Auf der Suche nach fröhlicher Professionalität
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„Wir reiten die Welle“ in der Akademie Loccum: Zweite Konferenz zum Thema #Pfarrberuf2030
Der Pastor geht mit dem Klempner über den Friedhof, um ein leckes Rohr zu finden. Währenddessen leitet eine ehrenamtliche Prädikantin die Trauerfeier in der Friedhofskapelle. Auch eine Art Vision, aber keine, die er erleben möchte, sagt Pastor Bernd Niss aus Liebenau (Kreis Nienburg). Es sei ihm wichtig, „den Pfarrberuf sauber zu halten“, erklärt er bei der Konferenz „Pfarrberuf 2030 – oder: Wir reiten die Welle“ in der Evangelischen Akademie Loccum. Niss möchte wie viele seiner Kolleginnen und Kollegen mehr Zeit für die „eigentlichen“ Aufgaben haben: Gottesdienste, Seelsorge, Begleitung der Menschen in Freud und Leid.
Schon jetzt sind Gemeinde- und Kirchenkreisfusionen an der Tagesordnung, in den Pfarrämtern nehmen Verwaltungsaufgaben und fachfremde Arbeiten überhand – und das bei sinkenden Mitgliederzahlen. Um dem zu begegnen, hatte die hannoversche Landeskirche zum zweiten Mal zu einer Konferenz über die Zukunft des Pfarrberufs eingeladen.
Nach der Auftakttagung vor einem Jahr in Hildesheim mit rund 200 Teilnehmer*innen waren diesmal 100 Personen nach Loccum gekommen. Etwa 50 von ihnen waren in Hildesheim nicht dabei. Für Gastgeberin Dr. Nicola Wendebourg ist das kein Nachteil. „Es bedeutet, dass die Themen weiter in die Fläche gegangen sind“, sagt die Oberlandeskirchenrätin, die im Landeskirchenamt für Personal, Aus- und Fortbildung verantwortlich ist.
Vier Themen hatten sich bei der ersten „Welle-Tagung“ im Michaeliskloster herauskristallisiert und sollten deshalb in Arbeitsgruppen vertieft und konkretisiert werden: Pfarramt und Verwaltung, Arbeiten in und mit multiprofessionellen Teams, Kirche im Sozialraum sowie die Frage nach einer „fröhlichen Ekklesiologie“ – einem Kirchen- und Gemeindeverständnis, in dem nicht die Depression, sondern die Zuversicht überwiegt. Während die Verwaltungs-Gruppe mit einem ausformulierten Thesenpapier arbeitete, mussten sich die anderen zunächst mit Definitionsfragen beschäftigen: Gehören zu multiprofessionellen Teams die gängigen Kirchenberufe Pastor*in, Kirchenmusiker*in, Pfarrsekretär*in und Küster*in oder sollten Gemeinden auch mal Architekt*innen und Kulturmanager*innen einstellen können? Und wie ist es um die Kirche und ihre Angestellten bestellt, wenn sich der Wunsch nach mehr Fröhlichkeit aufdrängt?
Erfahrungen aus dem Dorfpfarramt spielen hier eine prägende Rolle, wie in der Arbeitsgruppe „Sozialraum“ deutlich wurde. Die Kerngemeinde wird älter und kleiner, der Traditionsabbruch nimmt zu: „Zu viel zu arbeiten und trotzdem wirkungslos zu sein – das ist es doch, was einen fertigmacht“, sagte Dr. Adelheid Ruck-Schröder, Studiendirektorin des Predigerseminars Loccum. Und eine Gemeindepastorin wünschte sich mehr Gelassenheit im Umgang mit Fragen von Konfirmandeneltern: Warum denn der Konfirmationsspruch unbedingt in der Bibel stehen müsse?
