Startseite Archiv Tagesthema vom 16. April 2019

Tränen sind Fürbitten ohne Worte

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Andacht zur Karwoche von Landesbischof Ralf Meister

Weinen müssen wir nicht lernen. Das ist angeboren. Was wir lernen, ein Leben lang, ist das Unterdrücken der Tränen. Mal gelingt es besser, mal schlechter. Aber jeder Mensch weint. Meist tun wir das im Verborgenen, denn es gibt nur ein paar Gelegenheiten, in denen das Weinen in der Öffentlichkeit erlaubt ist: Bei einem traurigen Abschied, am Grab, einem großen Schmerz.

Ansonsten gilt: Tränen sind Zeichen von Schwäche – „Jungs weinen nicht!“ Gott sei Dank stimmt das nicht, und es wird wohl viel, viel mehr geweint, als wir denken. In Kinos und Theatern, aber vor allem dort, wo es niemand sieht: zuhause, im Stillen, manchmal unter der Bettdecke.

Wir müssen unsere Tränen nicht verstecken. Auch die Bibel ermutigt uns zum Weinen. Wir erinnern uns am Karfreitag an das Leiden und den Tod Jesu. An das stumme, stille Ertragen des Schmerzes, aber auch seine gebrüllte Klage. Als Jesus am Karfreitag sah, dass Frauen um ihn weinten, sagte er: „Weint nicht über mich, sondern weint über euch selbst und über eure Kinder“ (Lukas 23,28).

Über was weinen wir?

Ich denke, es gibt Vieles, über das wir keine einzige Träne vergießen, obwohl es doch zum Heulen ist.  Wer weint darüber, dass ein ungerechtes Wirtschaftssystem und unsere Gleichgültigkeit tagaus, tagein abertausende von Menschen verhungern lassen? Wer weint darüber, dass Gerechtigkeit auf diesem Planeten für die Mehrheit der Menschen nur ein Wort ist und eine ferne Hoffnung bleibt?

Um was weinen wir?

Denken wir zurück an die Tränen der letzten Monate. Welche Trauerfälle, welche Abschiede ließen im vergangenen Jahr unsere Tränen fließen? Mit wem haben wir, eng umschlungen geweint? Welche Nachrichten rührten uns zu Tränen, so dass wir uns öffneten, ob wir wollten oder nicht, und unser Innerstes zeigten?

All diese Tränen waren Traurigkeit und Entlastung für uns selbst, aber auch eine ganz persönliche Botschaft an andere – auch an Gott.

Tränen sind Fürbitten ohne Worte. Und auf diese Fürbitten antwortet Gott. Die Bibel erzählt, wie Gott einmal dem kranken König Hiskia antwortet: „Ich habe dein Gebet gehört und deine Tränen gesehen. Siehe, ich will dich gesund machen“ (2. Könige 20,5).

Tränen sind Fürbitten ohne Worte. Und sie halten die große Hoffnung fest, dass das Weinen einmal ein Ende haben wird, so wie es ganz am Ende der Bibel steht:

„Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.“ (Offenbarung 21,4).

Der Autor

Landesbischof Ralf Meister

Der Bibeltext

„Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein; denn das erste ist vergangen“

Off 21,4

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Bild: Wiebke Ostermeier/lichtemomente.net