Was fehlt? Drei Monate Regen!
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Der Forstbetrieb am Kloster Loccum zählt zu den ältesten seiner Art in Deutschland. Doch sein Baumbestand ist in Gefahr. Ein überaus trauriger Rundgang mit Klosterförster Karsten Sierk.
Es gibt Recherchen, die beginnen auf den ersten Blick ganz erhebend. Auf den sich windenden Kilometern zwischen Autobahnab- und Klosterauffahrt lockt sattes Grün unter meterhohen Bäumen am Straßenrand. Sieht doch alles ganz gut aus! Oder? – Der Grund für diese Fahrt übers Land sind ein zutiefst bedrücktes Gesicht und ein Ausruf, der leider viel zu gut dazu passt: „Mies!“ Beides gehört zu Karsten Sierk, Förster am Kloster Loccum. Dieses so hoffnungslose Urteil ist ihm herausgerutscht auf die leichthin gestellte Frage, wie es denn seinen Wäldern derzeit so gehe. Nun lädt er ein auf eine Fahrt durch sein Sorgenkind.
Sieht doch gut aus? Nein, beileibe nicht. Oder nur für jene, die nicht gut genug hinschauen. Was neben Land- und Kreisstraßen eben so idyllisch wirkte und was vom Forstbetrieb des Kloster Loccum offiziell unter „historisch alte Wälder“ geführt wird, offenbart eine ungeheure Dramatik.
Wir sind noch keine 20 Meter jenseits der Klostermauer, als Sierk seinen Geländewagen das erste Mal stoppt. Er springt aus dem Auto – und fortan wird sich dieses Schauspiel immer und immer wieder zeigen. Stoppen, rausspringen und: „Da!“ Dies vertont kurz und knapp den in die Luft erhobenen Zeigefinger. Kurze Pause. Dann: „Tot.“ Dort. Dort. Und dort.
Buchen bilden nicht nur hier im Klosterforst einen so braunen wie kargen Kontrast an Waldrändern, überragen laublos die ansonsten weithin beschatteten Waldwege. Die Ursache ist so simpel wie unabwendbar: Ihre Wurzeln erreichen kein Wasser mehr. Da nützt es wenig, dass die gesunden Waldnachbarn zuweilen keinen Meter entfernt stehen. „Wir haben hier sehr schweren Boden“, erklärt Sierk, während wir durchs Unterholz steigen. Die Jahrzehnte alten Buchen mussten sich bislang nicht sonderlich anstrengen, um das Grundwasser zu erreichen. „Seit drei Jahren aber haben wir zu wenig Niederschlag und das Grundwasser passt sich an.“ Das kann von Quadratmeter zu Quadratmeter zwar nur geringe Unterschiede ausmachen. Für eine (zu) flach wurzelnde Buche ist dies jedoch ein Todesurteil. Und es tröstet den Förster auch wenig, dass er mit diesem Leid nicht alleine steht. „Die Dürre und Stürme machten allen zu schaffen. Der Holzmarkt ist inzwischen weltweit zusammengebrochen.“
Sierk und sein Team müssen sich jetzt beeilen. Aus zwei Gründen. „Wenn das Laub erst einmal runter ist, sind die toten Buchen nicht mehr so leicht zu entdecken.“ Zudem wird eine tote Buche in Rekordzeit „stockig“. Heißt: Ihr Stamm fängt an zu verrotten. „Buchenschleimfluss“ nennen die Profis, was für den Laien nur wie ein waldboden-schmodderiger Pelz auf der Rinde aussieht. Überdies reißt diese und mit ihr das Holz darunter. „Wenn ich Glück habe und schnell bin, kann ich einen solchen Stamm dann noch als Brennholz nutzen“, lässt Sierk resigniert wissen. Wenn nicht, taugt der tote Baum nicht einmal mehr für Hackschnitzel. Da zieht das Drama um die Ökologie schnell Sorgen um die Ökonomie des Betriebes nach sich.
Sierk kann sich drehen und wenden, wie er will: Die Aussicht wird für den Wald nicht besser. Die sogenannten „Käferlöcher“, die inzwischen herausgeschlagenen Bestände vom Borkenkäfer befallener Nadelbäume, verbindet die Branche längst nicht mehr nur mit Fichten. „Der Käferdruck ist so hoch, dass die Tiere inzwischen auch die ebenfalls geschwächten Kiefern angreifen“, sagt Sierk. Hinzu kommen so illustre Diagnosen wie das „Eschen-Trieb-Sterben“ oder die „Ahorn-Ruß-Krankheit“.