Der Darmstädter Soziologe Dr. Franz Grubauer, Oberkirchenrat in der Verwaltung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, lenkte nüchtern den Blick auf bevorstehende Veränderungen, die unlängst von einer Projektion der Universität Freiburg untermauert wurden: Demnach würden die christlichen Kirchen bis zum Jahr 2060 die Hälfte ihrer Mitglieder verlieren. „Vieles wird wegbrechen. Durch die knapper werdenden Ressourcen wird es inhaltliche und theologische Konflikte geben“, so Grubauer. Das müsse Pastorinnen und Pastoren keine Angst machen, sie sollten aber darauf vorbereitet sein. Da werde Moderation gebraucht, zudem müssten die Gemeinden lernen, in Szenarien zu planen und nicht einfach weitermachen wie bisher, riet der Soziologe. Auch Nicola Wendebourg hält eine stärkere Orientierung am regionalen oder kommunalen Sozialraum für unabdingbar, zumal die Kirche sich weiterhin als Institution mit öffentlichem Auftrag verstehe: „Wir werden 2030 nicht mehr allein funktionieren, sondern nur noch in Kooperation mit anderen.“ Die Sozialraumfrage sollte daher Teil der kirchlichen Aus- und Fortbildung werden.
Doch wie muss sich das Pfarramt selbst verändern? Konkrete Schritte zur Neuorganisation trug Oberkirchenrat Helmut Aßmann vor, im Landeskirchenamt zuständig für Theologische Ausbildung sowie berufliche Fort- und Weiterbildung. Denkbar wären professionellere Pfarrbüros mit attraktiven Stellen für Sekretär*innen, die dann nicht mehr nur für eine Gemeinde, sondern für eine ganze Region zuständig wären. Eine Person sollte sich ausschließlich dem „Kundenverkehr“ widmen, während die andere ungestört Büroarbeiten erledigen kann. Erfahrungen mit solchen Modellen gibt es bereits in den Kirchenkreisen Stade, Cuxhaven, Harzer Land, Leine-Solling und Hildesheim-Sarstedt. Denkbar wären auch hauptamtlich angestellte Geschäftsführer*innen oder zumindest Assistenzstellen, die sich beispielsweise um Personalplanung, Gebäudemanagement und das Umsetzen von Beschlüssen des Kirchenvorstands kümmern. Die Schwierigkeiten liegen bei solchen Modellen allerdings auf der Hand: Wie lassen sich diese Tätigkeiten vom Kirchenvorstand und Pfarramt abgrenzen? Wird hier nicht zusätzlichem Kompetenzgerangel Tür und Tor geöffnet? Die Finanzierung indes scheint klar: Wenn sich Pfarrstellen nicht besetzen ließen, könnte man das Geld für anderes Personal verwenden.
Aßmann forderte zudem eine Vereinheitlichung der IT-Ausstattung: „Wenn ein Pfarrer von A nach B wechselt, muss er die gleiche Hard- und Software vorfinden.“ Nötig sei auch ein technischer Support rund um die Uhr. Die Standards müssten vom Landeskirchenamt vorgegeben und von den regionalen Kirchenämtern umgesetzt werden. Darauf konnten sich auch jene einigen, die einer zentralen Regulierung sonst kritisch gegenüberstehen. Mit Blick auf solche Skeptiker merkte Bernd Niss spitz an: „Warum kann die Landeskirche das Stäbchen-Parkett in der Dienstwohnung vorgeben, anderes aber nicht?“ Das fängt bei vermeintlich einfachen Dingen der Kommunikation an: „Uneinheitliche E-Mail-Adressen sind einfach unprofessionell“, sprach Nicola Wendebourg einen wunden Punkt an.
Manche Teilnehmer*innen beklagten, dass man an den „Spirit von Hildesheim“ nicht ganz habe anknüpfen können, auch sei der Altersschnitt gestiegen. Nicola Wendebourg erwiderte, es sei klar, dass nun „die etwas staubigere Arbeit“ getan werden müsse. Moderator Oliver Kuklinski überrumpelte die vier jüngsten der 100 Tagungsgäste mit der Frage nach ihrem Traum von einer zukünftigen Kirche. Einer von ihnen konterte, er habe jetzt keinen Sechs-Punkte-Plan in der Tasche.
Die Loccumer Konferenz soll am 27. Juni im Stephansstift in Hannover ausgewertet werden. Was sich bereits in der Abschlussrunde andeutete: Eine „Welle 3.0“-Tagung kommt bestimmt.
Lothar Veit