvolle Biomasse des Waldbodens zerstört wird. Dann kommen die Setzlinge und dann der Kampf gegen Farn und Brombeere, damit die kleinen Eichen überhaupt eine Chance haben zu wachsen - 150 Jahre lang. Dass Wald immer ein Generationenvertrag war zwischen den Plfanzenden und den Erntenden, das bekümmert Sierk dabei nicht. Doch er kann nicht in die Zukunft sehen und das bereitet ihm Sorge. "Wissen Sie, wir wissen doch gar nicht, ob die heute hier heimische Eiche, die heute hier aufgrund des verfügbaren Wassers und der übrigen Vegetation hier wunderbar hinpasst. Ob diese Eiche in 50 Jahren hier nicht vielleicht völlig fehl am Platz ist."