Was beim Scrabble vielleicht das Punktekonto ins Unermessliche zu schrauben vermag, gehört für Sierk zu den ganz normalen Krankheitsbildern eines Waldes. „Nur in diesen kritischen Jahren schmerzt jeder sterbende Baum noch einmal mehr“, sagt er. Den Rest erledige die steigende Zahl kapitaler Stürme. „Kalamitäten“, wie Sierk die buchstäblichen Einschläge nennt, deren Häufigkeit und Radikalität eindeutig steige. Das weiß der Förster nicht nur aufgrund der eigenen 32 Dienstjahre am Kloster und damit kurz vor dem Ruhestand, sondern auch aus dessen 850-jähriger Archivgeschichte.
Wer „den Käfer“ finden will, muss auf den Boden schauen. Tatsächlich ist dieser grün. Grün vor lauter Nadeln, augenscheinlich lebendig und doch sind die Nadeln Boten eines sterbenden Baums. „Das ist ein typisches Zeichen für den Buchdrucker.“ Buchdrucker und Kupferstecher, ein unheilvolles Duo, dessen feingeistige Namen hinwegtäuschen über ihr tödliches Tun.
Beide gehören zur Familie des Borkenkäfers. Der Buchdrucker lässt die Baumspitzen grün und ist an der bereits herabfallenden Rinde im unterem Stammbereich erkennbar. Auf der Innenseite der Rinde sind die für ihn typischen Fraßmuster (einem aufgeschlagenen Buch gleich) erkennbar. Sein Kumpan, der Kupferstecher, hinterlässt ebendort ein eher sternförmiges Muster. Die von ihm befallenen Bäume zeigen einen oberflächlich intakten Stamm und dafür eine tote Spitze.
Wo der gerodete Waldboden bereits aufbereitet ist, forsten Sierk und seine Leute auf. Dafür gibt es zwar Geld vom Staat. „Aber die Baumschulen kommen kaum nach in der Anzucht der Jungpflanzen.“ Mindestens zwei Jahre alt muss eine junge Eiche sein, bevor sie raus in den Wald darf. „Und dort ist sie sofort unter starker Konkurrenz“, sagt der Förster, während wir durch kniehohe Brombeer-Ranken klettern, die sich im neuen Licht der Rodung zwischen den jungen Laubbäumen rasant ausbreiten.
Für den Laien durchaus verstörend, für den Profi indessen beruhigend wirken etwa ein Meter hohe, sehr schlanke Plastikpakete, die Zahnstocher-gleich in bleichem Weiß aus dem Waldboden ragen. „Das sind Pflanzhilfen, die zum einen gegen den Wildverbiss schützen und zum anderen ein sehr gutes Klima für die Jungpflanze bieten.“ Kurze Pause. „Ja, und natürlich sind sie wiederverwertbar!“ Tatsächlich überragen die darin wachsenden Eichen ihre Altersgenossen in den sonst üblichen Wildschutzzäunen um einen guten halben Meter.
Wer Karsten Sierk nach seinem sehnlichsten Wunsch befragt, bekommt eine klare Antwort: „Drei Monate Regen.“ Tatsächlich kann der Baumprofi kaum mehr anbieten. Die Douglasie mit ihren weniger durstigen Wurzeln handelt die Branche bereits als mögliche Aufforstungsvariante. Sierk hebt ein wenig hilflos die Schultern. „Korrekt. Die käme mit der Trockenheit besser zurecht. Doch wir haben in den Wäldern, die zum Kloster Loccum gehören, viele Schutzgebiete – und in deren Verordnungen ist die Douglasie noch gar nicht aufgenommen.“ Der Förster beneidet in diesem Moment sein anderes Ich: Am Kloster ist er auch für 30 Hektar Grünland zuständig und hat auch die rund 1000 Hektar verpachteter Agrarfläche im Blick. „Die Landwirte denken ja von Jahr zu Jahr. Da entwickeln sich neue Lösungen viel schneller. Ein Wald aber ist ein Projekt über viele Generationen.“
Also neben geduldigem Warten auf die Genehmigung robusterer Baumarten so gar keine Hoffnung auf schnelle Hilfe? Wieder am Kloster angekommen steigt Karsten Sierk aus seinem Auto und überlegt einen Moment. „Hoffnung? Stehen wir nicht jeden Tag in Hoffnung auf?“ Die Antwort lässt er offen.
Rebekka Neander