Startseite Archiv Tagesthema vom 01. August 2018

"Was wir dem Judentum verdanken"

Die vollständige Darstellung von Archivmeldungen befindet sich noch im Aufbau. Schauen Sie in Kürze noch mal vorbei!

Israelsonntag dient der Vergegenwärtigung

Am 5. August feiern Christinnen und Christen den Israelsonntag. Sie machen sich bewusst, was sie den Juden und dem Judentum verdanken. Was es genau mit dem Tag auf sich hat, erläutert apl. Prof. Dr. Ursula Rudnick, Beauftragte für Kirche und Judentum im Haus kirchlicher Dienste im Interview.

Frau Rudnick, was ist der Israelsonntag?

Ursula Rudnick: Am Israelsonntag erinnern sich Christinnen und Christen im Gottesdienst daran, was sie den Juden und dem Judentum verdanken. Der Gottesdienst thematisiert die Verbundenheit von Kirche mit den Juden und dem Judentum. Israel ist dabei die Bezeichnung für das jüdische Volk, für die Jüdinnen und Juden auf der ganzen Welt. Der Begriff stammt aus der Bibel. Mit Israel ist also nicht der Staat gemeint.

Seit wann wird der Israelsonntag gefeiert?

Der Israelsonntag entstand im 16. Jahrhundert. Im Gottesdienst wurde an die Zerstörung des Tempels in Jerusalem gedacht. Diese Zerstörung des Tempels wurde als Gericht Gottes über das jüdische Volk gedeutet und Christen als Mahnung vor Augen geführt. Oftmals war die Feier des Gottesdienstes antijüdisch. Dies wurde von wachen Zeitgenossen kritisiert. Daraufhin wurde der Gottesdienst neu gestaltet. Seit dem Jahr 1978 steht das Miteinander von Juden und Christen im Zentrum des Gottesdienstes.

Warum ist es wichtig, den Israelsonntag zu feiern?

Israel-Sonntag ist wie Muttertag. Einmal im Jahr ausdrücklich darüber nachdenken, was wir dem Judentum und Juden verdanken. Ich nenne drei Schätze, die wir Christinnen und Christen empfangen haben:

Erstens haben wir die Bibel empfangen, die das Fundament unseres Glaubens ist. Die Kirche hielt seit ihren Anfängen daran fest, dass unsere Heilige Schrift aus zwei Teilen besteht, dem sogenannten Alten und Neuen Testament. Zu jedem Versuch, den ersten Teil der Bibel für überflüssig zu erklären, sagte die Kirche jedes Mal „Nein“, sei es in der Antike, in der Neuzeit oder auch in der Gegenwart.

Zweitens haben wir vom Judentum ethische Impulse erhalten, die auch heute aktuell sind. „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ beispielsweise, ist ein Satz, den Jesus gesprochen hat und der von vielen Christen als Kern der christlichen Botschaft verstanden wird. Dieser Satz stammt aus dem 19. Kapitel des 3. Buches Moses.

Und drittens schließlich: Jesus Christus ist Jude. Paulus erinnert in seinem Römerbrief an Jesu Jude-Sein. Die Evangelien beschreiben es ausführlich. In den vergangenen Jahrzehnten, haben Theologinnen und Theologen gelernt, Jesus in seinem jüdischen Umfeld wahrzunehmen. Jesus, der am achten Tag seiner Geburt beschnitten wurde, als Erstgeborener im Tempel ausgelöst, dort lernend und betend, in den Synagogen predigend. Durch Jesus Christus haben wir Christinnen und Christen Zugang zum Gott Israels gefunden.

Die Kirche verdankt dem jüdischen Volk viel. Ohne Israel gäbe es uns nicht, jedenfalls nicht als Christinnen und Christen. Das ist Grund genug für Dankbarkeit. Eine Dankbarkeit, die immer da sein sollte. Derer wir uns jedoch nicht immer bewusst sind.

Wann und von wem wird der Israelsonntag gefeiert?

Das Gottesdienstbuch sieht vor, dass er in allen Gemeinden am 10. Sonntag nach Trinitatis gefeiert wird. Dies ist oft in der Sommerzeit und es gibt dann oft andere Themen. Es ist aber kein Problem, den Israelsonntag auch an einem anderen Sonntag zu feiern.

 

Anregungen für Gottesdienst und Gemeindearbeit auch über den Israelsonntag (10. Sonntag nach Trinitatis) hinaus gibt es in der Arbeitshilfe zum Israelsonntag.

Jerusalem – ein Sehnsuchtsort

von Walter Homolka

Für uns Juden ist Jerusalem ein Sehnsuchtsort, so wie der Baum, zu dem ein Liebespaar immer wieder zurückkehrt, weil es sich in dessen Schatten erstmals seine Liebe gestanden hat. Es gibt eine traditionelle Einheit zwischen dem Gott Israels, dem Volk Israel und dem Land Israel. Gottes Thronsessel ist für die Juden Jerusalem. Die Hoffnung auf Erlösung ist in der jüdischen Tradition unmittelbar mit Zion verbunden. "Wenn ich dich vergesse, Jerusalem, so möge meine Rechte verdorren", heißt es in den Psalmen, und wir richten uns beim Gebet immer nach Jerusalem aus.

Um 1.000 vor unserer Zeitrechnung machte König David Jerusalem zu seiner Hauptstadt, sein Sohn Salomon errichtete dort den ersten Tempel. Unter König Hiskia wurde der Jerusalemer Tempel schließlich zur zentralen Kult- und Wallfahrtsstätte Israels. Die Stadt entwickelte sich also früh zum Mittelpunkt der Verehrung Gottes, und so war es auch zur Zeit Jesu: Der herodianische Tempel war Gottes Wohnung bei seinem Volk und Zentrum des sozialen Lebens. Doch im Jahr 70 nach Christus nahmen die Römer Jerusalem ein und zerstörten den Tempel mit dem Allerheiligsten. Für die jüdische Bevölkerung bedeutete die Eroberung den endgültigen Verlust politischer Autonomie.

Viele verließen die Stadt. Obwohl der Großteil der Juden heute in der Diaspora lebt, riss die Verbindung zu Jerusalem nie ab. Der Wunsch "Nächstes Jahr in Jerusalem!" bringt eine Sehnsucht zum Ausdruck, die sich über zwei Jahrtausende erhalten hat. Doch Jerusalem wurde später auch Sehnsuchtsstätte für Christen und Muslime. Im alten Opferkult Israels waren auch sie, die anderen, bereits mitgedacht. Und nach dem Propheten Jesaja sollen alle Völker am Ende der Tage nach Jerusalem ziehen, um dort das endgültige Friedensreich zu empfangen.

Das gilt insbesondere auch für die Christen, für die der Jude Jesus hier wirkte, hier gekreuzigt und begraben wurde, schließlich auferstanden ist. Doch zunächst entstand ein mächtiger Zwist zwischen Juden und Christen um den wahren Glauben. Später war Jerusalem Hauptstadt des christlichen Kreuzfahrerstaats. Auch christliche Ritterorden heute führen ihren Ursprung auf dieses Königreich zurück. Und evangelikale Christen halten "die heilige Stadt Jerusalem" immer noch für ihre "spirituelle Hauptstadt". So ist die amerikanische Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels ebenso die Einlösung eines Wahlversprechens, das US-Präsident Donald Trump vorrangig seiner evangelikalen Wählerschaft gemacht hat.

Und der Islam? Für einen historischen Moment stand Jerusalem auch an der Wiege dieser Religion. Daran erinnern der Felsendom und die Al-Aksa-Moschee aus dem 7. Jahrhundert. Nach islamischer Tradition soll Mohammed vom Tempelberg aus die Himmelfahrt und seine Begegnung mit Jesus und den früheren Propheten des Judentums unternommen haben. Die Muslime beteten allerdings nur 14 Jahre in Richtung Jerusalem, bevor der Prophet im Jahr 624 die Kaaba in Mekka zum Ort der Ausrichtung des Gebets machte. Doch fast 13 Jahrhunderte lang stand Jerusalem unter islamischer Herrschaft.

1917 erklärte sich Großbritannien schließlich einverstanden, eine "nationale Heimstätte" des jüdischen Volkes zu errichten. Der Völkerbund machte die Briten zur Mandatsmacht, und 1920 wurde Jerusalem Hauptstadt. Seither nimmt die Einwanderung von Juden aus aller Welt stetig zu. Im Judenstaat von 1896 klagt Theodor Herzl "Vergebens sind wir treue und an manchen Orten sogar überschwängliche Patrioten, vergebens bemühen wir uns, den Ruhm unserer Vaterländer in Künsten und Wissenschaften, ihren Reichtum durch Handel und Verkehr zu erhöhen." Die Schoah hat Herzls Klage grausam bestätigt.  Erst die Wiedererrichtung eines jüdischen Staates könne den Juden Gleichberechtigung unter den Nationen gewähren.

Deshalb beschlossen die Vereinten Nationen 1947, einen vorwiegend jüdischen und einen palästinensischen Staat zu schaffen – mit Jerusalem als internationaler Stadt und mit gleichberechtigtem Zugang zu den heiligen Stätten. Nach dem Sieg im Unabhängigkeitskrieg machte Staatsgründer David Ben-Gurion Jerusalem 1950 zur Hauptstadt des wiedererstandenen Staates Israel. Jordanien annektierte daraufhin das Westjordanland und Ostjerusalem. Im Sechstagekrieg 1967 erlangte Israel erneut die Souveränität über ganz Jerusalem und stellte den allgemeinen, ungehinderten Zugang zu den heiligen Stätten sicher. Juden konnten nun endlich wieder an der Westmauer des herodianischen Tempels beten.

Das Heilige ist aber auch gefährlich. Im Vorhof Jerusalems gibt es viele, die sich ohne Rücksichtnahme auf die jeweils andere Religion zum Heil drängeln. Wie bringt man sie zusammen? In Altneuland, einem Roman von der Zukunft Jerusalems, hatte Theodor Herzl 1902 eine Friedensvision: „Es gab da Pilgerhäuser für die Gläubigen aller Bekenntnisse. Christen, Mohammedaner und Juden. Ein gewaltiges Viereck nahm der Friedenspalast ein, in welchem die internationalen Kongresse von Friedensfreunden und von Gelehrten aller Wissenszweige abgehalten wurden. Die Altstadt war überhaupt ein internationaler Ort, welcher allen Völkern als eine Heimat erscheinen musste. Denn hier waren auch alle Formen der Hilfe versammelt: Glaube, Liebe, Wissenschaft." Diese Vision hält der Gründervater des Zionismus für alle Gläubigen bereit. So könnte es werden. Nur wann?

Homolka, Walter. Die Altstadt von Jerusalem. Ein Sehnsuchtsort für alle. In: Die ZEIT NR. 52/2017, http://www. zeit.de/2017/52, 13. Dezember 2017, [http://www.zeit.de/thema/jerusalem] ©Die Zeit.